TTIP – die »NATO der Wirtschaft«

Michael Brückner

Die jetzt veröffentlichten TTIP Papers zeigen wieder einmal, was den Europäern bei einer Umsetzung der in Kungelrunden ausgehandelten sogenannten Freihandelsvereinbarungen zwischen den USA und der EU droht. Doch Washington hat in Deutschland einen mächtigen Verbündeten: die lobbystarke Automobilindustrie. Und genau dort wird der Hebel angesetzt.



Was hat die geplante Bargeldabschaffung mit dem umstrittenen »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP) zu tun, das unter strengster Geheimhaltung von einer abgehobenen Machtelite ohne Beteiligung der betroffenen Bürger verhandelt wird? Beide Vorgänge zeigen einmal mehr, dass eben alles irgendwie mit allem zusammenhängt.

Neben Regierungen und (Noten-)Banken haben vor allem global tätige US-Großkonzerne wie Google, Microsoft, Apple und PayPal ein starkes Interesse daran, dass unser Bargeld möglichst bald aus den Portemonnaies verschwindet und wir die von diesen Unternehmen angebotenen elektronischen Zahlungssysteme nutzen müssen. Bargeldverbote in Deutschland oder Österreich? Noch vor einem Jahr glaubte mancher an eine Verschwörungstheorie.

Doch wie schnell aus vermeintlichen Verschwörungstheorien Realität werden kann, zeigt die Abschaffung der 500-Euro-Banknote. Das Volk hat es hinzunehmen, es wird vorsichtshalber gar nicht erst gefragt. Das war schon bei der Abschaffung von D-Mark und Schilling so ‒ und nicht zuletzt beim Übergang von der europäischen Währungs- zur Schuldenunion.

Doch noch nie wurden die Bürger so dreist hinters Licht geführt wie bei den TTIP-Verhandlungen. Selbst die Parlamentarier hat man zu willfährigen Nickelmännchen degradiert.

Obamas illustre Tafelrunde

Wer die größten Profiteure dieses Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU sein werden, offenbarte beispielhaft Obamas Hannoveraner Tafelrunde im vergangenen Monat. Am Rande der Hannover Messe bat der scheidende US-Präsident zum Lunch. Eingeladen waren die Chefs internationaler Großkonzerne, darunter Microsoft, Dow, Lockheed Martin, Bayer, Siemens und – Matthias Müller, der neue VW-Chef.

Ebenfalls während der Messe traf sich Obama mit der deutschen Kanzlerin, dem französischen Präsidenten François Hollande und dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi. Schon auf dem Hinflug nach Deutschland hatte Obama einen Zwischenstopp in London eingelegt und den unpopulären britischen Premierminister David Cameron »ins Gebet« genommen.

Keine Frage: Die Hannover Messe ist ein Wirtschaftsevent von internationalem Rang. Dass aber so viel Prominenz aus Politik und Wirtschaft in die niedersächsische Landeshauptstadt eilte, hatte nur einen Grund – Obama will das TTIP-Abkommen so schnell wie möglich, in jedem Fall noch in seiner Amtszeit, unter Dach und Fach bringen.

Er spürt, dass der Widerstand gegen dieses Mauschelabkommen ständig wächst. Die Veröffentlichung der TTIP Papers Anfang Mai war ein weiterer Schlag ins Kontor, auch wenn diese Unterlagen im Grunde nicht viel Neues zutage förderten, sondern nur die Kritik der TTIP-Skeptiker bestätigten.

Auch jenseits des Atlantiks wächst der Widerstand. Die wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, spricht plötzlich von einer »NATO der Wirtschaft«. Gleichzeitig warnte sie vor Illusionen: »Ich möchte in die Augen jedes Amerikaners aus der Mittelschicht schauen und ehrlich sagen können: Dadurch steigt dein Gehalt. Das aber kann ich nicht.«

Es geht um Demokratie, nicht nur um Chlorhühnchen

Doch darum geht es auch gar nicht. Ziel dieses Abkommens ist es vielmehr, einen wirtschaftlich-militärischen Block gegenüber China und Russland zu installieren (»Wirtschafts-NATO«). Außerdem möchten sich die multinationalen Großkonzerne eine Machtstellung sichern, die jede nationale Gesetzgebung bricht. Es geht also nicht nur um die vielzitierten Chlorhühnchen, sondern um die Demokratie.

