9. März 2015
Hamasführer
Khaled Mashaal spricht vor dem regionalen Parteikongress der AKP in Konya,
Türkei, 27. Dezember 2014.. Foto Gatestone
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Hamas auch von türkischem Boden aus
agiert. Die Hamas und türkische Regierungsvertreter bezeichnen diese
Aktivitäten als humanitär. Mag sein. Aber auch die Entführung israelischer
Teenager und das Beschiessen israelischer Städte mit Raketen sind vielleicht in
den Augen der meisten Islamisten eine “humanitäre Aktivität”.
Als Abdullah Gul, der damalige türkische Präsident, 2012 gefragt wurde, ob
die Hamas ein Büro in Istanbul eröffnen würde, antwortete er: “Die Kontakte [mit der Hamas]
gehen weiter. Die Zeit wird zeigen, wohin uns unsere Zusammenarbeit führen
wird.”
Gul ist ein moderater Islamist, verglichen mit seinem Nachfolger als
Präsident, Recep Tayyip Erdogan. Dreimal darf man raten, was die Zeit gezeigt
hat.
Im vergangenen Jahr – acht Jahre nach dem Besuch von Khaled Mashaal, dem
Chef des Politbüros der Hamas, in der Türkei im Jahr 2006 – tauchten Berichte auf, wonach die islamistische
Organisation, die von Ägypten, den USA, Australien, Kanada, Israel und Japan
als Terrororganisation eingestuft wird, ihre Bestrebungen im Westjordanland
mithilfe logistischer Unterstützung einer Kommandozentrale in Istanbul
koordiniert – eine Tatsache, die sogar die Palästinensische Autonomiebehörde
(PA) verärgert.
Auch Salah al-Arouri, ein Hamaskommandant, der von der
PA beschuldigt wird, zahlreiche Anschläge auf israelische Ziele geplant zu
haben, war 2014 in der Türkei zu Gast.
Die israelische Tageszeitung Israel Hayom nennt ihn “einen berüchtigten
Erzterroristen, der für Dutzende von Anschlägen auf Israelis verantwortlich
gemacht wird.”
Laut israelischen Medienberichten liegen dem israelischen
Inlandsgeheimdienst Shin Bet Beweise dafür vor, dass Angriffe, denen Israelis
zum Opfer fielen, im Hamas-Hauptquartier in Istanbul geplant worden sind. Im November
meldete der Shin Bet die Verhaftung von Mitgliedern einer Terrorzelle im
Westjordanland, die gerade Angriffe auf Ziele in Israel planten – sie hatten
unter der Führung von Hamasleuten in der Türkei im Ausland militärisches
Training erhalten.
Bei einer Rede auf der Weltkonferenz der Islamischen Gelehrten, die letztes
Jahr im August in der Türkei stattfand, gab Arouri zu, dass die Hamas verantwortlich ist
für “die von den al-Qassam-Brigaden durchgeführte heldenhafte Aktion in Hebron,
bei der drei Siedler gefangen genommen wurden”. Die drei Teenager wurden von
Angehörigen der Hamas entführt und ermordet, ein Vorfall, der die Gewaltspirale
in Gang brachte, die zu dem 50-tägigen Gazakrieg führte.
Israels Verteidigungsminister Moshe Ya’alon behauptete im Dezember, die Hamas schmiede von
Istanbul aus Pläne für Anschläge, die im Westjordanland und Gaza ausgeführt
würden. “Die Hamas”, sagte er, “versucht, in Judäa und Samaria eine
terroristische Infrastruktur aufzubauen und mit ihrer Hilfe auf verschiedene
Weise Anschläge durchzuführen; wir müssen aggressiv und entschlossen dagegen
vorgehen.”
Im Oktober 2014 hatte Ya’alon bei einem Treffen mit seinem amerikanischen
Amtskollegen Chuck Hagel in Washington zum ersten Mal behauptet, dass die Hamas
ihr Büro von Damaskus nach Istanbul verlegt habe. Seine Anschuldigungen kamen
einen Monat, nachdem Israel wegen der Rolle der Türkei bei der Unterstützung von
Terrorismus – insbesondere die Unterstützung und Beherbergung von
Hamas-Kommandanten – bei der Nato eine Klage gegen sie eingereicht hatte. Darin
wurde der seit 2010 in der Türkei lebende Arouri namentlich genannt.
