Von
unserer Einstellung zur Frage der Wiedergeburt hängen die Antworten auf
viele andere wichtige Fragen ab. Nehmen wir zum Beispiel das Problem des
Leidens. Jeder von uns weiß, dass ein einziger Anruf, ein Arztbesuch oder ein
unvorsichtiger Autofahrer genügt, um unser Leben zu vernichten. Wie sollen wir
mit den scheinbar unerklärlichen Katastrophen umgehen, die unser Leben so
leicht zerstören können, indem sie Beziehungen abrupt beenden und unsere Träume
wie Seifenblasen zerplatzen lassen? Das Leben um uns herum ist so voller
Gemeinheit, so voll schreiender Ungerechtigkeit, dass es kaum gerechtfertigt
scheinen kann anzunehmen, das Universum, in dem wir leben, lasse eine sinnvolle
Deutung zu oder es unterstütze uns gar bei der Verfolgung unserer geheimsten Wünsche.
Oberflächlich betrachtet, erscheint das Leben grausam und erbarmungslos,
scheinen wir den Launen des blinden Zufalls hilflos ausgeliefert zu sein, unfähig,
unser Geschick selbst zu bestimmen.
Jeden Abend wird
uns auf dem Fernsehschirm von neuem die Litanei der Ereignisse vorgebetet, die
unser Leben vernichten I können. Eine Frau, die den Arger über ihren Chef noch
nicht überwunden hat, fährt bei Rot über die Kreuzung und stößt mit einem Auto
zusammen, in dem ein Ehepaar und sein Baby sitzen.
Die Frau und das Baby werden getötet. Ein Mann flippt aus, läuft Amok und schiesst
in einem Einkaufszentrum wahllos in die Menge. Wenn wir täglich von solchen
Ereignissen hören, wie sollen wir dann nicht zu der Auffassung gelangen, dass
unser Dasein einem Drahtseilakt über einem Abgrund blinden Zufalls gleicht, der
ständig alles, was wir lieben, zu verschlingen droht? Wenn tragische
Vorkommnisse wie diese wirklich sinnlos sind, dann besitzt unser Leben keine
Ordnung und unser Schicksal keine Logik. Ohne Ordnung ist das Leben zufällig,
und wenn es zufällig ist, ist es tragisch. Ohne Sinn können wir zwar überleben,
aber wir können uns nie entspannen. Letztlich können wir uns nie sicher fühlen,
weil wir wissen, dass dem Leben nicht zu trauen ist. Denn unsere tiefsten
Bedürfnisse sind ihm gleichgültig, und es honoriert unsere aufrichtigen
Bemühungen nicht. Wenn auch nur ein Menschenleben vergeudet, auch nur einem
menschlichen Wesen vom Leben übel mitgespielt wird, dann ist das Universum
ungerecht, und niemand kann ihm trauen.
Unsere Einstellung
zu den vom Leiden der Menschen aufgeworfenen Fragen unterscheidet sich
grundlegend je nachdem, ob wir von der Annahme ausgehen, dass unser Leben auf
der Erde einmalig ist, oder ob wir es als Glied in einer Kette von vielen Leben
betrachten. Wenn wir nur komplizierte physikalische Gebilde sind, die ihr
Dasein einer Spontanmutation verdanken, wie so viele heute meinen, dann hat
unser Leben und alles, was in ihm geschieht, natürlich keinen echten Sinn ausser
dem, den wir ihm durch einen heroischen Willensakt zuschreiben - ganz im Sinne
des Existentialismus. Wenn die physikalische Welt die einzige Welt ist, die es
gibt, und wir mit unserem Körper sterben, dann leben wir in einer nur von
Notwendigkeit und Zufall bestimmten, ohne Ziel und Zweck operierenden Welt. Uns
bleibt dann nur die Aufgabe, aus unserer Lage das Beste zu machen und zur
Risikominderung an der technischen Weiterentwicklung zu arbeiten.
Die andere mögliche
Haltung ist die des westlichen religiösen Denkens, das annimmt, dass wir den
Verlust des Körpers überleben und entschädigt
werden durch ein Leben nach dem Tode, das die Ungerechtigkeiten des irdischen
Daseins in der Ewigkeit ausgleicht. Leider liefert diese Auffassung keine
Erklärung für ebendiese Ungerechtigkeiten, die als Ausdruck des Willens Gottes
verstanden werden, ohne dass wir jedoch letztlich begreifen könnten, warum Gott
sie zulässt. Den jahrhundertelangen Debatten zum Trotz ist die christliche
Theologie nie imstande gewesen, auf befriedigende Weise zu erklären, wie sich
das Leiden der Menschheit mit dem Glauben an einen all-liebenden, all-mächtigen
und all-wissenden Gott vereinbaren lässt. So ist das Problem des Leidens zu
einem Teil des göttlichen Mysteriums geworden.
