Hartmut Krauss
Demokratie unter
islamis(tis)cher
Vorherrschaft?
Zum Scheitern einer abwegigen Illusion
In Ägypten und der Türkei gehen breite Teile der
Bevölkerung auf die Straße und wenden sich gegen die weltlich-politische
Regulierungsherrschaft des Islam und seine „streng gläubigen“ Verfechter.
Im Rahmen dieser Rebellion wurde nun der ägyptische
Ministerpräsident der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, seines Amtes enthoben.
Unter dem Eindruck riesiger Massendemonstrationen antiislamistischer
Bevölkerungsteile sah sich das Militär zum Eingreifen veranlasst, zwang Mursi
zum Rücktritt und setzte ihn fest.
Auch in der Türkei demonstrieren große Gruppen der
städtischen Bevölkerung gegen die autoritäre und repressive Herrschaftsausübung
des staatsislamistischen AKP-Regimes. Damit zerbröckelt das auch in den hiesigen
Medien genährte Trugbild vom Aufblühen einer türkisch-islamischen Demokratie,
die unbedingt in die von Krisen gebeutelte EU aufgenommen werden soll.
Markiert der Sturz der Muslimbruderschaft einerseits
eine empfindliche Schlappe für die orthodoxen und radikalislamischen Kräfte
weltweit, so blamiert sich damit andererseits die Praxis der westlichen
Herrschaftsträger, reaktionäre und konservative islamische Regierungen,
Institutionen (OIC) und Verbände (zum Beispiel die im deutschen
Koordinierungsrat der Muslime zusammengeschlossenen Organisationen) zu hofieren,
schönzufärben, mit ihnen Allianzen einzugehen und willfährig deren Forderungen
zu erfüllen. Auch gegenüber dieser proislamischen Kollaboration wäre eine
Rebellion not-wendig.
Mehrheit aufgrund
traditionell-islamischer Vorherrschaft gleich Demokratie?
Die Aufstandsbewegungen des „Arabischen Frühlings“
richteten sich in breiter und erfolgreicher Form bezeichnenderweise zunächst nur
gegen säkular-autokratische Regime, die keine monarchistisch-islamische
(sunnitische) oder „priesterherrschaftliche“ Legitimation (wie im schiitischen
Iran[1])
vorweisen konnten (Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen, Syrien). Getragen wurden
diese Bewegungen in Ägypten und Tunesien von großen Teilen der jüngeren,
gebildeten, an neue Kommunikationsmedien gewöhnten, städtischen Bevölkerung, die
sich aufgrund der islamisch-patriarchalisch verursachten Überbevölkerung in
Relation zur Knappheit positioneller Güter wie Arbeitsplätze, Wohnungen,
Karrieremöglichkeiten etc. um ihre Lebenschancen betrogen sahen und sehen[2].
Über eine eingeübte und gefestigte politisch-organisatorische Tätigkeitsstruktur
oder gar über eine tradierte und soziokulturell verankerte fortschrittliche
Protestkultur verfügten diese Kräfte nicht bzw. nur sehr rudimentär.
Demgegenüber konnten und können die orthodoxen und
radikalislamischen Kräfte auf ein weit verzweigtes und kulturhistorisch
gefestigtes „Hinterland“ bauen:
Erstens auf die Tradition eines gewohnheitsmäßig
verfestigten (unreflektierten) „Alltagsislam“, der ohne ein
ebenbürtiges/alternatives Gegenkonzept eine alleinherrschaftliche
Normierungsmacht ausübt. Zweitens auf die Bildungsferne und Unmündigkeit
(und damit „Kommandierbarkeit“) großer Teile der analphabetischen
Landbevölkerung und drittens auf die langjährige Organisationserfahrung
der Muslimbruderschaft samt ihrer zum Teil noch radikaleren Umfeldgruppen.
