„Eine große Frage ist, ob Saudi Arabien stabil bleibt“ – im Gespräch mit Daniele Ganser



Der Schweizer Daniele Ganser beschäftigt sich mit den Themen Energie, Krieg und Frieden – aus geostrategischer Sicht. Um auch wirklich unabhängig arbeiten zu können, gründete er das „Swiss Institute for Peace and Energy Research“ (SIPER). 2005 sorgte Ganser für Aufsehen: Der 43-jährige veröffentlichte seine Dissertation zu den NATO-Geheimarmeen. Für die einen ist er ein Verschwörungstheoretiker und für die anderen ist er ein wichtiger Wissenschaftler. Wir haben mit ihm gesprochen:

Herr Ganser, seit Wochen wird in Deutschland heftig über die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, gesprochen. Merkel sagt „wir schaffen das“. Doch wie man der öffentliche Meinung entnehmen kann, gibt es immer mehr Menschen die sagen „wir schaffen das nicht“. Pegida radikalisiert sich, die AfD punktet weiter mit ihrem Rechtspopulismus und die Zeit skizziert ein ein düsteres Zukunftsbild mit autoritären Nationalstaaten samt Stacheldrahtzäunen. Ist der Frieden in Europa in Gefahr oder werden schlicht die Probleme aufgebauscht?

Daniele Ganser: Die Probleme sind real. Die Flüchtlingswelle stellt Deutschland vor eine sehr grosse Herausforderung. Wichtig ist zu erkennen, dass der Angriff der USA auf den Irak 2003, an dem auch Grossbritannien teilnahm und der ohne UNO Mandat erfolgte und daher illegal war, die ganze Region destabilisiert hat, aus der nun die Flüchtlinge kommen. Viele Mitglieder des brutalen Islamischen Staates IS in Syrien haben früher im Militär und im Geheimdienst von Saddam Hussein gedient. Es sind Sunniten, welche lange in Bagdad die Macht hatten, bis die USA sie stürzten. Die Flüchtlinge gehen jetzt aber nicht in die USA, sondern nach Deutschland. Dies bedeutet, dass in Deutschland auch vermehrt über diese Kriege nachgedacht und diskutiert werden muss, nicht nur über die Flüchtlinge, welche eine Folge dieser Kriege sind.

Schauen wir nach Syrien. Wie brenzlig ist die Lage und wie kann eine Lösung des Konfliks aussehen?
Daniele Ganser: In Syrien tobt ein brutaler Krieg. Die USA, die Briten, die Saudis, Katar und die Türkei wollen den Präsidenten Assad stürzen. Die Iraner und die Russen wollen ihn an der Macht halten. Es ist also ein internationaler Krieg. Meiner Meinung nach wäre es falsch, Assad zu stürzen. Denn wenn er fällt, kommt der IS an die Macht und das darf nicht passieren. Der IS ist völlig intollerant. Christen und Shiiten werden getötet. Unter Assad wurden diese Minderheiten respektiert.

Können Sie sich vorstellen, dass die UNO zu einem Instrument des Friedens wird? Falls nicht: Welche Alternativen sehen Sie?
Daniele Ganser: Die Charta der UNO ist ein wunderbares Dokument. Sie sagt ganz klar: Kein Land darf ein anderes Land angreifen. Gewalt ist verboten, ausser der Sicherheitsrat erteilt ein Mandat. Doch leider wurde die UNO in den vergangenen 70 Jahren sehr oft sabotiert. Ich habe den Angriff der USA auf den Irak 2003 schon erwähnt, das war ein ganz grober Verstoss gegen die UNO Charta. Zudem wird oft verdeckte Kriegsführung eingesetzt, um Macht und Einfluss zu sichern. 1953 haben die USA und die Briten mit ihren Geheimdiensten die demokratisch gewählte Regierung im Iran gestürzt, weil diese das Erdöl verstaatlicht hatte. Das war völlig illegal und gegen die UNO Regeln. Der Kampf um Erdöl und Erdgas hat oft illegale Wege genommen und der UNO sehr geschadet. Trotzdem, die UNO bleibt ein Ort, an welchem sich alle Länder der Welt treffen können, wo man zusammen spricht. Sie bleibt daher in einer Welt mit grossen Problemen eine ganz wichtige Institution.

Eine zynische Frage von der Community: Welches Land wird Ihrer Meinung nach als nächstes „demokratisiert“ bzw. welche Länder sind von geostrategischer Relevanz und werden in Zukunft mehr in der Mittelpunkt von Imperien gezogen?
Eine grosse Frage ist, ob Saudi Arabien stabil bleibt. Das Land verfügt über grosse Erdölvorräte und ist stark gespalten zwischen einer reichen Oberschicht von Prinzen und dem Rest des Landes. Zudem ist der Wahabitische Islam in Saudi Arabien dominant und dieser ist sehr radikal. Saudi Arabien liegt derzeit im Krieg mit Jemen. Zudem unterstützen reiche Saudis den IS in Syrien, weil sie Assad stürzen wollen. Gemäss der offiziellen Geschichte der Terroranschläge vom 11. September 2001 waren 15 der 19 Terroristen Saudis, Osama Bin Laden war wohl der bekannteste Saudi. Wenn dieses Land ins Chaos stürzt, würde das die internationale Lage und auch die Energieversorgung der Weltwirtschaft destabilisieren.

Eine weitere Frage von der Community: Wäre es für Sie denkbar, das Thema „Die Souveränität Deutschlands“ historisch aufzuarbeiten? Oder was wäre Ihr nächstes Projekt?
Derzeit kann ich das leider nicht machen, weil ich zu stark ausgelastet bin. Ich weise aber in meinen Vorträgen und auch in meinen Büchern immer darauf hin, dass man das Machtgefälle in der Welt ganz nüchtern betrachten muss. Die USA sind das Imperium, sie sind das mächtigste Land derzeit. Sie haben 10 Flugzeugträger. Die Militärausgaben liegen bei 600 Milliarden pro Jahr. Und sie haben Militärstützpunkte in Deutschland, zum Beispiel in Ramstein, das beim brutalen Drohnenkrieg eine zentrale Rolle spielt. Umgekehrt hat aber Deutschland keine Militärstützpunkte in den USA. Es gibt also ein klares Machtgefälle. Übrigens haben die USA als Imperium natürlich auch Stützpunkte auf Kuba, die Kubaner haben aber keinen Stützpunkt in den USA und so weiter und so fort. Die USA haben Stützpunkte in Italien, Afghanistan und Japan. Und so scheint mir, dass die Flüchtlingskrise auch ein Moment ist, der dazu anregt kritisch über die Kriege des Imperiums nachzudenken, weil diese eben Flüchtlingswellen auslösen.

Vielen Dank für das Interview

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