„Je suis Erdogan“ oder: Dr. Merkels gesammeltes Schweigen

Satire kann die Merkelpolitik schon lange nicht mehr toppen: „Man muss manche Dinge in Kauf nehmen, sonst wird man die Krise nicht lösen können“, sagte der CDU-Europapolitiker Elmar Brok zum Flüchtlings-Deal mit der Türkei. Jetzt müssen wir nur noch eine Definition für „manche Dinge“ finden. Dieser Findungsprozess hat gerade angefangen.

Man nimmt in Berlin schweigend in Kauf, dass der Türkische Präsident Erdogan dem deutschen Botschafter den Kopf wäscht, weil NDR Satiriker sich erlaubt haben "Erdowie, Erdowo, Erdowahn" zu singen.

Pressefreiheit hin und her, Erdis Gedanke ist gar nicht so abwegig. Ist der NDR doch nun mal ein "Öffentlich-Rechtlicher Sender“. Erdogan hat wohl das neue Radio-Bremen-Gesetz gelesen und nimmt nun an, dass es schon bundesweit gilt. Das kommt in Ankara so an, als hätte Angela Merkel selbst das freche Liedchen geträllert. Oder besser Frau Nahles, die ja für ihr keckes Gesangstalent weit über den Bundestag hinaus bekannt ist.

Erdogan will die Pressefreiheit also nicht mehr nur in der Türkei einschränken, was wir ja längst in Kauf genommen haben, sondern nun auch in Deutschland. Unser neuer Freund verlangt, dass das Video gelöscht werden muss, da es den Tatbestand der „Präsidentenbeleidigung“ erfüllt. Es ist sozusagen ein satanisches Video und wird mit einer Fatwa belegt.

Und was macht die Bundesregierung? Sie twittert knallhart und unmissverständlich zurück: #Türkei „DEU Botschafter hat in Gesprächen im türk. Außenministerium deutlich gemacht, dass Presse-+Meinungsfreiheit geschützt werden müssen“. Jetzt hat es Berlin Ankara aber gezeigt. So nicht, ihr Türken!

Das nenne ich mal eine Steigerung moderner Politik. Die umständlichen Interviews bei Anne Will wurden durch das viel rationellere Regierungszwitschern ersetzt. So in dem Stil: „Ab heute 09:09 Uhr wird zurückgetwittert!" Sogar ein Hinterbänkler der Groko hat sich schon zu dem Eklat geäußert. Der Herr Röttgen - weiß noch jemand, wer das eigentlich ist? - schwurbelte im Interview: „Ich habe keinen Zweifel, dass die Bundesregierung die zweifelsfreie Geltung von Grundrechten in Deutschland auf ihren Wegen und ihren Kanälen zum Ausdruck gebracht hat“.

Die Bundesregierung hat sich in ein Dilemma manövriert und sich mit dem Ankara-Deal erpressbar gemacht: die Türkei nimmt die illegal nach Griechenland eingereisten Flüchtlinge zurück, dafür drückt die Bundesregierung nicht nur bei den Verletzungen der Menschenrechts- und Pressefreiheit beide Augen zu, sondern erleichtert trotz zahlreicher sicherheitstechnischer Bedenken die Visabedingungen, zahlt zusätzliche Milliarden an Ankara und stellt eine sukzessive Anbindung an die EU in Aussicht. Insofern ist Erdogans Umgang mit einem an sich unbedeutenden satirischen Beitrag keine Kleinigkeit, sondern ein Test, was sich Deutschland noch alles gefallen lässt.

Frage an Radio Erdogan: „Kann der NDR wegen Majestätsbeleidigung verklagt werden?" Antwort: „Im Prinzip nein. Aber für jede weitere ausgestrahlte Satire werden 100.000 Flüchtlinge nach Deutschland geschickt“.

Zwei Vorschläge zur Lösung des Satiriker-Gates: Das Liedchen „Erdowie, Erdowo, Erdowahn“ wird als Deutsch-Österreichischer Beitrag zum „Eurovision Song Contest 2016 - Unser Lied für Stockholm“ nominiert und von Conchita Wurst vorgetragen. Der Sieg ist uns sicher.

Gegenvorschlag: Eine bundesregierungsweite Twitter-Solidaritätsbekundung: „Je suis Erdogan“.

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