Emmanuel Macron: Nach dem Wahlsieg nun die neoliberale Schocktherapie für Frankreich

Emmanuel Macron: Nach dem Wahlsieg nun die neoliberale Schocktherapie für Frankreich
Für den "Überflieger" Emmanuel Macron könnte es demnächst politische Turbulenzen geben. Seine Reformpläne sind nicht unumstritten.
Macron und seine Bewegung „Republik in Bewegung!“ haben die Parlamentswahlen in Frankreich mit großer Mehrheit gewonnen. Doch der Preis für die Bevölkerung könnte hoch sein. Denn nun stehen sogenannte „Arbeitsmarktreformen“ an, die ganz im Sinne Brüssels sind. 
 
von Pierre Lévy, Paris

Ein Violett, wenn nicht gar Ultraviolett, prägt das französische Parlament. Es ist die Farbe der Pro-Macron-Abgeordneten. Es war eine Wahlbeteiligung im freien Fall (43 Prozent) – ein absoluter Minus-Rekord bei dieser Art von Abstimmung. Die Sozialistische Partei ist ausgelaugt; die gaullistische Rechte gespalten und ebenfalls auf dem Abstieg. La France insoumise geht letztendlich gestärkt hervor, da die Partei eine Fraktion in die Nationalversammlung bekommen kann. Und der Front Nationalfindet sich, entgegen den feindseligen Prognosen, gestärkt mit acht gewählten Vertretern im Parlament wieder.

Abgesehen von diesem reich kommentierten Bild vergrößert dieser zweite Wahlgang bei den französischen Parlamentswahlen jedoch den immer tiefer werdenden sozialen Abgrund, den schon die vorhergehenden Wahlen sichtbar gemacht haben. Bei der Wahlbeteiligung zeichnet sich das in überspitzter Weise ab: Beim Gang ins Wahlbüro haben die einfachen Leute massiv gestreikt, diesmal sogar viel stärker als bisher. Es sind die gleichen Bevölkerungsschichten, die Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in die Stichwahl befördert und Jean-Luc Mélenchon ermöglicht hatten, im ersten Durchgang für eine Überraschung zu sorgen.

Der Abgrund ist deshalb auch von ideologischer Natur: Ein Frankreich, das „offen“ für den Ultraliberalismus und die Globalisierung ist, gegen ein Frankreich, das „hartnäckig“ auf seiner sozialen Absicherung und Souveränität beharrt. Diese Spaltung der Klassen spiegelt sich auch im sozialen Hintergrund der neu Gewählten wider. Die Kandidaten von Macron entstammen zu 70 Prozent den gehobenen und führenden Gesellschaftsschichten. Also ist En Marche!auf dem besten Wege, die politische Klasse zu „erneuern“. Aber in welchem Sinne? Bisher glänzte die französische Nationalversammlung nicht gerade mit Vertretern aus Arbeitern, Kassiererinnen oder Arbeitslosen.

Die neuen „En Marche!“-Abgeordneten sind vor allem unter den „Unternehmern“ rekrutiert worden; sie sind Geschäftsführer von Start-up-Unternehmen, Unternehmensberater und Personalleiter. Im EU-Sprachgebrauch wird das blumig als die „zivile Gesellschaft“ bezeichnet. Am Wahlabend hatte man im Übrigen auch Gäste eingeladen, die den verstärkten Einzug von „Männern und Frauen, die sich mit Unternehmen (vorzugsweise privaten) auskennen“, begrüßt hatten. So viele noble Vertreter des Volkes, die zweifelsohne ein Jahrhundert hart erkämpfter sozialer Errungenschaften von Arbeitern mit Zähnen und Klauen verteidigen werden.

Die Tagesordnung des neuen Präsidenten ist bekannt. Ganz oben steht das Ermächtigungsgesetz, das der zukünftigen Regierung erlaubt, das bisher geltende französische Arbeitsgesetzbuch per Erlass zu zerlegen. Dieses neue Arbeitsgesetz hoch zehn entspricht wortwörtlich den Brüsseler Empfehlungen. Emmanuel Macron hat im Übrigen nicht verschwiegen, dass diese im Sturmschritt geplanten „Reformen“ auch den deutschen Wünschen entgegenkommen. Angela Merkel hatte bereits eine Stunde vor dem Schließen der Wahlurnen den „En Marche!“-Vertretern ihre Glückwünsche übermittelt.

Doch der neue Herr im Élysée-Palast ist nicht etwa ein unterwürfiger Chefadjutant, der die Befehle der EU treu ergeben ausführen wird. Er strebt vielmehr danach, gemeinsam mit der Kanzlerin einer der Entscheidungsträger in einem europäischen „Directoire“ zu sein. Denn die Europäische Union ist kein Abstraktum, sondern ein unverzichtbares Werkzeug, mit dem versucht wird, den Völkern das aufzuzwingen, was sie als nationaler Einzelstaat durchaus ablehnen könnten.

In Brüssel und den von Politik und Medien beeinflussten Kreisen gehört es nach dem Sieg von Emmanuel Macron inzwischen zum guten Ton, den Untergang des „Populismus“ zu feiern. Darunter ist in Wirklichkeit der Untergang des Widerstands gegen wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Projekte der Oligarchie gemeint.

Wachere Geister jedoch werden ein wenig abwarten, bevor sie die Korken knallen lassen. Denn nach der Reform des Arbeitsgesetzbuches zeichnet sich eine Übertragung der Finanzierung der sozialen Absicherung auf die Steuern ab sowie eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben um 60 Milliarden – auch ein europäisches Muss. Es ist durchaus nicht sicher, dass dem neuen Staatschef mit der „Republik in Bewegung!“ (La République en Marche!) ruhige Zeiten bevorstehen.

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