Das säkular autokratische Mubarak-Regime hatte dieses
herrschaftskulturelle Dominanzverhältnis nicht etwa außer Kraft gesetzt, sondern
lediglich mit seinen kleptokratischen und repressiven Strukturen überformt[3].
Vor dem Hintergrund dieses „gewachsenen“
politisch-kulturellen und politisch-organisatorischen Kräfte- und
Chancenungleichgewichts war es absehbar, dass die islamischen Parteien die
Wahlen gewinnen würden: Die Partei „Freiheit und
Gerechtigkeit“ der Muslimbruderschaft erzielte 47 Prozent der Stimmen und die
salafistische al-Nour-Partei („Partei des Lichts“) gewann 24 Prozent. Erinnern
wir uns: Auch die NSDAP erzielte bei den letzten Reichstagswahlen am 5. März
1933 43,9 Prozent und die „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“, ein Zusammenschluss aus
Deutschnationaler Volkspartei, Stahlhelm und Landbund, kam auf 8 Prozent.
Grundsätzlich ist gegenüber
oberflächlichen und auch deshalb verfehlten Sichtweisen Folgendes festzustellen:
Der Ausdruck von Mehrheitsverhältnissen in Wahlen ist an und für sich noch kein
hinreichendes Kriterium für „Demokratie“. Insbesondere dann nicht, wenn a)
aufgrund jahrhundelanger Dominanz einer religiös-vormodernen (hier: islamischen)
Herrschaftskultur darauf basierende reaktionäre Kräfte im Gegensatz zu
fortschrittlich-emanzipatorischen Akteuren ein gesetzmäßiges Übergewicht an
Einflussmöglichkeiten besitzen (strukturelle Chancenungleichheit) und b)
gesellschaftlich noch gar keine realdemokratischen Prinzipien im Rechtssystem,
im staatlichen Institutionengefüge, im Bildungssystem, in der Zivilgesellschaft
(einschließlich Medien) und in der Alltagskultur verankert sind. Unabdingbare
Prinzipien, ohne deren Umsetzung nicht von wirklich demokratischen Verhältnissen
gesprochen werden kann, sind insbesondere die folgenden:
1. Strikte Ersetzung des
vormodernen Prinzips der ungeteilten „Gottessouveränität“ durch das Prinzip der
säkularen Volkssouveränität
2. Verbindliche Einhaltung der
Inhalte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. (Persönliche Freiheit und
Gleichberechtigung als zentrale Güter)
3. Trennung von Religion
einerseits und Staat sowie Recht andererseits
4. Gewaltenteilung
5. Gleichberechtigung und
Gleichbehandlung aller weltanschaulichen Gruppen der Gesellschaft, sofern sie
auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Verfassung stehen und diese nicht
negieren. (Demokratischer Pluralismus)
6. Rechtsbindung der Regierung
und Gleichheit vor dem Gesetz
7. Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit als
Grundlagen einer pluralen und chancengleichen Öffentlichkeit
8. Etablierung einer Bildungs- und Wissenskultur, die den
Einzelnen Motivation und Kompetenzen vermittelt, die zur Teilhabe am
demokratischen Willensbildungsprozess unabdingbar sind. (Keine Demokratie ohne
Partizipationsfähigkeit!)
Nur dort, wo die Bevölkerung sich vom repressiven Druck
vormoderner Traditionen und Dogmen befreit, wird sie nicht länger als Stimmvieh
reaktionärer Mächte fungieren, sondern sich zu mündigen Citoyens entwickeln.
Antidemokratischer
Missbrauch der islamistischen Machtpositionen
Nachdem die islamistischen Kräfte sich bei der
Anti-Mubarak-Revolte zunächst noch im Hintergrund gehalten hatten, kamen sie
nach dem Sturz des alten Regimes aus der Deckung, nutzten die neuen
Handlungsmöglichen der Übergangswirren zu ihren Gunsten und kaperten - gestützt
auf ihren soziokulturellen Einflussvorsprung - nach und nach die politischen
Machtpositionen. Jenseits von taktischer Rhetorik war ihr Ziel mitnichten der
Aufbau eines demokratischen Systems und die Einhaltung der damit gesetzten
Regularien. Vielmehr ging und geht es ihnen um die Errichtung eines islamischen
Staates als Kerninstanz eines religiös-autoritären Herrschaftssystems.
