Der israelische Journalist Eldad Beck ist seit 2002
Deutschland- und Europa-Korrespondent für die israelische Tageszeitung
Yediot Aharonot. Er hat Arabisch und Islamwissenschaften in Israel und
an der Sorbonne in Paris studiert und war in verschiedenen arabischen
Ländern. Im Gespräch mit pro schildert er seine Außensicht auf
europäische Werte und den Umgang mit muslimischen Migranten.
pro: In den vergangenen Monaten sind
über eine Million Flüchtlinge nach Europa gekommen. Das polarisiert die
Gesellschaft: Während die einen offene Grenzen unter anderem mit
Nächstenliebe begründen, fürchten andere den Verlust der christlichen
Werte. Laufen wir Gefahr, unsere Gesellschaft kaputt zu machen?
Eldad Beck: Wie viele von allen diesen Menschen, die nach
Europa kommen, sind tatsächlich Flüchtlinge? Meine Erfahrung sagt, dass
es eine Minderheit ist. Der Großteil sind Immigranten. Europa hat die
massiven Probleme mit den Immigranten noch nicht gelöst, die hier seit
Generationen oder Jahrzehnten leben, aber öffnet sich für Menschen, die
das Problem noch größer machen. Radikale Moslems kommen nach Europa um
hier Scharia-Polizeien zu gründen, und die Behörden finden das normal.
Ob Europa sich kaputt macht? Die klare Antwort kann nur lauten: Ja. Wir
stehen, glaube ich, vor der Kapitulation des Westens.
Betrachten Sie die Integration als gescheitert?
Zum großen Teil.
Wo liegen die Ursachen?
In Deutschland waren die Immigranten zum großen Teil als
Gastarbeiter eingeladen. Die Idee war von Anfang an, sie kommen und sie
gehen wieder. Obwohl sie hier geblieben sind, hat man sich nicht
wirklich bemüht, sie besser in die Gesellschaft zu integrieren. Es gibt
Immigranten, die sich wunderbar integriert haben. Es gibt aber eine
große Gruppe von Menschen, vor allem aus moslemischen Gesellschaften,
die sich nicht integrieren wollten. Der Staat hat diese Situation
erlaubt und so kommen wir zu einem freien Raum, in dem Menschen glauben,
dass sie tun können, was sie wollen. Das Resultat ist das, was in Köln
und in Hamburg an Silvester passiert ist. Wir haben solche rechtsfreien
Räume auch in Berlin. Ich rede auch von Schulen, wo bestimmte Dinge
nicht mehr gelehrt werden können, weil es „antiislamisch“ ist. Der Staat
war viel zu schwach gegenüber diesen Gruppen.
Wo müsste etwas getan werden?
Zuerst einmal muss man Werte definieren. Wofür steht man? Das
wissen wir jetzt nicht. Ich habe den Eindruck, dass vor 30 Jahren noch
klar war, was die europäischen Werte sind. Heute sehe ich keinen Konsens
darüber. Über Menschenrechte zu sprechen und dann Verhandlungen mit
radikal-islamischen Bewegungen überall in der Welt zu fördern, kommt mir
zu unseriös vor. Entweder steht man zu bestimmten Werten oder nicht.
Und dann müssen wir von denjenigen, die hier leben wollen, verlangen,
dass sie diese Werte respektieren. Das passiert aber nicht. Die Bildung
ist die Basis der Integration. Dadurch bekommt man eine Zugehörigkeit
zur Gesellschaft, auch zur Wertegemeinschaft. Das fehlt in Deutschland
und in Europa.
Wie werden in Israel europäische Werte wahrgenommen?
Ich glaube nicht, dass sie wahrgenommen werden. Viele Israelis
glauben, dass Antisemitismus das einzige ist, das Europa noch vereint.
Deswegen ist es einfach, die israelischen Siedlungen zu kritisieren.
Europa ist mit seiner Außenpolitik im Nahen Osten gescheitert. Aber eine
Sache vereint zu viele Europäer: Das ist der Hass gegenüber Israel und
den Juden.
Mit der Flüchtlingswelle kommt auch
eine Kultur nach Deutschland, die stark antiisraelisch geprägt ist.
Importieren wir damit einen neuen Antisemitismus?
Neu ist er nicht, er ist schon da. Schauen Sie, was im Sommer 2014 passiert ist ...
