Das Manifest der Deutschen Islamverbände - Ein menschenfreundlicher Islam?

Das Manifest der Deutschen Islamverbände - Ein menschenfreundlicher Islam?  
Arne Kruse über die Knackpunkte der Islamdebatte – oder: der Weg zu einem menschenfreundlichen Islam
 
Nach den Anschlägen von Paris wird wieder viel über Terror, Islam und Islamismus debattiert. Wie hängen die Phänomen miteinander zusammen? Die Aussagen schwanken zwischen „der Terror kommt aus dem Herzen des Islam“ und „der Islam hat mit Terror und Islamismus nichts zu tun“. Die Kernfrage dabei ist immer, was den Islam ausmacht. Ist der Islam eine friedliche Religion, die nur von Extremisten missbraucht wird? Bedarf der Islam einer Reform? Brauchen wir einen Euro-Islam? Sollten sich jetzt alle Muslime vom Terror distanzieren? Wo stehen die deutschen Islamverbände in der Debatte und wie könnten sie sich verhalten? Woher kommen eigentlich Vorbehalte gegenüber dem Islam, jenseits des Terrors? Was könnte getan werden, um Vertrauen zu gewinnen? Gehört der Islam zu Deutschland?

Einige dieser Fragen versuche ich in einem fiktiven Manifest der Deutschen Islamverbände zu beantworten. Ich bin mir bewusst, dass dieses Manifest als unrealistisch betrachtet werden kann. Auch kann man sagen, dass die katholische Kirche oder andere religiöse Gruppen dies ebenso vertragen könnten. Dem stehe ich nicht im Weg. Der Beitrag soll ein unkonventioneller Denkanstoß sein. Er greift die meiner Meinung nach zehn zentralsten Konflikte und Knackpunkte im Zusammenhang mit Islam und Islamverbänden auf: (fehlende) Selbstkritik und Verständnis, Gewalt, Meinungsfreiheit, Koran und Hadithe, Umgang mit Frauen, Verhalten im Alltag, Umgang mit Frommen, Auftreten/Vertrauen, Loyalität und Umgang mit Kritikern.

Vorwort

Umfragen zeigen immer wieder: Ein Großteil der Deutschen steht dem Islam kritisch gegenüber. Anschläge wie die in Paris dürften das verstärken. Wir islamischen Verbände können das nachvollziehen. Uns ist bewusst, dass weltweit Gewalt und Unrecht im Namen unserer Religion und unseres Propheten ausgeübt werden. Dabei werden islamische Symbole verwendet und eine religiöse Sprache gesprochen. Terroristen verüben ihre Taten oft mit dem Koran in der einen und der Kalaschnikow in der anderen Hand. Häufig rufen sie vor oder während ihrer Taten „Allahu Akbar“ (Allah ist groß) und zitieren Koranverse: Einzeltäter oder kleine Gruppen von Dschihadisten, organisierte Extremisten wie Islamischer Staat, al-Qaida, Hamas, Taliban, Hisbollah, al-Shabaab Milizen oder Boko Haram und viele andere. Einige islamisch geprägte Staaten und viele Bürger dieser Staaten finanzieren solche extremistischen Organisationen.

Dann gibt es bedauerlicherweise auch viele islamisch geprägte Staaten, die in unterschiedlichen Ausprägungen die Sharia (das islamische Recht) anwenden. Die systematische Ungleichbehandlung oder Unterdrückung von Frauen, Andersgläubigen, Atheisten, Schwulen und vielen anderen sozialen Gruppen sind die Folge. Der Abfall vom Glauben und Blasphemie werden teils offiziell mit der Todesstrafe oder Gefängnisstrafen geahndet. Das alles geschieht im Namen des Islams, unter ausdrücklichem Bezug auf den Koran und die Hadithe. Gleichzeitig gibt es weltweit islamische Bewegungen, die die Sharia auf politischem und juristischem Weg dort einführen wollen, wo sie noch nicht in Kraft ist. Das betrifft auch Deutschland.

