Was geschieht, wenn wir sterben



Angst. Ungewissheit. Zweifel. Der Umgang mit dem Tod ist hierzulande noch ein Tabu. Sterbeforscher brechen es auf.
Von Christian-A. Thiel

Der Mensch", sagte Friedrich Dürrenmatt, "ist das einzige Lebewesen, das weiß, dass es sterben wird." Und er fügte hinzu: "Die Verdrängung dieses Wissens ist das einzige Drama des Menschen." Was geschieht, wenn wir sterben? Diese finale Frage ist zugleich eine der ältesten der Geschichte. Von den Bildern Hieronymus Boschs bis zu den Kultfilmen der Akte X : alle Kulturen haben für die Erklärung des Danach eigene Antworten gesucht - aber keine zufrieden stellende Lösung gefunden. Die großen Weltreligionen versprechen ein Weiterleben im Jenseits und bieten wahlweise hier das Paradies, dort die Hölle an - je nach Weltanschauung und Lebensleistung. Seit die Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross in den 60er-Jahren begann, den Tod aus der Ecke "des schmutzigen Geheimnisses der Medizin" ins Blickfeld zu rücken, haben sich viele "Sterbeforscher" mit den letzten Augenblicken unseres Daseins befasst. Sie ziehen ihre Erkenntnisse aus Gesprächen mit Menschen, die ein Rendezvous mit dem Tod hatten, das Treffen dann aber doch noch einmal vertagen durften. Diese so genannten Nahtod- Erfahrungen decken sich in vielen Punkten. Als gängiges Muster wird ein Tunnel beschrieben, gleißendes Licht, der Film des Lebens läuft im Zeitraffer ab, man tritt aus dem eigenen Körper heraus - begleitet wird das ganze gern von klassischer Musik. Ein warmer, sanfter, positiver Prozess, der so gar nichts mit dem Schrecken des Sterbens gemein hat. Bernard Jakoby will die Sterbeforschung jetzt noch mehr in den Blickpunkt rücken. Der 45 Jahre alte Literaturwissenschaftler aus Berlin hat während der Krebserkrankungen seiner Eltern die Sterbeindustrie moderner Kliniken kennen gelernt und setzt sich seither mit dem Thema auseinander. Der Bestseller-Autor präsentiert in seinem neuen Buch "Die Brücke zum Licht" einen "festen Code der Nahtod-Erfahrung" mit mehreren Elementen: dem Gefühl, tot zu sein, Friede und Schmerzfreiheit, dem außerkörperlichen Erleben, dem Tunnel-Erleben und der Begegnung mit verstorbenen Verwandten. Dazu die "Licht-Erfahrung", die als "bedingungslose Liebe" beschrieben wird, und eine Lebensrückschau, die aufzeigt, "dass wir für unser Leben verantwortlich sind". Grundlagen für Jakobys Bericht sind zwei neue Studien: Eine des britischen Kardiologen Sam Parnia, der nach der Untersuchung von 61 Menschen zum Schluss kam, es müsse so etwas wie ein Bewusstsein unabhängig vom Körper existieren. Und die zweite des niederländischen Kardiologen Pim van Lommel, der mit 344 Personen sprach, die nach einem Herzstillstand klinisch tot waren. Die Ergebnisse, veröffentlicht im Medizin-Journal The Lancet , zeigten Übereinstimmungen - unabhängig von Alter, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit der Patienten. Dass bei allen Probanden Puls, Atem und Gehirnaktivitäten nachweisbar ausgesetzt hatten, sieht Jakoby als Beleg für seine Thesen: "Wir haben es hier nicht mit einer Anekdotensammlung zu tun, wo Leute vor zehn oder 20 Jahren irgendwas erlebt haben, sondern man hat sie unmittelbar nach der Reanimation befragt. " Was also geschieht, wenn wir sterben? Jakoby: "Alle Personen berichten in der Studie von intensiven Gefühlen von Glück und Frieden, von der Beschleunigung von Zeit, der Verschärfung der Sinne und dem Verlassen des Körpers. Daraus folgt, dass der Mensch eine Seele haben muss, die unabhängig von seinem Körper über den Tod hinaus existiert. Damit hat man erstmals Beweise für ein Leben nach dem Tod gefunden." Wobei selbst Jakoby das Wort Beweise "in Anführungsstriche setzen" würde. Beweise? Durch Literatur und Internet geistern die 21 Gramm Gewichtsverlust, die ein amerikanischer Arzt bei Sterbenden festgestellt haben will - wiegt soviel die Seele? Hier bewegen sich die Sterbeforscher auf dem dünnem Eis ihrer Para-Wissenschaft, sehr transzendental, mit einem Hauch Esoterik. Denn "Erinnerungen" an Nahtod-Erfahrungen bleiben Produkte des Bewusstseins, sie sind immer so etwas wie ein Sterbetrip.