Präsidialdiktatorische Maßnahmen
Bereits kurz nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident
eignete sich Mursi die legislative Macht des Militärrats an und verfügte dann im
November 2012 „Verfassungsergänzungen“, die es ihm erlaubten, in diktatorischer
Form oberhalb des Rechts zu agieren. So war vorgesehen, dass er seinerseits
jedes Gerichtsurteil außer Kraft setzen konnte, es aber andererseits den
Gerichten untersagt war, die präsidialen Verordnungen auf ihre
Verfassungskonformität zu überprüfen und ggf. zu blockieren[4].
Vertreter der Opposition bezeichneten Mursi deshalb als „neuen Pharao“. Mursi
selbst proklamierte seine diktatorischen Selbstermächtigungsmaßnahmen als
„revolutionäre Akte“[5]
und rief seine islamistische Anhängerschaft zur Unterstützung auf die Straße,
was die gesellschaftspolitische Polarisierung zwischen dem islamistischen und
dem antiislamistischen Lager enorm anheizte.
Regimekonforme Personalpolitik
Schon zuvor hatte Mursi wichtige Gouverneursposten mit
Muslimbrüdern besetzt und die Tötung von 16 Grenzsoldaten auf dem Sinai zur
Entmachtung des Militärrats genutzt. Dessen Vorsitzender, Muhammad Hussein
Tantawi, wurde in den Ruhestand geschickt und der Generalstabschef Sami Annan
entlassen[6].
Repression kritischer Berichterstattung
Parallel hierzu ging das Regime Mursi im Interesse
herrschafts- und islamkonformer Berichterstattung immer wieder massiv gegen
kritische Journalisten und gegen die Pressefreiheit vor. In den staatlichen
Zeitungen wurden proislamistische Chefredakteure eingesetzt und mit
Gerichtsentscheiden der nunmehr islamisierten Rechtsorgane oppositionelle Medien
verboten. Beispielsweise wurde die Zeitung „Al Dustur“ (die Verfassung)
wegen des „Schürens von Aufruhr“ und
„Beschädigung des Präsidenten durch gesetzlich strafbare Sätze und Wörter“
beschlagnahmt[7].
Noch kurz vor der Absetzung Mursis wurden
Zwangsmaßnahmen gegen regierungskritische Fernsehsender ergriffen. „Gegen den
Besitzer des Senders CBC, Mohammed al-Amin, wurde wegen mutmaßlicher
Steuerhinterziehung ein Reiseverbot verhängt. Die Polizei sei in der Nacht mit
einem Haftbefehl gegen den Betreiber von ‚Al-Faraein’, Tawfik Okascha, im Studio
des Senders erschienen, berichtete ein Mitarbeiter des Senders.“[8]
Islamisierung der Verfassung
Nachdem sich die nichtislamistischen Oppositionskräfte aus
der Verfassungsgebenden Versammlung zurückgezogen hatten, so dass ausschließlich
islamistische Vertreter übrig blieben, wurde Ende November 2012 in einer
19-stündigen Marathonsitzung ein 236 Paragraphen umfassender Verfassungsentwurf
verabschiedet. In einem Referendum wurde dann am 15. und 22. Dezember 2012 der
Entwurf mit 64% der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von nur 33% angenommen[9].
Später wurde dann der Verfassungstext vom Obersten Gericht für ungültig erklärt.