Auf Demonstrationen, unter anderem
in Berlin, gegen den israelischen Militäreinsatz in Gaza, schrien
vorwiegend arabische Demonstranten antisemitische Parolen ...
Das war nicht das erste Mal. Dieser Antisemitismus ist schon in
Deutschland. Und er wird von den Behörden toleriert. Daher mache ich
mir keine Illusionen, dass es besser wird. Nehmen wir Frankreich: Die
Menschen mit nordafrikanischem Migrationshintergrund kommen aus
Gesellschaften, wo der Antisemitismus oder Antiisraelismus nicht so
stark war wie im Nahen Osten. Dass sie trotzdem so antisemitisch sind,
liegt daran, dass die Juden leicht als Sündenbock zu ergreifen sind.
Dahinter steht eigentlich der Hass gegenüber dem Staat, dem Christentum,
Europa und so weiter. Es ist einfacher, den Juden anzugreifen. Nach den
Juden kommen die anderen.
Haben Bemühungen, die einen aufgeklärten Islam anstreben, eine Chance?
Eine Revolution innerhalb des Islams kann nur gelingen, wenn
sie von innen kommt, nicht von außen. Das ist unglaublich schwierig,
weil es so viele Elemente und Faktoren gibt, die kein Interesse daran
haben. Der Arabische Frühling hätte eine Chance sein können, aber die
alten Kräfte, die noch immer in diesen Gesellschaften sehr stark sind,
haben dieses sehr kurze und kleine Fenster der Freiheit zugemacht. Viele
freie Geister aus dem arabisch-muslimischen Raum sind nach Europa
gekommen mit der Hoffung, dass sie von hier aus besser auf die Situation
bei ihnen zu Hause einwirken können. Ich habe jedoch den Eindruck, dass
sie hier eine große Enttäuschung erlebt haben, weil Europa ihnen die
Möglichkeit nicht gegeben hat, islamkritische Stimmen deutlich zu
äußern. Zu sagen, dass es Probleme im Islam gibt, bedeutet nicht, dass
wir ein Problem mit allen Moslems haben. Das muss man differenzieren.
Wenn die Moslems uns zeigen, dass sie die Radikalen ablehnen, für
Toleranz und Offenheit stehen und gegen jede Form von Gewalt und
Diskriminierung sind, dann wäre es auch einfacher, islamophobe Tendenzen
zu bekämpfen.
Wie wird die Flüchtlingswelle nach Deutschland in Israel wahrgenommen?
Deutschland wird in Israel wieder ein Thema, nachdem wir uns
über Jahre nur für den deutschen Fußball interessiert haben. Die
Israelis verfolgen mit Interesse und Sorge, was hier passiert. Nicht
nur, weil diese Welle von Immigranten wie eine negative Entwicklung der
Zukunft Deutschlands aussieht, sondern auch, weil die extrem Rechten die
Situation nutzen, um sich zu stärken. Ich will aber noch etwas sagen:
Es gibt Flüchtlinge, die aus Syrien und dem Nahen Osten kommen, weil sie
dort tatsächlich um ihr Leben kämpfen müssen. Das hat aber vor allem
damit zu tun, dass der Westen im Nahen Osten weiter Geschäfte macht,
obwohl die Menschenrechte missachtet, Menschen hingerichtet werden.
Ständig. Täglich. Iran, Saudi-Arabien. Auch heute. Wenn die richtigen
Konsequenzen nicht gezogen werden, wird diese Situation kein Ende haben.
In Bezug auf Flüchtlinge über Integration zu sprechen, ist die falsche
Attitude. Sie sind hierher gekommen, weil sie akut eine Gefahr für ihr
Leben haben. Aber diese Gefahr verschwindet, und man muss sehen, wie
diese Menschen für die Befreiung und Demokratisierung ihres Landes
kämpfen können. Syrien und Irak existieren noch immer. Diese Menschen
können nicht einfach sagen: Okay, wir geben auf, und das war es.
Müsste man dann nicht auch sagen, dass, sollte die Region befriedet sein, man diese Menschen wieder in die Heimat zurückschickt?
Ja. Man muss allerdings auch aktiver werden, um eine Lösung für
die ursächlichen Probleme im Nahen Osten zu finden. Diese aktive
Haltung ist nicht zu sehen. Geschäfte sind immer wichtig. Aber wenn man
seine Werte verkauft, um Geschäfte zu machen, wird früher oder später
der Preis zu hoch.
Vielen Dank für das Gespräch.
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