Amerikas zweifelhafter Sieg


Amerikas zweifelhafter Sieg
Wie es die USA durch die Ukraine Krise und der zugrunde liegenden neokonservativen Ideologie geschafft haben, Deutschland von Russland zu trennen.

von Zlatko Percinic

Amerika befindet sich vollkommen im Wahlkampffieber. Erst die monatelangen "Vorwahlkämpfe" der Demokraten und Republikaner um die Frage, wer überhaupt als Präsidentschaftsbewerber antreten wird, und dann der eigentliche Präsidentschaftswahlkampf bis zum Wahltag im November. Nebst der Frage, wer der oder die neue Präsident/in der Vereinigten Staaten von Amerika wird, beschäftigten sich die Amerikaner auch mit dem politischen Erbe des noch Präsidenten Barack Obama. Ja, er hat bereits bei seinem Amtsantritt 2009 Geschichte geschrieben: als erster US-Präsident afro-amerikanischer Abstammung.

Distanziert: Barack Obama und Wladimir Putin beim G8-Gipfel 2013

In der Zeit als Präsident aber sieht die Bilanz eher nüchtern aus. Abgesehen von einem zweifelsohne wichtigen neuen Krankenkassensystem, dem sogenannten Obamacare, konnte Obama nicht ein einziges seiner Versprechen umsetzen oder einleiten. Nicht ein einziges. Guantanomo, Afghanistan, Irak: diese von seinem Vorgänger George W. Bush übernommenen Hypotheken, werden auch seiner/m Nachfolger/in noch manche Probleme bereiten. Gut, er ist der Präsident, der Osama bin Laden nach jahrelanger Jagd aufgespürt (oder wurde er doch von Pakistan verraten?) und getötet hat. Das ist ein Punkt, den ihm die Amerikaner zugutehalten werden, aber damit wurde kein einziges der wirklich wichtigen Probleme gelöst.

Als einziges wichtiges Ergebnis, das Obama vorweisen kann, ist das Atomabkommen mit dem Iran. Allerdings steht es auf so wackeligen Beinen und wird in den USA, von Israel und Saudi Arabien so torpediert, dass es sich erst noch zeigen wird, ob das Abkommen auch unter einer neuen Administration im Weißen Haus Bestand haben wird.

Es gibt allerdings einen Bereich, woran man sich vermutlich noch lange Zeit erinnern wird.

Allerdings ist es kein Verdienst einer kohärenten Außenpolitik von Obama, als vielmehr das Ergebnis dessen, was man ihm schon lange in Amerika vorwirft: seine Schwäche als Präsident. Diese Schwäche wurde von verschiedenen Seiten ausgenutzt, von Lobbyisten, die Kongressabgeordnete bearbeiten und bezahlen, von den Banken, vom Pentagon und dem Industriellen-Militärischen-Komplex, und nicht zuletzt auch von Anhängern der neokonservativen Ideologie in Washington. Zahlenmässig wurden sie zwar mit der Obama-Administration reduziert, dennoch saßen und sitzen sie noch an den wichtigsten Schalthebeln der Macht.

U.S. Panzertruppen in der Nähe der lettischen Stadt Subate im Rahmen des NATO-Manövers Dragoon Ride II, Lettland, 6. Juni 2016.

Unter ihrer Obhut wurden im Kongress und Senat Gesetze und Resolutionen erlassen, die den Bemühungen von Barack Obama diametral entgegenstanden. Ihre Vertreter im Außenministerium - die wichtigste ist Victoria Nuland, Leiterin der Europa/Eurasien Abteilung - gestalten die Politik in Eigenregie und nicht selten gegen die Vorgaben ihres nominellen Vorgesetzten, Außenminister John Kerry. Sie haben schließlich das zu Ende geführt, wofür die neokonservative Ideologie einsteht, nämlich die Spaltung von Europa und aggressive Verteidigung amerikanischer Interessen. In ihrem Weltbild gibt es keinen Platz für einen starken Akteur, unabhängig davon, ob das in Form einer Europäischen Union oder einem Nationalstaat wie Russland oder China ist.