Zwar enthält der Entwurf zahlreiche Aussagen und Formulierungen, die westlichen
Absichtserklärungen und normativen Rhetoriken ähneln. Aber mit Recht sahen die
Oppositionskräfte darin einen verkappten Schritt zur Schaffung eines
Gottesstaates. So wird in Artikel 2 der Islam - wie schon in der zuvor gültigen
Verfassung - zur Staatsreligion erklärt und darüber hinaus festgelegt, dass „die
Prinzipien der islamischen Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung“ sein
sollen. In Artikel 4 wird zudem den islamischen Gelehrten der
Al-Azhar-Universität verklausuliert eine letztgültige
Definitionsvollmacht in Gesetzgebungsfragen eingeräumt: „Basis sind die
Ansichten der leitenden Wissenschaftler rund um alle Fragen in der Sharia.“[10]
Zwar wird in Artikel 45 in abstrakter Form die Meinungsfreiheit verkündet. Aber
was ist diese Erklärung wert, wenn unmittelbar zuvor in Artikel 44 die
„Beleidigung“ Mohammeds und nicht näher bezeichneter Propheten verboten wird?
Zwar wird abstrakt religiöse Glaubensfreiheit beschworen, aber negative
Religionsfreiheit nicht erwähnt. Rechte für Religionsfreie oder gar für
nichtreligiöse Weltanschauungen bleiben demgegenüber völlig ausgespart. Während
die Gleichberechtigung der Frauen nicht explizit erwähnt wird, gleichfalls aber
die überragende Geltung der Scharia betont wird, müssen auch die kruden Aussagen
in Artikel 10 als Festschreibung der islamisch-patriarchalischen
Ungleichstellung der Geschlechter interpretiert werden, wenn dort von der
„inhärenten Natur der ägyptischen Familie“ die Rede ist und deren Funktion für
den „Schutz der moralischen Werte“ betont wird.
Repressive Auswirkungen der islamistischen
Vorherrschaft auf „Ungläubige“ und Nonkonforme
Unabhängig von anderen realitätsabstrakten Proklamationen
wirkt sich islamische Herrschaft (als „Staatsreligion“ und „Hauptquelle der
Gesetzgebung“) immer auch als weltlicher Sittenterror gegenüber Verhaltensweisen
und Einstellungen aus, die nicht islamkonform sind und somit den Verdacht auf
sich ziehen, „gotteslästerlich“ zu sein oder „Glaubensabtrünnigkeit“ anzuzeigen[11].
So ist es kein Zufall, dass sich nach dem Machtantritt der Islamisten
gewalttätige Übergriffe gegen die Minderheit der koptischen Christen häuften und
groteske Urteile wegen „Beleidigung des Islam“ merklich zunahmen[12].
Während allein das offene Bekenntnis zum Atheismus hohe Geld- oder
Gefängnisstrafen nach sich ziehen kann, fördert die koranisch normierte
Überwachungsgemeinschaft der Islamgläubigen[13]
boshaftes Denunziantentum, wie man es aus den totalitären Systemen des
Nationalsozialismus und des Stalinismus kennt. So wurde zum Beispiel eine
24-jährige koptische Lehrerin von dreien ihrer Schüler
beschuldigt, während des Unterrichts blasphemische Äußerungen gemacht zu haben,
als sie den Pharao Akhenaton erwähnte, der die Anbetung eines einzigen Gottes,
nämlich des Sonnengottes, eingeführt hatte. Zudem sollte sie angeblich den
ehemaligen koptischen Papst Schenuda III mit dem Propheten Mohammed verglichen
und bei der Erwähnung des Letzteren eine abfällige Geste gemacht haben. Aufgrund
dieser Beschuldigung wurde die junge Frau zu einer Geldstrafe von 100.000
ägyptischen Pfund verurteilt.[14]
Ebenso sind Kunstschaffende aufgrund der dem Islam eingeschriebenen Kunstphobie
Zielscheibe von Blasphemievorwürfen. Ein Gericht in Kairo verurteilte den
bekannten Schauspieler Adel Imam (71), gegen den ein Salafist geklagt hatte,
wegen der in seinen satirischen Rollen zum Ausdruck gebrachten
Geringschätzung islamischer Werte und der Scharia zu
170 Dollar Strafe und drei Monaten Gefängnis[15].
Gegen den islamkritischen
deutsch-ägyptischen Politologen Hamed Abdel-Samad wurde vom Scheich Assem
Abdel-Maged, einem führenden Mitglied der islamistisch-terroristischen
Organisation Gamaa Islamija ein ernstzunehmender Mordaufruf verkündet, der über
das ägyptische Fernsehen und Facebook verbreitet wurde[16].