Auch ein Hamasführer, der im Dezember unter Zusicherung von Anonymität mit World Net Dailysprach, hat bestätigt,
dass seine Organisation das Nato-Land Türkei als Basis für Logistik, Training
und die Planung von Terroranschlägen nutzt.
Nachdem so viele Informationen an die Öffentlichkeit durchgesickert waren,
fühlte sich die US-Administration zu – zumindest schüchternem – Handeln
genötigt und appellierte an Ankara, die von türkischem Boden
ausgehenden militärischen Aktivitäten der Hamas zu unterbinden. Schliesslich
sei die Türkei ein Nato-Mitglied, und die meisten Verbündeten betrachteten die
Hamas nun mal als Terrororganisation.
Dass die Hamas eine logistische Schaltzentrale in ihrem Land hat, wird von
türkischen Diplomaten und Vertretern des Sicherheitsapparats weder bestätigt
noch dementiert. “Nennen Sie es Büro oder was auch immer”, sagte ein Funktionär
hinter vorgehaltener Hand. Ein anderer hochrangiger Offizieller sekundierte:
“Die Hamas-Aktivitäten in der Türkei beschränken sich auf die Koordination von
humanitärer Hilfe und Medienarbeit.”
Ein jüngerer Bericht auf Al-Monitor zitiert einen
türkischen Diplomaten, der sagt: “Die Türkei führt einen Dialog mit der Hamas,
aber wird absolut nicht einer Terrororganisation erlauben, auf ihrem Boden zu
operieren.”
Hier kommt sprachliche “Kreativität” ins Spiel. “Die Türkei wird keiner
Terrororganisation erlauben, auf ihrem Boden zu operieren”. Ja und nein.
Ja, weil die Türkei offen erklärt, dass sie die Hamas nicht als
Terrororganisation betrachtet. Und nein, weil die Hamas in Wirklichkeit eine
Terrororganisation ist.
Im Januar sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet
Davutoglu: “Für uns ist die Hamas keine Terrororganisation; sie hat niemals
irgendeinen Terroranschlag verübt.”
Das war nicht Ankaras erste Volte zugunsten einer Organisation, die
geschworen hat, jeden einzelnen Juden auf der Erde zu töten. Präsident Erdogan
hat die Bewaffneten der Hamas als“Freiheitskämpfer” bezeichnet.
Im Dezember begrüsste Davutoglu Mashaal auf einem wichtigen
Kongress seiner Partei, der in Konya, in der Zentraltürkei, stattfand. Mashaal
nutzte die Bühne und beglückwünschte das türkische Volk “dafür, dass es Erdogan
und Davutoglu hat.” Es gab frenetischen Applaus, enthusiastisch wurden
palästinensische Flaggen geschwungen, und Tausende Anhänger der AKP schrieen:
“Nieder mit Israel!”
Das Ausmass der Hamas-Aktivitäten auf türkischem Territorium ist ein
offenes Geheimnis. Die Hamas und türkische Regierungsvertreter bezeichnen diese
Aktivitäten als humanitär. Mag sein. Aber auch die Entführung israelischer
Teenager und das Beschiessen israelischer Städte mit Raketen ist vielleicht in
den Augen der meisten Islamisten – türkischen wie palästinensischen – eine
“humanitäre Aktivität”.
Dass die Hamas Istanbul als Ort für ihr Büro gewählt hat, ist nicht völlig
ohne Bedeutung: Zehntausende Menschen gehen in Istanbul jedes Jahr auf die
Strassen, um den “Al-Quds-Tag” zu begehen, bei dem sie israelische und
amerikanische Flaggen verbrennen und singen: “Nieder mit Israel, nieder mit
Amerika!”
Burak Bekdil lebt in Ankara und ist ein türkischer Kolumnist für Hürriyet Daily
und ein Fellow des Middle East Forum. Übersetzung: Stefan Frank
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