Selbst ein Land wie die Türkei findet keinen Weg in die Moderne. Geblieben ist ein negativer und aggressiver "Discount-Islam", der weltweit sein Unwesen treibt, meint der Autor Zafer Senocak.
Es gibt kein einziges international
patentiertes pharmazeutisches Produkt, das in der Türkei entwickelt worden ist.
Die Nachricht stand neulich in einer türkischen Tageszeitung. Die Türkei ist
eines der wissenschaftlich und technologisch am weitesten entwickelten
muslimischen Länder.
Die Muslime auf der Welt produzieren
keine Heilmittel. Sie verbreiten Krankheiten wie den radikalen
Salafismus. Es sind chronische, unheilbare Krankheiten.
Dabei war
die Heilkunst im Mittelalter im Orient zu Hause. Muslimische und jüdische Ärzte
waren Vorreiter in ihrem Beruf. Aus dem heilenden Islam ist im Laufe der
Jahrhunderte ein unheilbarer Islam geworden, der inzwischen eine weltweite
Bedrohung darstellt.
Die
Unheilbarkeit der muslimischen Psyche hängt unmittelbar mit dem Verlust der
kreativen Kräfte der islamischen Kultur zusammen. Muslime wachsen in einer Welt
der unterschiedlichsten Abhängigkeiten auf. Die Frauen in der Abhängigkeit von
Männern, die Jugendlichen in der Abhängigkeit von Älteren, die gesamte
islamische Welt in der Abhängigkeit der restlichen überlegenen Welt.
Wo Demütigung herrscht, gibt es
keine Demut
Nun ist
Abhängigkeit allein kein ausreichender Grund für einen schweren Defekt. Schon
gar nicht im Zeitalter der globalen Vernetzung. Die Muslime aber empfinden
diese Abhängigkeiten als Unterordnung, fühlen sich immer in der Defensive und
erfahren Kontrollverlust.
Die
Unheilbarkeit ist eine Folge der permanenten Unterlegenheit gegenüber einer auf
allen Ebenen überlegenen fremden Kultur. Die Krankheit verhindert jede Art von
Versöhnung. Sie hat ihre Ursachen aber auch in einer Obdachlosigkeit in der
eigenen Kultur. Um im medizinischen Bild zu bleiben: Die Heilmethoden aus der
Blütezeit der islamischen Zivilisation sind heute weitgehend vergessen.
Jede
Zivilisation wird früher oder später am Grad ihrer Empfindsamkeit gegenüber der
eigenen Umwelt gemessen. Die Umwelt ist der Teil der Welt, der uns Schutz und
Geborgenheit gibt. In der islamischen Welt ist die Beziehung der Menschen zu ihrer Umwelt zerstört.
Sie gewinnen aus ihr weder Kraft noch Anregung. Vielmehr dient sie als Entsorgungsfläche
des Abfalls, für planlose Bebauung und ökologisch fragwürdige Landwirtschaft.
Der Zusammenbruch der städtischen Kultur in den islamischen Metropolen sorgt
für albtraumhafte Lebensverhältnisse.
Wo
Demütigung herrscht, gibt es keine Demut. Die islamische Kultur hat ihre Demut
verloren, da sie einer permanenten Demütigung ausgesetzt ist. Zur Unheilbarkeit
des muslimischen Komplexes gehört der feste Glaube an eine
Verschwörungstheorie. An der eigenen Misere sind grundsätzlich nur andere
schuld. Die USA, der Westen oder auch Israel sind beliebte Ausflugsziele der
muslimischen Paranoia. Nirgendwo wird die Brüchigkeit solcher Thesen so
offensichtlich wie in der Türkei.
Kein Stolz auf säkularen Staat und
Demokratie
Die Türkei
übt sich seit einem Jahrhundert in Demokratie und Säkularisierung. Doch nicht
wenige Muslime in der Türkei leiden an derselben unheilbaren Krankheit wie der
Rest der islamischen Welt.
In derselben
Zeitung, die davon berichtet, dass in der Türkei bislang kein einziges
medizinisches Präparat erfunden worden ist, steht auch, dass sich mehr als
10.000 Menschen in den letzten drei Jahren der Terrororganisation Islamischer
Staat angeschlossen haben. Für mich sind diese beiden Meldungen zwei Seiten
einer Medaille. Die türkische Regierung, immerhin Nato-Staat, hat es
fertiggebracht, in den Verdacht zu geraten, den Islamischen Staat zumindest
logistisch zu unterstützen.
Die Türken hätten einigen Grund,
stolz zu sein auf ein säkulares System, das ihnen relative Stabilität in einer
unruhigen Region beschert hat. Stattdessen trauern aber viele einer
muslimischen Gesellschaft nach, schicken ihre Kinder in religiöse Schulen und
sehen taten- und regungslos zu, wie im Namen ihres Glaubens die abscheulichsten
Verbrechen begangen werden.