Mursi und das Regime der Muslimbruderschaft distanzierten sich nicht etwa von
dieser Todesfatwa, sondern Mursi schloss den gesinnungskonvergenten Mordaufrufer
bei einem Emfang vor laufender Kamera demonstrativ in die Arme. Einmal mehr
zeigte sich damit, dass zwischen „moderaten“ Islamisten (ein semantisches
Täuschungskonstrukt westlicher Islamaplogeten zur Besänftigung der
Öffentlichkeit), radikalen Salafisten und militanten Islamisten (Terroristen)
keinesfalls Wesensunterschiede bestehen, sondern lediglich handlungstaktische
Differenzierungen im Rahmen einer arbeitsteiligen Gesamtstrategie zur Eroberung
islamischer Herrschaftspositionen.
Eine berühmt gewordene Aussage
des islamistischen Aktivisten Mohammad Seif fasst das multiple Feindbild der
Muslimbrüder zusammen: „Juden, Christen, Zionisten, Baradei-Anhänger,
Säkulare, Fuloul, Atheisten, Homosexuelle, Satanisten, Tänzerinnen, Künstler,
Diebe, Agenten, Mubarak-Gefolgschaft, Mubaraks Partei, und die Medien von Sodom
in Gomorra, alle gegen den Islam“.[17]
Frauen als Opfer des Sittenterrors[18]
Ein besonders brutaler Ausdruck
des islamischen Sittenterrors sind gewalttätige sexistische Übergriffe und
Vergewaltigungen von Frauen, die sich offensichtlich der männlichen
Überwachungsherrschaft entziehen, indem sie sich allein in der Öffentlichkeit
aufhalten und sich dabei sogar noch politisch betätigen; zum Beispiel an einer
Protestdemonstration gegen die Muslimbrüder und Salafisten teilnehmen. So war
insbesondere der Tahrirplatz als zentraler Kundgebungsort immer wieder
Schauplatz von blitzartigen Rudelvergewaltigungen als Indikator islamistischer
Dezivilisierung. „Die Täter, die in Banden organisiert sind, gehen immer nach
dem gleichen Muster vor. Sie umringen ihr Opfer, trennen es von seinen
männlichen Begleitern, reißen der Frau die Kleider vom Leib und machen sich dann
über sie her. Augenzeugen, die einschreiten wollen, werden zusammengeschlagen
oder wüst beschimpft. In der Vergangenheit hatten erzkonservative Kleriker aus
dem islamistischen Lager mehrfach den angegriffenen Frauen die Schuld gegeben.