Schließlich leben Muslime in den pluralistischen und säkularen Staaten des Westens zumeist freier und genießen mehr Rechte und Möglichkeiten, als in irgendeinem islamischen Land. Trotzdem engagieren sich auffallend viele gerade für solche Werte und Verhaltensweisen, die in unfreien islamischen geprägten Staaten Alltag und/oder Zwang sind. Wir verstehen daher, dass unsere Religion misstrauisch beäugt wird. Das wollen wir jedoch nicht länger hinnehmen. Als Islamverbände haben wir sowohl eine Repräsentations- als auch eine Vorbildfunktion in der deutschen Gesellschaft inne. Es ist daher allerhöchste Zeit, dass wir ein deutliches und unmissverständliches Signal für einen menschenfreundlichen Islam der Freiheit, des Friedens und der Gewaltlosigkeit aussenden.

Unser Manifest ist ein erster Schritt von weiteren vertrauensbildenden Maßnahmen, die noch folgen werden.

§ 1 Gewaltverzicht – Für Freiheit und Frieden

Wir deutschen Islamverbände verurteilen jede Form von Gewalt im Namen des Islams ohne Wenn und Aber. Das gilt für alle Lebensbereiche. Auch Gewalt zur sogenannten „Verteidigung des Islams“, wie sie Extremisten weltweit anwenden, rechtfertigen und dazu aufrufen, verurteilen wir aufs Schärfste. Ebenso wenden wir uns gegen jedwede Bestrafung von Menschen, die dem Islam entsagen und danach einer anderen Religion oder Weltanschauung folgen. Kein Mensch soll durch den Islam oder Muslime etwas zu befürchten haben, wenn er sein Glück woanders sucht. Es ist die Verantwortung und Aufgabe jeden Muslims, insbesondere aber von uns Islamverbänden sowie aller Imame, dies durch konkrete Worte und eindeutiges Verhalten im Alltag zu zeigen.

§ 2 Meinungsfreiheit – Nein zu Gewalt, nein zu Verboten

Die Meinungsfreiheit gilt uneingeschränkt. Wir werden gegebenenfalls Äußerungen zurückweisen und korrigieren, die wir für falsch und geschmacklos halten, dabei aber immer betonen, dass die Meinungsfreiheit über persönlichen Befindlichkeiten von Personen, Gruppen und Gläubigen steht. Islamkritik, Satire oder auch Beleidigungen sollten niemals mit Gewalt beantwortet und ebenso wenig verboten werden. Nicht in unserem Namen!

§ 3 Koran und Hadithe – Das Ende der Widersprüche

Wir deutschen Islamverbände haben uns entschlossen, in einen kritischen Prozess mit dem Koran und der islamischen Überlieferung einzutreten. Es kann nicht sein, dass die einen aus dem Koran und Hadithen eine Lizenz zum Töten, zur Selbstüberhöhung und Unterdrückung von Andersgläubigen ableiten, während andere aus selbigen das Gegenteil begründen, aber beide Gruppen beleidigt oder mit Gewalt auf Kritik reagieren. Hier wollen wir Widersprüche entfernen und für Klarheit sorgen. Mit diesem Vorhaben machen wir uns angreifbar. Wir bitten um den Schutz der deutschen Sicherheitsbehörden und das Verständnis sowie die Unterstützung aller Muslime sowie der deutschen Gesellschaft auf diesem schwierigen Weg.

§ 4 Frauen und Männer – Hand in Hand

Um dem negativen Image sowie den tatsächlichen Missständen beim Thema Gleichberechtigung von Männern und Frauen entgegenzutreten, haben wir uns entschlossen, fortan in all unseren Moscheen Frauen und Männer gemeinsam, also nicht nebeneinander sondern auch durcheinander, beten zu lassen. Wir fordern alle Gläubigen auf, dies zu respektieren und andere dazu zu ermuntern. Es gibt keine Geschlechtertrennung mehr. Auf gesellschaftlicher Ebene fordern wir keinen separaten Badetage mehr für Frauen und keinen gesonderten Sportunterricht mehr für Mädchen. Auch raten wir von einer Verschleierung ab. Es ist schlimm genug, dass dies in einigen Staaten und Regionen Zwang ist. Wir verbieten sie nicht, raten aber davon ab und werben auch nicht mehr damit. Alle Vertreterinnen und Sprecherinnen unserer Verbände werden als deutliches Zeichen fortan unverschleiert auftreten.