Doch die
Seelenqual, die das Problem des Leidens in der westlichen Theologie traditions
gemäss begleitet, und die daraus folgende Unerforschlichkeit Gottes sind uns
nicht durch die Offenbarung, sondern durch die fragwürdige Annahme aufgezwungen
worden, dass wir nur einmal auf der Erde leben. Sobald wir die andere
Möglichkeit ins Spiel bringen, dass wir nämlich viele Lebenszyklen hier
durchlaufen und die Erfahrungen, die wir jeweils in einem bestimmten Zyklus
machen, nur im Kontext der anderen begriffen werden können, wird die Welt mit
einem Mal vielschichtiger, aber auch menschlicher. Sobald wir dazu übergehen,
die Rhythmen des Lebens vom reinkarnationistischen Standpunkt aus zu
betrachten, verwandelt sich das Chaos um uns herum in eine Symphonie von
erlesener Komplexität und Schönheit. Arbeiten, die in einem Jahrhundert
begonnen wurden, werden in einem anderen fortentwickelt und in einem dritten
abgeschlossen. Entscheidungen, die in einem Leben getroffen wurden, offenbaren
ihre Folgen in anderen Leben. Alles wird in der Zeit bewahrt, nichts geht
verloren.
Seit mehreren
Jahrhunderten führt uns die Wissenschaft die unglaubliche Pracht und
Herrlichkeit des von uns bewohnten Universums vor Augen. Von der Ebene des
Makrokosmos, wo Galaxien entstehen und vergehen, bis hin zum Mikrokosmos, wo die Partikel nur die «Tendenz haben zu
existieren», zeigt e~ nicht nur eine schier unheimliche Präzision, sondern auch
einen Einfallsreichtum und eine Schönheit, deren Reiz wir uns nicht entziehen
können. Auf jeder ihrer Ebenen ist die Natur ein Kunstwerk. Wohin wir in der
physikalischen Welt auch unsere Augen wenden, überall herrschen Ordnung und
Intelligenz. S Doch sobald wir uns der Betrachtung unseres eigenen Lebens
zuwenden, scheint diese Ordnung zu entschwinden; so jedenfalls stellt es sich
uns seit dem Zeitalter der Aufklärung dar. Alles um uns herum unterliegt dem
Gesetz von Ursache und Wirkung, nur auf der existentiellen Ebene des Lebens
scheint der Zufall zu herrschen. Ursache und Wirkung mögen das Wetter, unsere
Physiologie, ja sogar unsere Psyche bestimmen, doch über das Schicksal scheinen
sie keine Macht zu haben. So sind wir in dem Bereich, der für uns am
wichtigsten ist, von der Ordnung abgeschnitten, welche die Welt um uns herum
bestimmt. Wenn es sich wirklich so verhält, dann ist die Schönheit eines grossartigen
Sonnenuntergangs nichts als ein grausamer Scherz, denn unser Leben hat an jener
Schönheit ebenso wenig Anteil wie an der Ordnung, die sie hervorgebracht hat.
Doch ist es nicht
die Beobachtung von Tatsachen, die uns zu der Vermutung nötigt, dass der
existentielle fluss des menschlichen Lebens nichts mit der das physikalische
Universum durchdringenden Ordnung und Majestät gemein hat, sondern die Annahme,
dass unser Leben in dem Moment zu Ende ist, wo der physische Körper zerfällt.
Sobald wir zu einer reinkarnationistischen Sichtweise übergehen, entdecken wir
die Kausalität, die wir vorher nicht sehen konnten. Der Gedanke der
Wiedergeburt ist fast immer mit der Vorstellung von Ursache und Wirkung
verbunden, die unsere vielen Leben zu einer sinnvollen Abfolge zusammenfasst.
Dieses kausale Prinzip wurde im alten Indien als Karma bezeichnet, und unter
diesem Namen ist es auch heute den meisten bekannt, die mit diesem Gedanken
vertraut sind. Dem Gesetz des Karma zufolge gibt es im Leben keinen Zufall.
Selbst jene Ereignisse, die scheinbar grundlos geschehen, beruhen auf Ursachen, die tief im Schoß der Geschichte verborgen
sind. Der Karma-Gedanke enthüllt die gesetzmäßige Abfolge von Ursache und
Wirkung, auf der unser Leben beruht, und stellt dieses damit in den Rahmen
einer größeren natürlichen Ordnung. Diese natürliche Ordnung ist zwar nicht
identisch mit jener, die für das physikalische Universum gilt, teilt mit ihr
aber die Eigenschaft der Gesetzmäßigkeit. So gibt uns die Vorstellung von Karma
und Wiedergeburt das Gefühl der Verbundenheit mit dem Universum, in dem wir
leben, zurück. Durch ihn hat unser Leben teil an Ordnung und Intelligenz, und
damit auch an der Schönheit, die uns auf Erden allenthalben umgeben.
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