Venezuela: Neues Kapitel beim Regime-Change-Versuch

Venezuela: Neues Kapitel beim Regime-Change-Versuch
Aus Solidarität mit der sozialistischen Regierung in Venezuela demonstrieren Menschen im Mexikos Hauptstadt gegen die Einmischung der USA.
In den vergangenen Wochen gab es in Venezuela drei Ereignisse, die auf die nächste Etappe beim Versuch des Regime Change hinweisen. Die Aktionen der Regierungsgegner deuten eine neue Umsturzstrategie an. Angriffe auf Kasernen sollen verunsichern und Konflikte innerhalb der Armee auslösen. 
 
von Maria Müller, Montevideo

Am 25. Juli raubte der Polizeioffizier Óscar Pérez an seinem Arbeitsplatz einen Polizeihubschrauber und flog in Begleitung einer zweiten Person zum Gebäude des Innenministeriums in der Hauptstadt Caracas. Von oben feuerte einer der Männer eine Gewehrsalve in die Umgebung der Dachterrasse. Dort befanden sich gerade 80 geladene Gäste auf einem Empfang. Anschließend warf der Attentäter zwei Handgranaten auf Ordnungskräfte, die jedoch nicht explodierten. Er überflog auch das Oberste Gericht. Es gab keine Verletzte. Óscar Pérez ist bis heute im Untergrund.

Am 5.Juli machte der gleiche Polizeioffizier erneut von sich reden. Diesmal hielt er per Video eine Ansprache, umringt von Vermummten. Sein Apell zum Widerstand richtete sich vor allem an die “Kameraden” in Polizei- und Militär. Der schwer bewaffnete Held macht auf Fotos in sozialen Netzwerken die Runde. Als nebenberuflicher Schauspieler hat er derartiges auch schon im Film inszeniert. Das Filmplakat zeigt die Nähe zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Das Konterfei des Polizisten Óscar Pérez, der am Umsturz der Regierung arbeitet, schmückt das Filmplakat.

Am 6. August kam es zu einer neuen Aktion im Militärbereich. Eine uniformierte Gruppe stürmte die Kaserne “Fort Paramacay” der Panzergrenadiere im Norden Venezuelas. Sie konnte Waffen und Munition entwenden. Acht Personen wurden festgenommen, zwei Angreifer erschossen, drei Soldaten durch Schüsse verletzt.

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Die Regierung informierte über eine Gruppe von 20 Männern, überwiegend Zivilisten in Uniformen sowie vier Militärs. Zehn Angreifer seien geflüchtet. Unter den Festgenommen soll sich auch ein desertierter Offizier namens Juan Carlos Caguaripano befinden, der nach einem Putschversuch im Jahr 2015 in die USA abgetaucht war. Zwei weitere Personen wurden eine Woche später verhaftet. Ein Teil der geraubten Waffen tauchten bei ihnen auf.

Bei dem Angriff wurde ein Flugblatt mit dem Titel “Operation David” zurückgelassen. Darin wird direkt zum Bürgerkrieg aufgerufen. Anhänger des “Castro-Chavismus” müssten damit rechnen, ab jetzt ein militärisches Angriffsziel zu sein.

Vor wenigen Tagen machte ein Video in den sozialen Netzen die Runde. Der Sprecher einer vermummten und schwer bewaffneten Gruppe verlas eine politische Erklärung. Es ist ein Aufruf gegen die “Diktatur Maduros”. Doch darin wird der dialogbereite Teil der Opposition, der sich an den Gouverneurswahlen im Dezember beteiligen will, scharf kritisiert.

Darin heißt es:
Ihr Herren Parlamentarier, die Zeit der geheimen Absprachen und Vereinbarungen zwischen Tyrannen und Verrätern ist zu Ende. Wir brauchen ehrenhafte Politiker, die die korrupten Führer überwinden.
Und weiter:
Kein Dialog und keine Wahlen. Ihr Herren Politiker, hört auf, das Volk weiter zu täuschen, nur um ein Stück von der Macht zu bekommen. Das wird uns nicht von dieser Diktatur befreien.
"Zeit für Dialog ist vorbei"
Über die Teilnahme an den Regionalwahlen waren die Parteien des Oppositionsbündnisses MUD bis vor kurzem gespalten. Noch vor drei  Monaten forderten sie von der Regierung, die um ein Jahr verzögerten Wahlen abzuhalten. Die Rückkehr zum Dialog ist ebenfalls umstritten. Er war im Januar des Jahres endgültig von der Opposition abgebrochen worden.