Nach der
Scharia sei ihnen
nicht erlaubt, sich unter Männer zu mischen, erklärten sie. Frauen hätten auf
dem Tahrir-Platz nichts zu suchen.“[19]
Dahinter verbirgt sich als islamisches Grundnormativ die angeblich von Allah
gewollte Unterordnungs- und Gehorsamspflicht der
Frauen einerseits und das Sanktionsrecht der Männer gegenüber ungehorsamen und
„widerspenstigen“ Frauen andererseits. Ganz in diesem Sinne „legte die
Muslimbruderschaft formell Einspruch gegen den Entwurf einer UN-Resolution zur
Verurteilung der Gewalt gegen Frauen ein. Als Begründung listete sie die
folgenden Bestandteile ihres Programms auf: Erstens müsse die Möglichkeit
einer Ehefrau, zu verreisen, zu arbeiten oder ein Verhütungsmittel anzuwenden
von der Zustimmung des Ehemannes abhängig gemacht werden. Zweitens
dürften Töchter nicht dieselben Erbrechte besitzen wie Söhne. Drittens
dürfe es Frauen nicht gestattet werden, ihre Ehemänner wegen Vergewaltigung zu
verklagen. Viertens dürfe der Ehemann gegenüber seiner Frau keine
‚Partnerschaft’ eingehen, sondern müsse stattdessen eine ‚Wächterrolle’
übernehmen.“[20]
Kein Durchbruch zur
Demokratie ohne antiislamistische Durchsetzungsfähigkeit
Demokratie, gesellschaftliche Modernisierung und soziale
Höherentwicklung sind ohne nachhaltige Ausschaltung des Islam als weltliche
(rechtliche und politische) Regulierungsmacht - noch dazu mit absoluten
Geltungsansprüchen - nicht möglich. Der Islam ist nicht die Lösung, sondern ein
zentrales Problem. Verhindert der islamische Patriarchalismus zum einen die
Reduktion des Widerspruchs zwischen Bevölkerungswachstum und knappen
positionellen Gütern[21],
so schreckt zum anderen speziell in Ägypten der aggressive Sittenterrorismus der
Islamisten die westlichen Touristen ab und verschärft somit entscheidend die
sozialökonomische Krisenlage durch Wegfall entsprechender Einnahmequellen. Schon
häufen sich Berichte, dass sich Teile der ägyptischen Landbevölkerung, die bei
den Wahlen noch materiell korrumpiert worden waren, nun aus wirtschaftlicher
Enttäuschung von den Islamisten abwenden.
Dass sich die Muslimbrüder mit der Entmachtung ihres
Präsidenten einfach abfinden und nicht versuchen würden, ihre Symbolfigur zu
befreien, war nicht zu erwarten. Ihr islamspezifischer Gottesfanatismus reagiert
auf Widerstand und Gegenwehr grundsätzlich multiinstrumentell gewalttätig.
Obsiegt die islamische Gewalt/Konterrevolution, wird sie als göttlich
legitimiert beschworen, obsiegt die Gegenseite, wird sofort ein Märtyrerkult
inszeniert, Rache geschworen und die selbstverschuldete Gegengewalt ebenso
demagogisch wie selbstgerecht als „Massaker“ verteufelt[22].
Eine rationale Verhandlungslösung mit diesen Kräften ist nicht möglich. Hier
geht es jetzt und in Zukunft schlicht um die Beantwortung der Frage „Wer wen?“
Sollte sich ein stabiles Bündnis zwischen dem Militär und dem
säkular-demokratischen Lager herausbilden, bestünde eine Chance, den
Übergangsprozess in vernünftige Bahnen zu lenken und die Front der Islamisten in
Schach zu halten. Das setzt allerdings die Überwindung solcher Paradoxien
voraus, dass nach dem Sturz Mursis ausgerechnet die mit dem Muslimbrüdern um den
„wahren Islam“ rivalisierenden Salafisten blockierenden Einfluss auf die
Ernennung des Übergangspräsidenten ausüben konnten. Wer Beelzebub vom Tisch
weist, sollte nicht mit dem Teufel frühstücken.
Neben dem palästinensischen Ableger Hamas stellte sich
ausgerechnet das türkische AKP-Regime an die Seite der Muslimbruderschaft und
beging einen Akt unverhohlener Bigotterie, als ihr Außenminister Davutoglu vor
dem Hintergrund der wochenlangen gewaltsamen Unterdrückung der einheimischen
Protestbewegung die Gewalt „im Namen der fundamentalen Werte der Menschlichkeit“
verurteilte[23].