Wohin das führen kann, zeigt das Beispiel des US-Pharmariesen Eli Lilly. Das Oberste Gericht in Kanada hatte diesem Unternehmen keine Patentverlängerung erlaubt. Daraufhin reichte der US-Konzern eine Schiedsgerichtsklage gegen Kanada ein. Das ist möglich, da die USA und Kanada schon vor über 20 Jahren eine Freihandelszone gründeten (Nafta). »Es wurde bisher noch nie eine solche Schiedsgerichtsklage gegen die USA gewonnen«, stellt Maude Barlow, Vorsitzende des Councils of Canadians, fest.

Aufgrund der Erfahrungen mit Nafta, die neben den USA und Kanada auch Mexiko umfasst, sagt Barlow: »Ich warne alle Europäer, denen die Gesundheit der Bevölkerung, die Zukunft öffentlicher Dienstleistungen, das Selbstbestimmungsrecht der Menschen und der Schutz der Natur am Herzen liegen.« Das alles könnte mit dem Abschluss eines unter großer Geheimhaltung verhandelten TTIP-Abkommens auf dem Spiel stehen.

Bleibt die Frage, weshalb gerade die deutsche Regierung TTIP so stark unterstützt (Merkel sprach erst jüngst wieder von einer angeblichen Win-win-Situation). Letztlich wird Berlin von der außerordentlich mächtigen Lobby der Automobilhersteller getrieben. Die hat dem Vernehmen nach auch bei der angeblichen Euro-Rettung schon mächtig Druck ausgeübt. »Der Bundesverkehrsminister ist eigentlich nur der ›Gruß-August‹ der Autokonzerne«, sagte unlängst ein Brancheninsider hinter vorgehaltener Hand.

Die unheimliche Macht der Autokonzerne

Allein im Jahr 2014 sollen die Automobilunternehmen über 18 Millionen Euro für Lobby-Aktivitäten ausgegeben haben. Am meisten Geld investierte nach Recherchen von Lobby Facts dabei VW. Und natürlich zeigt man sich bisweilen auch erkenntlich: Im Jahr 2013 durfte sich die CDU über eine Großspende von über 690 000 Euro von der Quandt-Familie, also den BMW-Großaktionären, freuen. Angeblich als Dankeschön für die Euro-Rettung.

Die Macht der deutschen Autokonzerne ist natürlich auch in Washington bekannt. Und deshalb setzt man genau dort den Hebel an: Die US-Regierung droht, mögliche Exporterleichterungen für europäische Autohersteller zu blockieren, wenn die Europäer nicht im Gegenzug die Zölle auf Agrarprodukte senken und mehr in den USA produzierte Lebensmittel kaufen. Autos gegen Gen-Mais also. Schon gibt es Gerüchte, die zu erwartenden Milliardenstrafen für VW infolge des Abgasskandals könnten geringer ausfallen, wenn das TTIP-Abkommen zügig umgesetzt werde. Saß der VW-Chef deshalb an Obamas Tafelrunde?

Aber wenn vom Freihandel nicht alle profitieren, handelt es sich dann nicht tatsächlich um eine Win-win-Situation? Nicht immer. Oft profitieren nur die Eliten und internationale Großkonzerne. Erst jüngst erschienen amerikanische Wirtschaftsstudien, nach denen in manchen Industriebranchen in den USA rund 44 Prozent der Arbeitslosigkeit auf chinesische Importe zurückzuführen sind. Wegen des Handelsabkommens Nafta seien Hunderttausende von Arbeitsplätzen nach Mexiko ausgelagert worden.

Nach einer Umfrage des US-Fernsehsenders CNBC glaubt nur noch ein Drittel der Amerikaner, dass der Freihandel mit Kanada und Mexiko gut für sie war. Europa wiederum hat ein Handelsabkommen mit Westafrika. Dort ist seither europäisches Hähnchenfleisch so billig, dass einheimische Landwirte massenhaft pleitegehen. Freihandel ist keine schlechte Sache. Solange er den Menschen dient. Und nicht umgekehrt.

Kommentare