Herr Jakoby, glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? "Ich würde es so ausdrücken: die Indizien verstärken sich. Wenn man dann noch die Nach-Tod-Kontakte mit Verstorbenen berücksichtigt, die meist spontan sind, kann man mit absoluter Sicherheit sagen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Für mich gibt es da nicht mehr den geringsten Zweifel. Millionen Menschen auf der Welt können nicht Massenpsychosen oder Halluzinationen haben!" Brauchen Sie für diese Sicht einen religiösen Zugang? "Diese Dinge sind völlig unabhängig von den kulturellen Bedingungen. Sie sind schon im frühesten Zeugnis der Weltliteratur zu finden, dem Gilgamesch-Epos, oder in den heiligen Schriften aller Völker. Sie sind interkulturell auf der ganzen Welt nachweisbar, völlig unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Ein Mann in Indien erlebt das gleiche Muster wie jemand in Deutschland, nur dass die Interpretation des Lichtes eine andere ist. Der Ablauf ist auf der ganzen Welt gleich. Auch Atheisten haben es genauso beschrieben." 

Der Langen Müller Verlag wirbt für Jakobys neues Buch: "Die neuen Forschungsergebnisse werden unser Weltbild verändern." Jakoby hat die Sterbeforschung um den Begriff Verantwortlichkeit erweitert, so etwas wie ein Jüngstes Gericht am Sterbebett. Er sagt: "Sie schauen sich selbst ungeschminkt ins Gesicht." Die Lebensrückschau tritt wie eine Bilanz vor das innere Auge: Was habe ich erreicht? War ich liebevoll, habe ich andere verletzt? "Je mehr unerledigte Dinge wir anhäufen", so Jakoby, "desto schwieriger gestaltet sich der Sterbeprozess. All unsere Gedanken, Worte, Handlungen, und Werke haben Konsequenzen. Es ist besser, sich frühzeitig einen Standpunkt zu bilden, und sich klarzumachen, dass man vor dem Tod keine Angst zu haben braucht." Damit bringt er sein Hauptanliegen auf den Punkt. Haben Sie persönlich keine Angst vor dem Tod? "Ich hätte natürlich schon Angst vor einem schrecklichen Sterben. Aber auch das hat viel mit Eigenverantwortlichkeit zu tun, inwieweit man es zulässt, sich 20-mal operieren zu lassen, weil sich durch jeden Eingriff die Lebensenergie verändert. Wir haben doch Hospize, wir haben Palliativstationen an fast allen großen Krankenhäusern. Wir entkommen unserer Verantwortung nicht. Machen wir doch ein besseres Leben für alle aus diesen Erkenntnissen."

Die Auseinandersetzung mit dem Tod, lange ein Tabu, ist in Zeiten rascher Überalterung und ihren Folgen wie dem Pflegenotstand, zur gesellschaftlichen Pflicht geworden. "Es ist teilweise unverantwortlich, wie man in Deutschland in den Heimen die Menschen sterben und auf grauenhafte Weise verrecken lässt", sagt Jakoby. Auf der anderen Seite steht die Diskussion um die Sterbehilfe. Eine nützliche Alternative? Ist das Thema Sterbehilfe für Sie auf jeden Fall ein Tabu? "Sie sehen doch, wohin das in Holland und Belgien führt! In Holland können im Jahr Tausende von Menschen gegen ihren Willen getötet werden. Soll es ein Verfallsdatum geben? Sie sind 85, jetzt werden Sie entsorgt! Da könnte es zu Kosten-Nutzen-Abwägungen kommen." Andererseits hält die Gerätemedizin viele Leute am Leben. "Viele Menschen sterben sehr langsam, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der Intensivmedizin oder den Machbarkeitswahn der Ärzte. Da werden 95-Jährigen Beine amputiert, damit sie die Qual noch drei Monate länger erleiden müssen. Da muss man etwas tun!"

Auf seiner Internet-Homepage schreibt Bernard Jakoby, Ziel seiner Arbeit sei es, die Menschen zu mehr Offenheit und Sensibilität im Umgang mit Sterben und Tod zu bringen - und so das Thema von der Angst zu befreien. Doch dieses letzte große Geheimnis kann auch er nicht lüften. Was nach dem Tod kommt, werden wir nie erfahren. Und wenn, werden wir es niemandem erzählen können. "Für mich ist die größte Entfaltung menschlichen Lebens, in Frieden und Würde zu sterben, denn das ist die Ewigkeit." Das hat einmal nicht Bernard Jakoby gesagt, sondern Mutter Teresa.


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