„Bosse verdienen an Flüchtlingen“: Expertin erklärt: So denkt die Mafia wirklich über Flüchtlinge

In der italienischen Stadt Palermo ist vor rund zwei Wochen einem 21-jährigen Gambier auf offener Straße in den Kopf geschossen worden. Der Mann überlebte mit schweren Verletzungen. Nach der Tat wurde ein 28-jähriger Italiener festgenommen.
Nach Angaben des Bürgermeisters von Palermo soll es sich bei ihm um einen Mafioso handeln, der versucht haben könnte sich einem großen Mafia-Clan anzudienen.

Einem Bericht der britischen Zeitung „Daily Mail“ zufolge soll die Mafia ihre Geschäfte durch nordafrikanische Banden bedroht sehen, die mit den Flüchtlingen nach Italien kommen. Doch was ist wirklich dran an dieser These? FOCUS Online hat mit der Mafia-Expertin Petra Reski über den Fall aus Palermo gesprochen.

"Die Mafia hat überhaupt nichts gegen Flüchtlinge"

Am Tag des Angriffs war die Buchautorin selbst in Palermo. Einen Mafia-Krieg gegen Asylbewerber hält sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt für ausgeschlossen. Viel eher bewertet sie den Mordanschlag als Höhepunkt einer Streiterei mit einem Kriminellen.

„Die Mafia denkt immer pragmatisch, sie hat nichts gegen Flüchtlinge", erklärt Reski. Wenn es sich für sie lohnt würden die Clans auch mit Afrikanern zusammenarbeiten.

„Die Mafia hat in Palermo überhaupt kein Interesse daran, einen Krieg mit Flüchtlingen anzuzetteln“, so die Expertin. „Im Gegenteil: Die Clans leben vom Tourismus, Gewaltexzesse wären äußerst schädlich. Außerdem stellen Flüchtlinge in Palermo überhaupt keine Bedrohung dar.“

Mafia baut und betreibt Flüchtlingsheime

Nicht der einzige Grund, aus dem die Clans keine Fehde anzetteln würden. Denn: Die Mafia verdient laut Reski nicht nur gut am Tourismus, sondern auch an der Flüchtlingswelle. Wie gut offenbart ein Satz, den Ermittler schon Ende 2014 im Zusammenhang mit einem Mafia-Skandal in Rom bei einer Telefonüberwachung mithörten. Ein Mafiaboss brüstete sich damals mit den Worten: „An Flüchtlingen verdienen wir mehr als am Drogenhandel.“

„Sobald öffentliche Gelder zur Verfügung stehen, versucht die Mafia  an diese ranzukommen“, so die Expertin. „Die Mafiosi bestechen Politiker, um etwa Bauaufträge für Flüchtlingsheime zu bekommen oder als deren Betreiber eingesetzt zu werden.“

Um von den öffentlichen Mitteln möglichst viel für sich abzuzweigen, bauten die Mafiosi ihre Heime mit billigen Materialien und beschäftigten Schwarzarbeiter - darunter auch Asylbewerber. „In Flüchtlingsheimen, die von der Mafia betrieben werden, leiden die Asylbewerber unter schlechten Bedingungen“, so Reski zu FOCUS Online.

"Mit einer solchen Aktion empfiehlt man sich den Mafiabossen sicher nicht"

Dass es sich bei dem Kriminellen, der auf offener Straße auf einen Migranten schoss, um einen Mafioso handelt, bezweifelt sie. „Bei dem Mann, der in der Haupteinkaufsstraße in Palermo auf einen Gambier geschossen hat, handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen einfachen Kriminellen, der sich mafios verhalten hat“, sagt Reski.

Sollte es tatsächlich sein Plan gewesen sein, von einer Mafia-Organisation angeworben zu werden, ist das gründlich schief gegangen. „Mit einer solchen Aktion empfiehlt man sich den Mafiabossen sicher nicht“, erklärt die Expertin. „Die Mafia ist froh, wenn nicht über sie geredet wird. Die Bosse sind nicht so dämlich, dass sie Kriminelle anwerben, die so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“

"Schießereien bringen zu viel Aufmerksamkeit mit sich"

Mafiabosse würden eher dann aufmerksam, wenn Verbrechen ohne viel Aufsehen ablaufen: „Sie werfen ein Auge auf Kriminelle, wenn die beispielsweise einen sauberen Banküberfall hinkriegen“, so Reski.

Auch wenn das in Palermo nicht der Fall ist, sollte die Mafia ihre Geschäfte tatsächlich durch andere Banden bedroht sehen, würde sie zunächst versuchen, die Konkurrenz im Untergrund zu vertreiben. Die Expertin erklärt: „Schießereien auf offener Straße kommen zwar vor, sind aber selten, weil sie viel Aufmerksamkeit mit sich bringen.“

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