§ 5 Beruf, Familie, Alltag – Religion als Privatsache

Wir fordern keine Sonderrechte im Alltag mehr, durch die Muslime sich und ihre Kinder vom Rest der Gesellschaft absondern (Kleidung, Halal-Speisen, Gebetsräume, getrennte Badetage etc.). Auch das Schächten von Tieren ist unserer Meinung nach heute nicht mehr notwendig. Wir wollen die Gesellschaft nicht spalten. Eine „Konfessionalisierung“ des Alltags lehnen wir ab. Wir betrachten uns in erster Linie als Menschen und Bürger. Religion ist Privatsache eines jeden Einzelnen und muss nicht wie ein Banner vor sich her getragen werden.

§ 6 Schaffung eines islamischen Klosterwesens – Raum für die Frommen

Um den Gläubigen entgegen zu kommen, die Probleme mit § 4 und 5 haben, wird eine noch zu bildende Arbeitsgruppe ein Konzept für ein islamisches Klosterwesen erarbeiten. Wir sind davon überzeugt, dass Mönchs- und Nonnenklöster ähnlich wie in anderen Religionen denjenigen Menschen Raum geben, die sich vollkommen ihrer Religionsausübung zuwenden wollen. Konflikte und Überforderung im Alltag können so vermieden werden.

§ 7 Vertrauensbildende Maßnahmen – Schluss mit der Machtsymbolik

Um das verheerende Bild unserer Religion zu korrigieren, das Hassprediger, Gewalttäter und politische Akteure weltweit immer wieder neu produzieren, beginnen wir mit vertrauensbildenden Maßnahmen gegenüber der Gesellschaft. Der Tag der Offenen Moschee wird zum Beispiel nicht mehr am Tag der deutschen Einheit stattfinden. Natürlich sollten unsere Moscheen auch keine Namen von „Eroberern“ mehr tragen. Den Ausruf „Allahu Akbar“ verbieten wir in all unsere Moscheen. Hier gibt es noch viel zu tun.

§ 8 Uneingeschränktes Bekenntnis zum Grundgesetz, den Menschenrechten und der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO)

Wir unterzeichnen symbolisch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und das deutsche Grundgesetz und bekennen uns uneingeschränkt zur FDGO. Gleichzeitig lehnen wir die Kairoer Erklärung der Menschenrechte, die den Sharia-Vorbehalt enthält, ab. Diesen Schritt veröffentlichen wir in unterschiedlichen Sprachen. Sollte es Interventionen aus dem Ausland geben (zum Beispiel aus Saudi-Arabien, der Türkei oder seitens der Organisation Islamischer Staaten (OIC)), werden wir uns davon nicht beeindrucken lassen. In unseren Verbänden wird jegliche Finanzierung aus problematischen Staaten wie der Türkei oder Saudi-Arabien sowie durch radikale oder reaktionäre islamische Organisationen und Bewegungen gekappt. Auch treten wir beim Thema Islamunterricht für Transparenz und Entschiedenheit ein. Wir werden gemeinsam mit Islamwissenschaftlern, Bildungspolitikern und Fachleuten einen aufgeklärten Islamunterricht entwickeln bzw. diese dabei unterstützen. Dort werden zusätzlich zu theologischen Themen zum Beispiel die Gewalttaten der verschiedenen islamischen Extremisten kritisch behandelt. Auch wird es darum gehen, den Schülern den Wert von Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie der Säkularisierung zu vermitteln.

§ 9 Dank an kritische Muslime – „Ohne Euch wären wir nicht da, wo wir sind“

Es gibt mittlerweile viele Muslime in Deutschland, die sich durch ihr Engagement, ihre Fachkenntnisse und Erfahrungen großes gesellschaftliches Ansehen erarbeitet haben. Dabei stehen sie als kritische Muslime für die Werte der Aufklärung, der Demokratie und die individuellen Menschenrechte ein. Wir sprechen ihnen hiermit ganz offiziell unseren Dank aus. Wir würden uns freuen, den einen oder anderen Input für unsere oben beschriebenen Vorhaben von ihnen zu erhalten.

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