Wie dieses Weltbild aussieht, beschreibt wunderschön dieser Kolumne in der Washington Times:
"Die internationale Ordnung, die so sorgfältig zusammengesetzt wurde, und so treu von amerikanischen Präsidenten nach dem Kalten Krieg bewacht wurde, von Demokraten und Republikanern gleichermaßen, fällt unter diesem Präsidenten auseinander, zum Entsetzen von Amerikas besten Alliierten und zur unerwarteten Freude der beträchtlichen Zahl von Feinden dieser Nation. Die Anarchie, die diesem Auseinanderfallen folgen wird, wird das Erbe sein, das er hinterlässt."

Die von den USA "sorgfältig zusammengesetzte internationale Ordnung" war so lange in Ordnung, wie Amerika tatsächlich als alleinige Weltmacht etwas mehr als zwei Jahrzehnte lang tun und lassen konnte, was es beliebte. Sobald aber die ersten Anzeichen von Gegenwehr gegen diese US-dominierte Ordnung auftauchten, wurde es als Angriff und Anfang der "Anarchie" gewertet. Stattdessen aber war und ist diese Gegenwehr nichts anderes, als der Wunsch von Staaten, eine eigene und unabhängige Politik verfolgen zu "dürfen". So, wie man sich eine multipolare Weltordnung normalerweise vorstellen würde. Wo Staaten auf Augenhöhe miteinander agieren, sich austauschen und Handel betreiben.

Für einen Staat, der von sich selbst sagt "unentbehrlich" und "einzigartig" zu sein (interessanterweise findet Donald Trump diesen Terminus als "Beleidigung für andere Nationen"), kann es logischerweise kein miteinander auf Augenhöhe und deshalb auch keine richtige Multipolarität geben. Zu denken geben sollte allerdings ein "Arbeitspapier" aus dem Jahr 2015 der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin.

Als "höchstrangige, ressortübergreifende Weiterbildungsstätte des Bundes im Bereich der Sicherheitspolitik" und direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt, hat dieses Arbeitspapier zum Thema Multipolarität eine hohe Aussagekraft. Denn statt nach einem friedlichen Miteinander zu streben, wo die Staaten als gleichberechtigte Partner agieren, wird dieses Konzept als "Mär" in Abrede gestellt. Laut diesem Papier ist eine multipolare Weltordnung von "Instabilität und Krisenanfälligkeit" geprägt, und kann daher lediglich als "Umbruchphase" betrachtet werden, in der ein Hegemon langsam aber sicher von einem anderen Hegemon abgelöst wird. Überhaupt wird für die Sicherheitspolitik die Hegemonie bevorzugt, da nur "dieses Prinzip ... eine sicherheitspolitische Ordnung bereitstellen und aufrechterhalten kann."

Sein

Ja, Sie haben richtig gelesen. Ein deutsches "Arbeitspapier" aus dem Umfeld des Verteidigungsministeriums zieht eine Hegemonie, d.h. bewusste (aus strategischen Gründen) Unterordnung Deutschlands gegenüber einem Hegemon (lt. Duden jemand, der die Vorherrschaft über andere Herrschende hat). Um sich diese Tatsache selbst etwas schön zu reden, heißt es darin weiter:
"Hegemonie klingt zunächst negativ, verbindet man mit ihr doch imperiale Systeme, deren innerer Zusammenhalt auf Autorität und Einschüchterung basiert. Es gibt aber auch den integrierenden Hegemon, der - wie etwa die USA in der NATO - die Souveränität von Nationalstaaten weitgehend respektiert. Dieses hegemoniale System beruht auf Partizipation und Kooperation nach innen."
Weiterhin heißt es in dem Arbeitspapier: "... vollzieht sich die Ablösung des Hegemon langwierig und gewaltfrei oder als gewaltsamer Umsturz in Form globaler Ausscheidungskriege". Betrachtet man sich die Landkarte des Krieges (und der US-Militärbasen weltweit), befinden wir uns meiner Meinung nach nicht in einer gewaltfreien Phase des Überganges.

