Analyse einer Analyse von Stratfor

Von Niki Vogt
Analyse einer Analyse von Stratfor

Die Terroranschläge von Brüssel haben einen guten Bekannten auf den Plan gerufen: George Friedman von Geheimdienst STRATFOR. Er hat gleich am nächsten Morgen eine atemberaubend überraschende Analyse zu den Selbsmordattentaten verfaßt: Er sieht die Freizügigkeit innerhalb der Schengenstaaten in Gefahr, ein Erstarken der nationalen Parteien in Europa, neue, nationale Sicherheitsgesetze, ein Engagement der EU-Staaten im Krieg gegen den IS, Schäden für die europäischen Volkswirtschaften und wachsende, antimuslimische Stimmung. Auch den so gegannten "Türkei-Deal" sieht er in Gefahr.

Zugegeben, liest man die Analyse "Brussels Attacks Tear at the Fabric of the European Union"  (Die Anschläge von Brüssel reißen am Gewebe der Europäischen Union), fällt es fast schon schwer zu glauben, daß ein namhafter Geheimdienst solche Binsenweisheiten als "Experten-Analyse" veröffentlicht. Hand auf's Herz, das hätte im Prinzip jeder von uns spontan gesagt, wäre er in der Einkaufsmeile von irgendeinem Lokalredakteur mit vorgehaltenem Mikrophon zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. Irgendwie erinnert es an die legendäre "Roland Berger Studie", bei der ermittelt wurde, warum so viele Leute bei Aldi einkaufen. Das sensationelle Resultat: Es liegt am Preis!

Dennoch ist die Lektüre derAnalyse höchst empfehlenswert. Man muß es nur mit anderen Augen lesen.
Die ersten zwei Absätze umreißen kurz und knapp die US-amerikanische Wunschliste für Europa. Zerschlagung der EU und Wiedererstarken der Nationalstaaten. Uneinigkeit untereinander, widerstrebende Interessen, Angst, Unsicherheit, wirtschaftliche Nachteile. Vor allem: Das wirtschaftliche Schwergewicht und Hauptkonkurrent Deutschland unter Merkels vollkommen wahnsinniger Egide als Buhmann des Kontinents. Europas Versinken in Terror, Bürgerkrieg, Gesetzlosigkeit und Armut wird Merkel - also Deutschland - angelastet werden. Nicht Amerika. Charmant, nicht wahr?

Warum? Die bisherige Weltmacht Nummer eins sieht die Zeit davonlaufen, ihren Status als einzige Weltmacht zu erhalten. Der Koloss verliert seine Macht jeden Tag ein Stück mehr an die Achse Rußland und China. Die USA sind in einer sehr kritischen Situation. Viele kluge Analysen haben schon festgestellt, daß die USA in solchen Situationen immer zu Kriegen greifen und mit allen Mitteln die Konkurrenten schwächen. Seit Jahren  wird ein Land nach dem anderen rund ums Mittelmeer destabilisiert, der russisch-chinesische Machtblock rundum zum Filettieren freigelegt. Es gilt, die "neue Seidenstraße" zu verhindern. Dies wäre eine Handelsunion von Portugal über Paris, London, Berlin, Moskau, Peking, Delhi und darüberhinaus. Wie Friedman in seinem berühmten Vortrag über den "Cordon Sanitaire" darlegte, haben die USA zwei Weltkriege geführt, um die Zusammenarbeit zwischen Rußland und Deutschland zu verhindern, weil daraus ein ernstzunehmender Rivale für Amerikas Weltmächt erwüchse. Die "Neue Seidenstraße" ist zehnmal so gefährlich für die USA. Es wäre das Aus für die USA als führende Weltmacht. Die Zerstückelung und Destabilisierung Europas ist ein enorm wirksames Mittel, nicht nur die "Neue Seidenstraße" weitgehend zu verhindern, sondern auch ein prächtiger Nährboden, einen Krieg gegen den Erzfeind Putin anzuzetteln, die Europäer gegen die Russen zu hetzen und alle zusammen gegen den IS. Divide et impera.

Und die USA verdienen sowohl an der Schlachterei als auch am Wiederaufbau.