Auch auf der Jubelkundgebung der Erdogan-Anhänger in Düsseldorf (07.07.2013)
übten sich die ca. 20.000 von der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“
zusammen gekarrten Teilnehmer in faschistoider Führerhuldigung, demagogischer
Propaganda und Einschüchterungspose gegenüber deutschen Medien („zionistscher
SPIEGEL“) und AKP-Kritikern. Angeblich für „Integration“ und „Toleranz“
eintretend war auf einem Plakat zu lesen, was hinter diesen zur Irreführung von
naiven deutschen und europäischen „Interkulturalisten“ gedachten Schlagworten
wirklich steckt: „Heute Europa, morgen die Welt, ohne Türkei hat es keinen
Wert“. Während die „Deutschtürken“ vom AKP-Sprecher mit den Worten angerufen
wurden: „Unser Vaterland ist die Türkei, egal auf welchem Boden wir leben, die
Verbindung zum anatolischen Boden ist stärker“, erschallten lautstarke
Sprechchöre: „Verflucht sei Israel, verflucht sei Israel“. Später dann „Mursi,
Mursi“-Rufe der Menge, als der AKP-Vertreter den Westen angreift und lauthals
erklärt: „Wir dagegen, die Türkei, stehen für Demokratie, Rechtsstaat und
Menschenrechte“.[24]
Laut der „Studie zu Deutsch-Türkischen Lebens- und
Wertewelten 2012“ würden 61% der Türken in Deutschland die AKP wählen und 10%
die rechtsextremistische MHP (Partei der nationalistischen Bewegung)[25].
Da sage doch mal einer, die „liberalen Muslime“ in Deutschland seien in der
Minderheit[26]
…
(Osnabrück, 11. Juli 2013)
[1] Zur
antiislamistischen Rebellion im Iran anlässlich der vorletzten
Präsidentschaftswahlen vgl. Krauss 2009:
Zur Einschätzung
der letzten Präsidentschaftswahl im Iran siehe Küntzel 2013
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/16314
und Hager/Sahin 2013
http://nrw.saekulare-gruene.de/rohani-ist-nicht-sakular-und-nicht-fur-alle-dies-hat-auch-niemand-behauptet/
[2] „Je stärker die
beherrschte und abhängige Ungleichstellung der Frauen ausgeprägt ist,
desto höher die durchschnittliche Kinderzahl und desto knapper sind die
positionellen Güter wie Arbeitsplätze, Karrieremöglichkeiten, Wohnungen
etc. - kurzum: Lebenschancen - für die nachwachsenden Generationen.
Daraus folgt: Je länger eine umfassende soziokulturelle
Modernisierungsrevolution auf Kosten der orthodox-islamischen
Normativität hinausgezögert und die „muslim youth bulge“ (der
muslimische Jugendüberschuss) nicht nachhaltig reduziert wird, desto
katastrophaler könnten die gesamtgesellschaftlichen und globalen Folgen
sein.“ (Krauss 2011):
http://www.hintergrund-verlag.de/texte-islam-aufruhr-im-morgenland.html
[3] Nach
Umfrageergebnissen des Pew Research Center vom Frühjahr 2010 hatten 20
Prozent der ägyptischen Muslime ein positives Bild von Al Qaida und
Osama Bin Laden. 30% äußerten sich positiv über die Hisbollah und 49%
positiv über die Hamas. 95% befürworteten eine starke Einflussnahme des
Islam auf die Politik. Von denjenigen Ägyptern, die einen Konflikt
zwischen gemäßigten (Modernizers) und radikalen Muslimen
(Fundamentalists) in ihrem Land wahrnehmen (31%), identifizierten sich
59% mit den radikalen und 27% mit den gemäßigten Kräften. Für eine
Geschlechtertrennung am Arbeitsplatz sprachen sich 54% aus. Stark
verankert ist auch die Zustimmung zu den klassisch-orthodoxen
Scharia-Strafen: 82% der ägyptischen Muslime befürworten die Steinigung
für begangenen Ehebruch; 77% die Amputation der Hand für Diebstahl und
Raub und 84% die Todesstrafe für Abfall vom muslimischen Glauben
(Apostasie).