Wolfowitz Doktrin immer noch aktiv
Nichts beschreibt die neokonservative Ideologie besser, als die sogenannte "Wolfowitz Doktrin" aus dem Jahr 1992. Benannt nach Paul D. Wolfowitz, der zu diesem Zeitpunkt Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium war - mit Dick Cheney als Verteidigungsminister - erarbeiteten er und sein Team ein Strategiepapier für die Vereinigten Staaten von Amerika, das sich wie ein roter Faden bis in die heutige Zeit durchzieht. Dieses Strategiepapier wurde vor der offiziellen Veröffentlichung formell etwas abgeschwächt, da die darin benutzte Sprache nicht mehr dem vorherrschenden Zeitgeist von Frieden und Aufbruchstimmung entsprach. Immerhin wurde soeben erst der Kalte Krieg beendet, die Sowjetunion zu einem Relikt für die Geschichtsbücher und Amerika feierte sich selbst.

Ray McGovern und Elizabeth Murray in Berlin. Foto: Stefan Böhme

Zwar erhielten Dick Cheney & Co mit der Wahl von Bill Clinton ins Weiße Haus vorerst einen Dämpfer, dafür meldeten sie sich acht Jahre später mächtiger als jemals zuvor in die Hallen der Macht zurück. Wie sie sich "ihr" Amerika vorstellen, haben sie mit einem eigenen Strategiepapier ihres 1997-gegründeten Think Tanks Project for a New American Century (PNAC) dargelegt. Das meiste aus diesem PNAC-Dokument beruhte allerdings auf den Grundsätzen von Paul D. Wolfowitz aus dem Jahr 1992, der ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern von PNAC gehörte. Mit dieser fixen Vorstellung ausgestattet, begannen diese Männer um George W. Bush herum nicht nur Amerika zu verändern, sondern auch die Welt. Um zu verstehen was für Auswirkungen diese "Wolfowitz Doktrin" auf uns alle hat, gerade hinblicklich der sich stetig verschlechternden Beziehung zu Russland, ist es unumgänglich einige Passagen aus diesem Pentagon Papier zu zitieren:
"Unser erstes Ziel ist es, die Wiedererstarkung eines neuen Rivalen, entweder von dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder sonstwo, zu verhindern, der zu einer Bedrohung in der Größenordnung wie früher die Sowjetunion werden könnte. Das ist eine dominante Betrachtungsweise, die die neue regionale Verteidigungsstrategie unterstreicht, und damit bedingt, dass wir uns darum bemühen jedwede feindliche Macht daran zu hindern eine Region zu dominieren, deren Ressourcen unter konsolidierter Kontrolle genügen würden, um eine globale Macht zu generieren. Diese Regionen sind Westeuropa, Ostasien, das Territorium der ehemaligen Sowjetunion und Südwestasien.
(Dazu) müssen die USA die notwendige Führung zeigen, um die neue Ordnung zu schaffen und zu erhalten, die das Versprechen enthält, potenzielle Herausforderer davon zu überzeugen, dass sie nicht eine größere Rolle beanspruchen oder eine aggressivere Haltung einnehmen, um ihre legitimen Interessen zu verteidigen. Wir müssen die Interessen der fortschrittlichen Industrieländer genügend berücksichtigen, um sie davon abzuhalten, unsere Führungsrolle in Frage zu stellen, oder danach streben, die erstellte politische und wirtschaftliche Ordnung zu stürzen. Schließlich müssen wir den Mechanismus aufrechthalten, der potenzielle Konkurrenten davon abschreckt, überhaupt eine größere regionale oder globale Rolle anzustreben."
Im Kern ist das die "Wolfowitz Doktrin", in der es darum geht, einerseits eine globale amerikanische Vorherrschaft zu erstellen, abzusichern und zu verteidigen, und andererseits alle potenzielle Konkurrenten auszuschalten. Das muss nicht zwingend mit militärischen Mitteln sein. Sanktionen, Sicherung von Ressourcen durch US-Unternehmen im jeweiligen Land und Ausschluss von Kapital sind die Mittel der Wahl. Eine "substanzielle amerikanische Präsenz in Europa" wird als "vital" bezeichnet, um keine ausschließlich europäische Sicherheitsallianz zuzulassen, die die "NATO unterlaufen würde". Denn diese ist, man kann es nicht oft genug betonen, "ein primäres Instrument für US-Einfluss und Teilnahme in europäischen Sicherheitsangelegenheiten".