Gerade dieser Tage macht der Sohn des ermordeten amerikanischen Präsidenten, Robert Kennedy, mit einem Essay weltweit von sich reden. (Einen kurzen Abriß des Inhalts auf Deutsch findet man hier.) Er geht im Besonderen auf die Einmischungen, Umstürze von Regierungen und  gewissenlosen Machtspiele ein, die die USA seit Jahrzehnten im Nahen Osten beteiben, und mit denen sie nicht nur ihre Grundwerte verraten und ihren Ruf in der ganzen Welt ruiniert haben, sondern sich insbesondere die arabische Welt zum Todfeind gemacht haben.

Genau in dieser Höllenkücke sieht Friedman die europäischen Länder in Zukunft mitmischen. Anders ausgedrückt: Die USA werden die Europäer nötigen, sich in das grauenhafte Kampfgetümmel im Nahen Osten zu stürzen, wohl wissend, daß das die Sache nur noch schlimmer macht. Die zaghaft formulierten Überlegungen, die der eine oder andere bisher öffentlich anstellen durfte, daß der IS, Al Nusra, die Flüchtlingswelle aus Syrien, Afghanistan, Libyen etc. eine Konsequenz der vollkommen falschen, gewissenlosen Geopolitik des "Westens" ist, werden dann niedergebrüllt werden.
 
Versteht man die Expertenanalyse Friedmans etwa so, wie die Warnung Erdogans, der ja schon vor einer Woche vor Terroranschlägen in Brüssel "warnte", lassen sich aus seinen Warnungen und Vorhersagen die weiteren, von den USA angestrebten Entwicklungen ablesen:

"EU members will also resume discussions on how best to combat terrorism abroad in troubled nations such as Libya and Syria. Europeans will become more willing to contribute to the coalition against the Islamic State, possibly with more weapons and training for the Iraqi military and Kurdish militants, increased deployment of combat aircraft and participation in NATO surveillance missions in Turkey."

(EU-Mitgliedsländer werden Diskussionen darüber führen, wie man am besten gegen den Terror im Ausland kämpft, in unruhigen Nationen wie Libyen und Syrien. Die Europäeer werden eine höhere Bereitschaft entwickeln, zur Koaltion gegen den Islamischen Staat beizutragen, möglicherweise durch mehr Waffen und Ausbildung der irakischen Armee und kurdischer Kämpfer, einer erhöhten Stationierung von Kampfflugzeugen und Teilnahme an NATO-Überwachungs-Missionen in der Türkei.)


Also, gut durchlesen, das ist die Liste, die die Europäer nach der Vorstellung der USA abzuarbeiten haben.
Der Aufstieg nationaler Parteien, den Friedman in seinem kurzen Artikel vorhersagt, ist so gut wie sicher. Er führt das Erstarken des "Front National" in Frankreich an, den steigenden Volkszorn im hoffnungslos überfremdeten Schweden und den Niederlanden, den plötzlichen Siegeszug der AfD. Für die Regierungswahlen in Frankreich und Deutschalnd in 2017 prognostiziert er hohen, politischen Druck auf die Altparteien, den diese dadurch abzufangen versuchen werden, indem sie den Nationalen die Reizthemen wegnehmen und deren Positionen einnehmen. Soweit auch nichts, was den Leser beeindruckt. Anscheinend läuft das ebenfalls so nach Plan.

Auf den Deal mit der Türkei geht er in einem kurzen Schlenker ebenfalls ein. Möglicherweise, sinniert er, bringe ja die verschärfte Wahrnehmung des importierten Terrors die Europäer dazu, stärker mit der Türkei zusammenzuarbeiten in Sachen "Krieg gegen den Terror". Davon, daß Erdogan zu den größten Unterstützern des IS zählt - neben Saudi-Arabien und den USA - ist kein Wort zu lesen. Es sei aber auch möglich, so Stratfor, daß die Terroranschläge eine antimuslimische Stimmung anheizen werden, die eine Zusammenarbeit mit der Türkei ausschließen könnte.

Interessant, gibt es hier noch keine vorgegebene Linie aus Washington?
Heute titelt die Bild in dicken, schwarz unterlegten Lettern: "Wir sind im Krieg!" 
Die nächste Stufe des Destabilisierung scheint angeschoben zu werden.

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