http://pewglobal.org/2010/12/02/muslims-around-the-world-divided-on-hamas-and-hezbollah/
[4] Mursis Dekret vom
22.11.2012 lautete: „Alle Verfassungszusätze, Entscheidungen und Gesetze
des Präsidenten sind endgültig, gegen sie kann kein Rechtsmittel mehr
eingelegt werden“.
http://www.atheisten-info.at/infos/info1160.html
[5] Aus der Sicht der
Islamisten sind alle Handlungen „revolutionär“, die dazu dienen, dem
Ziel der Errichtung einer islamischen Gottesdiktatur/Theokratie näher
zukommen und Widerstand von Nichtmuslimen, Abweichlern und Abtrünnigen
zu beseitigen.
[9] Obwohl die
islamistischen Kräfte im Rahmen einer Einschüchterungskampagne die
Zustimmung - insbeondere gegenüber der bildungsfernen Landbevölkerung -
zur religiösen Pflicht erklärt hatten, blieb die Beteiligung an der
Abstimmung damit sehr gering.
[11] Vgl. Krauss 2013:
Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung. Ein
analytischer Leitfaden
[13] „Ihr (Gläubigen)
seid die beste Gemeinschaft, die unter den Menschen entstanden ist. (…)
Ihr gebietet, was recht ist, verbietet, was verwerflich ist, und glaubt
an Gott“ (Der Koran, Sure 3, Vers 110,).
[16] Abdel Samad hatte
nach eigenen Angaben auf einer Vortragsveranstaltung der säkularen
Bewegung in Ägypten der Muslimbruderschaft „islamischen Faschismus“
vorgeworfen und gesagt, dass dieser Faschismus in der
Entstehungsgeschichte des Islam begründet ist.
[18] Zum extrem hohen
Grad der sexistischen Übergriffe auf Frauen in Ägypten vgl. die Studie
„Study on Ways and Methods to Eliminate Sexual Harassment in Egypt“
http://www.unwomen.org/wp-content/uploads/2013/02/Sexual-Harassment-Study-Egypt-Final-EN.pdf
[21]
Schon heute liegt die Jugendarbeitslosenquote in den arabischen Ländern
doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnittswert. Insgesamt wird
davon ausgegangen, „dass die arabischen Länder bis 2020 etwa 51
Millionen neue Arbeitsplätze benötigen.“ Arabischer Bericht über
menschliche Entwicklung 2009. Herausforderungen für die menschliche
Sicherheit in den arabischen Staaten (Kurzfassung), S. 12.
[22] Wer sich bereits vom
geistig-moralischen Tiefstand großer Teile der politischen Klasse und
der Medien überzeugt hat, wundert sich nicht, dass Guido Westerwelle im
Nachhinein das Regime Mursi als „demokratische Ordnung“ schönfärbt oder
zum Beispiel die FAZ die opferideologische Sprachregelung der
Muslimbruderschaft übernimmt und von „Massaker“ spricht. Hier dürfte der
Einfluss ihres Islamkorrespondenten Rainer Herrmann eine Rolle spielen,
der im Beirat des Frankfurter Gülen-Vereins mit dem fadenscheinigen
Logennamen „Forum für interkulturellen Dialog - FID“ sitzt.
http://www.fidev.org/front_content.php?idcat=55
[23] Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 9. Juli 2013, S. 2.
[24] Report München.
Sendung vom 9. Juli 2013 ARD
http://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/report-juli-100.html
[26] Zwar gibt es
erfreulicherweise eine Minderheit von Menschen, die als Zwangsmuslime
geborenen wurden und sich später von den dogmatischen Grundinhalten des
Islam sowie von dessen weltlich-politischen Normierungsansprüchen
lossagen. Aber es gibt keinen liberalen Islam.
http://www.citizentimes.eu/2013/06/02/es-gibt-keinen-liberalen-islam/
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