Russland im Visier
Große Sorge bereitete den Planern der "Wolfowitz Doktrin" die neue Situation ohne ein bestimmtes Feindbild. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die USA nicht zum "Polizisten der Welt" werden kann und man deshalb auf regionale Partner angewiesen ist. Kopfzerbrechen bereiteten ihnen hauptsächlich die Ukraine und Russland, die der Sowjetunion erst die entsprechenden Ressourcen zur Weltmacht geliefert haben. Gemäß dem Strategiepapier hoffte man auf eine "völlige De-Militarisierung der Industrie", sollte dies nicht möglich sein, dann doch wenigstens auf eine "radikale Verkleinerung" insbesondere der Nuklearwaffen.

Sollten sich die Ukraine und Russland der von der USA erstellten Ordnung nicht unterordnen, dann "sollten wir planen, uns gegen solch eine Bedrohung in Osteuropa zu verteidigen, sollte es eine Entscheidung der Allianz dazu geben", heißt es weiter. Man spürt daraus förmlich, wie die Verfasser der "Wolfowitz Doktrin" noch an dem alten, durch Jahrzehnte geprägten Feindbild krampfhaft festhalten.

Es wäre allerdings falsch, alles der neokonservativen Clique in die Schuhe schieben zu wollen.  Schließlich war es unter der Administration von Bill Clinton, in welcher sich die NATO allen früheren Beteuerungen zum Trotz nach Osten erweitert hat. Obwohl immer noch behauptet wird, dass die Osterweiterung ein gemeinsamer Beschluss der NATO-Staaten beim Gipfel von 1997 in Madrid war, sprach sich Bill Clinton bereits drei Jahre zuvor dafür aus. Kurz vor diesem Gipfel schrieben 47 amerikanische Senatoren, Diplomaten und ehemalige Regierungsmitglieder einen offenen Brief an Bill Clinton, in welchem sie die Osterweiterung als "Fehler historischen Ausmaßes" bezeichneten. Die Richtung wurde von Bill Clinton vorgegeben, das Fundament dann von George W. Bush und seinen Kohorten ausgefüllt.

US-Fallschirmspringer bilden ukrainische Infanteristen im Rahmen des Programms

Nach nur einem Jahr im Amt (und nur drei Monate nach 9/11) kündigte die Bush-Regierung das seit 1974 bestehende ABM-Abkommen mit Russland (Anti-Ballistic Missile Treaty oder Vertrag zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen) auf. Mit diesem Abkommen verpflichteten sich die USA und die Sowjetunion, ihre Entwicklung von ballistischen Raketen zu limitieren und, was noch wichtiger ist, man beschränkte die Stationierung von ballistischen Raketen lediglich auf die jeweilige Hauptstadt, sowie einer weiteren Position nach Wahl im jeweiligen Land.
Allerdings mussten die zwei Standorte mindestens 1.300 Kilometer voneinander entfernt sein. Bei diesem ABM-Abkommen handelte es sich also um ein äußerst nützliches Abkommen, das von beiden Seiten ein gewisses Maß an Vertrauen abverlangte. Korrekterweise wurde es weltweit, aber auch von jeder amerikanischen Regierung bis zur Bush II-Administration, als ein „Eckpfeiler der strategischen Stabilität“ bezeichnet.

Mit der von Hillary Clinton ins Außenministerium einberufenen Victoria Nuland (eigentlich Nudelmann) im Herbst 2013 sollten die Probleme erst so richtig beginnen. Nuland, die sogar in einem SpiegelOnlineArtikel als "Amerikas Krawall-Diplomatin" beschrieben wurde, sorgte bereits in den 1990er Jahren für Furore, als sie unter Vize-Außenminister und engem Clinton Vertrauten Strobe Talbott, die Zerschlagung Rest-Jugoslawiens und anschliessender NATO-Bombardierung von Serbien orchestrierte. In der neuen Regierung von George W. Bush, holte Dick Cheney, der mächtigste Vize-Präsident in der Geschichte Amerikas, sie als außenpolitische Beraterin ins Weiße Haus.

Anschließend empfahl Cheney sie als US-NATO Botschafterin. Diesen Posten dürfte sie nicht zuletzt auch ihrem Ehemann, Robert Kagan, verdanken, der ebenfalls zu den Mitbegründern des neokonservativen PNAC gehörte und noch heute über sehr viel Einfluss verfügt.