Schon im Dezember 2016 rief der OAS-Generalsekretär Luis Almagro dazu auf, den Dialog zu beenden und den Druck auf den Straßen zu erhöhen. “Die Zeit für den Dialog ist vorbei” schrieb er auf Twitter. Er rügte sogar die Opposition, weil sie die Straßenkämpfe ausgesetzt hatte, um Raum für einen friedlichen Dialog zu schaffen. "Das war ein Fehler", so Almagro. Damit arbeitete er gegen die damaligen offiziellen Beteuerungen selbst der Trump-Regierung und ihrer Verbündeten, man wolle in Venezuela den Dialog fördern.

Seitdem ist die “harte Linie” in der Opposition am Zuge. Luis Almagro profilierte sich als deren Stimme. Heute kehren seine Worte zurück. Die Vermummten, bis an die Zähne bewaffneten Gestalten versprechen ein neues Venezuela: “Kein Dialog, keine Wahlen, die Zeit dafür ist vorbei”. Und: “Wir beantworten jede Kugel mit einer Kugel”, heißt ihr Rezept für eine bessere Demokratie.
Aus diesen Sätzen der Video-Erklärung ist zu folgern, dass die Behauptung der Regierung sogar stimmt: der Angriff sei von einem 2015 nach Miami geflohenen Offizier angeführt worden. Hier hat die Falken-Community der USA politisch eingegriffen.

Eine Raffinerie der stattlichen venezolanischen Öl-Gesellschaft PDVSA in der Nähe von Cabrutica im Bundesstaat Anzoategui, 16. April 2016

Denn was bis vor kurzem noch eine Hypothese war, verdichtet sich immer mehr zur sichtbaren Strategie: In Venezuela soll Aufruhr unter den regierungstreuen Streitkräften provoziert werden. Das ebnet den Weg für einen ausländische Militäreinsatz. Bewaffnete Aktionen gegen militärische Einrichtungen sollen eine wachsende Bereitschaft zum Putsch vortäuschen. Ein solcher Zermürbungsprozess könnte dazu führen, dass regierungstreue Militärs im Chaos die politische Orientierung verändern und schließlich gegeneinander Fronten beziehen.

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Dann wäre der Zeitpunkt für eine kriegerische Intervention von außen reif. US-Präsident Trump hat gerade ein derartiges Eingreifen der USA in Venezuela nicht ausgeschlossen. In dieses Panorama passen keine weiteren Wahlen und Dialogprozesse. Hier greift die drastische Botschaft der Vermummten und Bewaffneten ein. Sie richtet sich gegen die Teile der Opposition, die eine weitere Eskalation nicht mehr wollen. Denn deren Anhänger sind nachdenklich geworden. Die Bevölkerung will keine Toten mehr. Die Furcht vor einem Bürgerkrieg ist da. “Wir müssen die Regierung dazu zwingen, die Repression immer weiter hochzuschrauben. Die Frage ist, wie weit die Bevölkerung bereit ist, mitzumachen”, erklärte ein Oppositionsführer in der Strategiediskussion noch Anfang des Jahres.

Das Rezept der Farbenrevolutionen könnte dennoch in Venezuela seine Grenzen finden. Der Wunsch nach Frieden wirkt offenbar bis in die Reihen des Oppositionsbündnisses MUD. Nach anfänglichem internen Zwist über die neuerliche Wahlbeteiligung scheint sich nun der gemäßigte Flügel durchgesetzt zu haben. Am Mittwoch den 9. August erklärten alle Parteien außer der von Maria Machado, dass sie ihre Kandidaten einschreiben und sich an den Wahlen beteiligen werden. Ein Licht am Horizont des geplagten Landes?

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