Es sind auch in der Türkei nicht
wenige, die glauben, der Westen stecke hinter all dem Unglück des Nahen Ostens.
Bücher über den Ersten Weltkrieg und das Zeitalter des Imperialismus haben
Konjunktur. Als hätte der Zweite Weltkrieg gar nicht stattgefunden.
Geschichte ist nur Kolonialgeschichte
Im Bewusstsein der meisten Muslime
hat er auch nicht stattgefunden. Das Schlachthaus Europa hat kaum einen
Schatten auf die islamische Welt geworfen. Stattdessen sind die Erinnerungen an
die Kolonialzeit wach, und sie werden wachgehalten von einer psychischen
Deformation, die jede Art von rationaler Analyse zunichtemacht.
Die moderne Türkei wehrt sich
zunehmend gegen den Islamismus. Doch die europäischen Eliten haben sie dabei
weitgehend alleingelassen. Ist das ein Tribut an den melancholischen
Postmodernismus oder der Beginn einer Abkehr von den Idealen der Aufklärung?
Die Wehrhaftigkeit der türkischen
Intellektuellen gegen den Islamismus wird vielleicht die Republik in der Türkei
vor einem Abdriften in einen islamischen Staat schützen, löst aber kein
einziges Problem in der islamischen Welt.
Denn die Muslime von Marokko bis Malaysia
und in der durch die Migration anwachsenden Diaspora sind in ihrer unheilbaren
Krankheit immun gegen einen intellektuellen Diskurs, der sie zu einer
kritischen Sichtung der eigenen Positionen anleiten könnte. Die islamische Welt
ist in einer Phantasmagorie des eigenen kulturellen, moralischen und sozialen
Abstiegs versunken, die keinen Ausgang mehr bietet.
Die muslimischen Gelehrten sind eine Minderheit
Der Weg zu den Heilkünsten des 21.
Jahrhunderts scheint für Muslime versperrt zu sein. Die Krankheit, an der sie
leiden, ist unheilbar. Denn durch das Zeitgeröll der Jahrhunderte belastetes
Gedankengut und die beschädigte Psyche sind eine unheilvolle Allianz
eingegangen. Die Erreger der Krankheit sitzen im Denkapparat und haben längst
die Strukturen des Denkens kontaminiert.
Alle Versuche, der Krankheit mental
Herr zu werden, sind bislang gescheitert. Doch hat man wirklich alles versucht?
Die gut ausgebildeten, philosophisch versierten muslimischen Gelehrten halten sich für immun gegen die
Krankheit, die ihren Glauben erfasst hat. Was für ein Irrtum! Eine Krankheit,
die das Denken erfasst hat, macht nicht halt vor den vermeintlichen
Schutzräumen der Intellektuellen. Im Gegenteil: Sie sucht sich gerade dort
einen Nährboden, wo Ideen produziert und kommuniziert werden.
Im Zeitalter
der digitalen Kommunikation erstreckt sich dieser Nährboden weltweit und
weitgehend unkontrollierbar. Die einfachen, Mühe und Kosten sparenden Koran-
und Imamschulen, oftmals nur Winkelschulen und nicht etwa die aufwendig eingerichteten
theologischen Fakultäten, haben in der islamischen Welt längst die Hoheit über
Lehre und Praxis gewonnen.
Der Westen muss diesen
Zivilisationsbruch bekämpfen
Gerade in
der Diaspora, wo die Bildungsferne von Generation zu Generation vererbt wird,
breitet sich ein solcher "Discount-Islam" rasend schnell aus.
Früher oder
später, mit mehr oder weniger Verlusten, wird die freiheitliche Welt auf den
Zivilisationsbruch in der islamischen Welt reagieren müssen, ähnlich wie die
USA 1941 auf Nazi-Deutschland reagiert haben.
Müsste aber
jenseits der kriegerischen Handlungen nicht auch eine lebensbejahende Sprache
gefunden werden? Wenn junge Demokratien wie Tunesien attackiert werden,
brauchen wir eine Antwort, die der Zivilgesellschaft in diesem Land den Rücken
stärkt. Und nicht nur dort.
Erfahren
Dissidenten, die sich für eine offene Gesellschaft in der islamischen Welt
einsetzen, genug Solidarität? Ist ein Land wie Saudi-Arabien wirklich ein Verbündeter im Kampf
gegen den extremistischen Islam? Warum gelingt es nicht, unserer
Wertegemeinschaft ein Gesicht zu geben, das sich vor solchen Fragen nicht
verstecken muss?
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