Über welchen Einfluss das Paar Kagan-Nuland in Washington verfügt, zeigte sich zum Beispiel nach einem Artikel von Kagan aus dem Jahr 2014, in welchem er Barack Obama beschuldigte, die historische Mission Amerikas der globalen Führung untergraben zu haben. Dieser Artikel muss das Weiße Haus und den Präsidenten dermaßen beunruhigt haben, dass sich selbst die New York Times auf diese Story stürzte.


Als Leiterin für Europa/Eurasien im Außenministerium obliegt es der Verantwortung von Victoria Nuland, wie die tagtäglichen Beziehungen zwischen den USA und diesen Ländern geführt werden (sofern es keine anderen Direktiven der Regierung gibt). Es ist unklar, ob sie tatsächlich die Urheberin des Putsches in der Ukraine gegen Viktor Janukowitsch ist, wie man es ihr vielfach vorwirft. Dadurch, dass sie offiziell erst Ende September 2013 ins Außenministerium wechselte, die Pläne für den Putsch gemäß dem ukrainischen Parlamentsmitglied Oleg Tsarev in seiner Rede in der Rada (Parlament) in Kiew aber seit Anfang März 2013 durch die US-Botschaft vorbereitet wurden, stehen zumindest gewisse Vorbehalte hinter dieser Behauptung. Fakt ist, dass Victoria Nuland und ihr Botschafter Geoffrey Pyatt auf Band aufgenommen wurden, als sie die Regierungsposten in Kiew verschacherten und sie etwaige Bedenken der Europäischen Union mit dem berühmten "Fuck the EU" quittierte. Sie war auch das erste US-Regierungsmitglied, das offiziell von einer "russischen Invasion" der Ukraine sprach. Als Nuland in einer Senatsanhörung gefragt wurde, ob sie diese Behauptung beweisen kann, meinte sie einfach:
"Wir haben klar gemacht, dass Russland dafür verantwortlich ist, den Krieg in der Ostukraine zu befeuern." 
Nicht ganz so einfach ist Samantha Power, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, bei einer Anhörung durch den Vorsitzenden des Unterausschusses für Europa und Eurasien weggekommen. Als sie ihm die altbekannte Leier von der russischen Invasion und dem bösen russischen Präsidenten Putin präsentieren wollte, überraschte sie der Vorsitzende Dana Rohrabacker mit dem Eingeständnis, dass es erst der "gewaltsame Putsch" war, der den Krieg ausgelöst hat, und dass tausende Menschen in der Ukraine durch ukrainische Truppen und Freischärler ums Leben kamen.

Bewirkt hat dieses Eingeständnis allerdings gar nichts. Die offizielle Washingtoner Regierungsposition ist nach wie vor die vom russischen Aggressor. Diese Position wurde auch von der Europäischen Union übernommen, um das von den USA aufgezwungene Sanktionsregime durchzusetzen, was allerdings nur mit Vorbehalten von einigen EU-Mitgliedern mitgetragen wurde.
Die NATO hat sich in Osteuropa vom Baltikum bis Rumänien einen Gürtel von Kommandozentren aufgebaut und das höchst umstrittene Raketenabwehrprogramm in Rumänien aktiviert (Polen soll 2018 folgen). Zurzeit finden in Polen die größten NATO-Truppenübungen seit dem Kalten Krieg statt.

US-Präsident Obama fordert von Deutschland, größere Bundeswehrkontigente zur "Abschreckung von Russland" nach Osteuropa zu verlegen. US-Verteidigungsminister Ash Carter übte sich bereits in rhetorischer Abschreckung, als er in einer Rede vor Soldaten des militärischen Geheimdienstes in Fort Huachuca/Arizona mit erhobenem Finger gen Russland drohte. "Eine effektive Abschreckung bedeutet, wenn du irgendwas versuchst, wirst du es bereuen", erklärte er vor versammelter Mannschaft. Desweiteren sagte Carter, dass "wir 25 Jahre lang keine Bedenken über Aggression in Europa durch Russland hatten, aber jetzt schon". Hoffnungen auf ein baldiges Ende dieser gefährlichen Entwicklung erteilte der Verteidigungsminister eine Absage: "Es ist unglücklich, aber ich sehe keinen anderen Ausweg und ich sehe insbesondere kein Ende, zumindest nicht kurzfristig. Wir sind hier, wo wir sind. Wir müssen tun, was wir tun müssen."

