Moscheegemeinde „Ulu Camii“ eröffnet Minarett in Kiel-Gaarden. Ab Freitag soll täglich zum Mittagsgebet gerufen werden.


Kiel | Seit Freitag gehört die Landeshauptstadt Kiel zu den etwa 30 Orten in Deutschland, in denen der Muezzin zum Gebet ruft. Einen politisch brisanteren Termin für die Einweihung des neuen 24 Meter hohen Minaretts im Kieler Multi-Kulti-Stadtteil Gaarden hätte sich die Moscheegemeinde „Ulu Camii“ kaum aussuchen können.

In islamischen Ländern ruft der Muezzin traditionell von frühmorgens bis spätabends fünf Mal täglich zum Gebet. Doch selten liegt es an der Geräuschkulisse, dass Minarette kritisch beäugt werden. Kritiker befürchten eine Missionierungsabsicht.     

Erst am vergangenen Sonntag hatte die AfD mit ihrer Aussage, Minarette seien islamistische Herrschaftssymbole, für politische Empörung gesorgt. Vor Ort – im ehemaligen Werftarbeiterstadtteil, der heute einen Migrantenanteil von weit über 60 Prozent aufweist – sorgt die Minarett-Einweihung kaum für Diskussionen. Obwohl im klassisch türkisch-osmanischen Stil mit Balkonen und spitzem Kegel samt Halbmond erbaut, nehmen längst nicht alle den „Turm“ als religiöses Bauwerk wahr. „Ich hab mich schon gewundert, was das ist“, so die Reaktion einer Mittfünfzigerin am Donnerstag.

Rund 120.000 Euro hat die 315 Mitglieder zählende Gemeinde in den Bau investiert. Sie gehört zum Ditib Moscheeverein, der der deutsche Ableger der staatlichen türkischen Religionsbehörde Dyanet ist – und damit unter dem direkten Einfluss von Präsident Erdogan steht. Nach eigenen Angaben vertritt die Ditib über 70 Prozent der Muslime in Deutschland. Die Religionsbehörde bestimmt zum Beispiel, welcher Iman aus der Türkei für vier Jahre die Gemeinde leitet.

Während Islam-Kritiker an den alten Kampfspruch Erdogans erinnern: „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Kuppel unsere Helme und die Minarette unsere Bajonette“, begrüßen vor allem die evangelischen Christen im Norden den Kieler Minarett-Neubau. „Ich weiß, dass damit ein großer Wunsch der Gemeinde in Erfüllung geht“, sagt Thomas Lienau-Becker. Im Minarett gegenüber den Werkstoren der Werft sieht der Kieler Propst „eine Würdigung der Menschen aus der Türkei, die ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt und des Landes geleistet haben“. Auch die Politik hat den Neubau stets wohlwollend begleitet. So nahm der SPD-Abgeordnete Bernd Heinemann bei der Grundsteinlegung höchstpersönlich die Schaufel in die Hand. Und der Religionsattaché des türkischen Generalkonsulates betonte, der Minarettbau sei „ein Zeichen, dass wir hier heimisch geworden sind“ – auch wenn vielen die deutsche Sprache fremd bleibt.

Verwirrung gab es bis zuletzt darüber, wie oft der auf 54 Dezibel begrenzte circa dreiminütige Sprechgesang ertönen wird, bei dem der Muezzin über acht Lautsprecher dem Stadtteil verkündet, „Allah ist der Größte“ und dass es keinen anderen Gott außer Allah gebe. Inzwischen steht fest, es wird nicht nur zum Freitagsgebet gerufen, sondern täglich zum Mittagsgebet.

Unumstritten ist die Botschaft des Muezzins in Deutschland nicht. In Nordrhein-Westfalen – dem einzigen Bundesland mit einer ähnlich großzügigen Genehmigungspraxis wie in Schleswig-Holstein – ist ein Rechtsstreit anhängig, weil Bürger um ihre negative Religionsfreiheit fürchten – sie wollen nicht von öffentlichen Glaubensbekenntnissen behelligt und missioniert werden. In Oberhausen organisieren Bürger eine Online-Petition, weil der Muezzinruf einen Machtanspruch zur Durchsetzung des Willen Allahs in Deutschland bekunde. Den Vergleich mit kirchlichem Glockengeläut lassen sie nicht gelten. Hier fehle die verbale Botschaft.

Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass sich die Aufregung im Alltag schnell legt. In Rendsburg ist es völlig ruhig, nachdem der Ruf des Muezzin von der örtlichen Ditib-Moschee 2011 bundesweit für Aufregung gesorgt hatte. Auch in Neumünster und Schleswig gehört das „Allahu akbar“ seit 15 Jahren zum Alltag , und öffentlicher Protest ist nicht hörbar. Allerdings meiden viele Gemeinden den Konfrontationskurs. Bei den meisten Moscheen sei es üblich, beim Antrag auf die Baugenehmigung ausdrücklich auf den Gebetsruf zu verzichten, erklärte kürzlich Bekir Alboga, der Geschäftsführer der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (Ditib) in Köln.

Grundsätzlich sind islamische Gebetsrufe in Deutschland durch die Religionsfreiheit geschützt. Erst in dieser Woche hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betont: „Eine Muslimin mit Kopftuch, ein junger Mann mit Kippa und ein Minarett im Stadtbild – all das sind keine Widersprüche zu unserem Grundgesetz, sondern das ist genauso gelebte Religionsfreiheit wie das Läuten der Kirchenglocken.“ Der islamkritische Kurs der AfD schadet der Partei allerdings bislang nicht. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der Bild-Zeitung erreichte die Partei am Dienstag 13,5 Prozent, dies ist der höchste Wert, den Insa bislang ermittelt hat.

Kommentare