Auch in Deutschland scheinen die Zeichen auf Konfrontation zu stehen. Allen diplomatischen Mühen des Außenministers Frank-Walter Steinmeier zum Trotz, beauftragte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Februar ihre Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine neue Militärdoktrin für die Bundeswehr auszuarbeiten. Grund dafür sei "Russlands Vorgehen in der Ukraine, das die Sicherheitsarchitektur in Europa grundlegend verändere". Wie das mit der Intervention von Aussenminister Steinmeiner beim NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zusammenpasst, in welcher er der NATO Propaganda und Desinformation vorwarf, bleibt unklar.

Auf jeden Fall hat die der Regierung in Berlin nahestehende Welt vergangene Woche Auszüge aus der neuen Militärdoktrin noch vor der offiziellen Einführung bekannt gegeben. Nebst Risiken wie Terroranschläge, Klimaveränderung oder Flüchtlingszustrom und anderen Punkten, wird das "Machtstreben des russischen Präsidenten Wladimir Putin" als Bedrohung für Deutschland eingestuft. Russland soll fortan nicht mehr als "herausgehobener Partner", sondern als "Rivale" behandelt werden. Eine wichtige Rolle scheint bei dieser Entscheidung die Befürchtung der Bundesregierung gespielt zu haben, dass Russland die Rohstoffversorgung Deutschlands in Gefahr bringen könnte.

Für Washington ist diese Entwicklung, nach einer ganzen Reihe von politischen und militärischen Niederlagen der letzten Jahre, zweifelsohne ein großer Sieg. Rufen wir uns die "Wolfowitz Doktrin" nochmal kurz in Erinnerung, in der die "neue Ordnung" unter US-Führung klar definiert ist: kein Staat, auch nicht ein den USA freundlich gesinnter oder Alliierter, darf so stark werden, um diese Ordnung zu bedrohen. Der Zugang zu globalen Ressourcen muss gewährleistet sein, genauso wie die NATO als "primäres US-Instrument" zur Einflussnahme in Europa, mit Blick nach Osten. Sogenannte Freihandelsabkommen wie TTIP oder TTP, die gezielt gegen Russland und China gerichtet sind, sollen europäische bzw. asiatische Länder an die USA binden. George Friedman, Gründer des privaten "Geheimdienstunternehmens" STRATFOR, wischte dann auch die letzten Zweifel über die US-Politik bei einer Rede im März 2015 vom Tisch:
"Das oberste strategische Ziel der US-Regierung ist die Verhinderung einer deutsch-russischen Allianz. Diese Allianz zu blockieren ist der einzige Weg zur Verhinderung einer alternativen Weltmacht, die die amerikanische Position als alleinige Weltmacht herausfordern könnte." 
Glücklicherweise gibt es erste Anzeichen einer gewissen Neuinterpretation der Realität in den Mainstream-Medien. In der Zeit Online schrieb Jochen Bittner etwa, dass "die NATO womöglich dabei ist, einen der größten Fehler ihrer Geschichte zu begehen." Verglichen mit den anderen Fehlern, wie die Bombardierung Serbiens oder Libyens, ist ein potenzieller Konflikt mit Russland tatsächlich der größtmögliche Fehler, den die NATO begehen könnte. Gemeint hat Bittner aber den Raketenabwehrschirm in Osteuropa, was am Ende aber aufs Gleiche herauskommt. Auch der deutsche Think Tank IPG (Internationale Politik und Gesellschaft) kritisiert die USA/NATO für diesen Raketenabwehrschirm, und stellt diesen rein technisch in Frage. Selbst in Amerika gesellen sich zu den in Mainstream Medien ansonsten üblichen Anfeindungen gegenüber Russland oder Putin, solche Artikel wie in der Los Angeles Times"Russia`s got a point: The U.S. broke a NATO promise" (Russland hat recht: Die USA haben ein NATO Versprechen gebrochen). Das wäre bis vor kurzem noch völlig undenkbar gewesen.

Vielleicht sollte sich die US-Regierung, aber auch das amerikanische Volk wie auch die europäischen Völker, diesen Satz aus einem Brief von Thomas Jefferson, einem der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika, durch den Kopf gehen lassen:

"Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und Tyrannen aufgefrischt werden. Es ist dessen natürlicher Dünger."

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