Blackout nach dem Brexit: Vorgeschmack auf bargeldlose Zeiten

Michael Brückner

»Nichts geht mehr« – so heißt es nicht nur in Spielbanken, sondern bisweilen auch bei manchen Online-Brokern. Nach der Brexit-Abstimmung kamen Kunden teilweise stundenlang nicht mehr an ihre Wertpapiere. Ein Vorgeschmack auf das, was uns nach einer Bargeldabschaffung auch bei den elektronischen Zahlungssystemen bevorstehen könnte.




In seinem lesenswerten Bestseller Blackout beschreibt Marc Elsberg eine bizarre Szenerie an einem kalten Februarabend in der Nähe der österreichischen Stadt Bregenz. Auf dem Weg in ihr Wintersport-Domizil steuern ein paar Touristinnen einen Rasthof an, um zu tanken, zur Toilette zu gehen und eventuell eine Kleinigkeit zu essen. Und schon befinden sie sich mitten im Chaos.

Wegen eines großflächigen Stromausfalls in ganz Europa geht buchstäblich nichts mehr. Herde und Kühlschränke sind außer Betrieb, ebenso die Toiletten. Wer Glück hat und in der Küche noch etwas Essbares bekommt, muss dafür bar bezahlen. Denn bei einem Blackout funktionieren natürlich auch Karten-Lesegeräte und andere elektronische Systeme zum bargeldlosen Zahlen nicht mehr.

Was Marc Elsberg hier beschreibt, ist (noch) Fiktion, aber nahe an der Wirklichkeit. Wenn es Hackern eines nicht allzu fernen Tages gelingt, die Stromnetze europaweit kollabieren zu lassen, dann dürfte sich schnell zeigen, weshalb es von großem Vorteil sein kann, mit Bargeld zu zahlen.

Nicht nur die Stromnetze sind anfällig. Und es muss auch nicht der GAU eines europaweiten Blackouts in einer Winternacht sein. Mitunter genügt schon ein durchaus voraussehbares Ereignis wie der Brexit – und die angeblich so leistungsfähige IT der Online-Banken stößt unversehens an ihre Grenzen.

Als sich am Morgen des 24. Juni Abertausende von privaten Anlegern den Schlaf aus den Augen rieben und einen Blick auf die Breaking News warfen, die gerade über die TV-Bildschirme und Computer-Monitore liefen, konnten viele zunächst nicht glauben, was sie da lasen und hörten: Die Briten hatten – allen anderslautenden Prognosen zum Trotz – mehrheitlich für den Austritt aus der EU votiert.

Folgen der Propaganda-Dauerberieselung

Weil viele Anleger infolge wochenlanger Propaganda-Dauerberieselung nun das Schlimmste befürchteten, wollten sie offenbar retten, was noch zu retten war. Während der ersten Handelsminuten nach der dramatischen Brexit-Nacht von London brach der Deutsche Aktienindex (Dax) um mehr als 1000 Punkte ein. Salopp ausgedrückt, bekamen viele Privatanleger »kalte Füße« und versuchten, über ihre Online-Banken noch schnell Aktien zu verkaufen, bevor es noch steiler abwärts gehen könnte. Hatte nicht George Soros einen »schwarzen Freitag« für den Brexit-Fall vorhergesagt?

Doch die Systeme vieler Online-Broker waren diesem Ansturm nicht gewachsen. Kunden der Consorsbank und der DAB Bank saßen verzweifelt vor ihren Rechnern und konnten keine Verkaufsorder erteilen. Ähnlich erging es vielen Schnäppchenjägern, die nach dem rasanten Kurssturz die günstigen Preise zum Einstieg nutzen wollten. Jeder zweite Kunde scheiterte beim Versuch, sich in sein Online-Depot einzuloggen. Stattdessen tauchten immer wieder kryptische Fehlermeldungen auf.

Teilweise herrschten bei den Online-Banken Zustände wie in der Hochzeit des Neuen Marktes, als viele Anleger in der Hoffnung auf schnelle Zeichnungsgewinne beinahe jede Neuemission orderten. Das Handelsaufkommen nach der Brexit-Nacht sei größer gewesen als nach dem Reaktorunglück in Fukushima vor 5 Jahren, versuchte sich der Sprecher einer der betroffenen Banken zu entschuldigen.

Doch während die Katastrophe von Japan ohne jede Vorwarnung über die Welt hereingebrochen war, stand der Termin der Brexit-Abstimmung schon seit vielen Monaten fest. Dass es bei anderen Online-Banken zu keinen Problemen kam, deutet darauf hin, dass die beiden betroffenen Institute einfach nur schlecht vorbereitet waren.

Auf eine Entschädigung dürfen die Kunden in den meisten Fällen nicht hoffen. Chancen haben allenfalls Anleger, denen es gelungen war, die Log-in-Hürde der Bank zu nehmen, und die anschließend vergeblich versuchten, Aktien zu verkaufen.

Doch geht es an dieser Stelle nicht vorrangig um die Frage, ob es sonderlich intelligent war, dem ersten Herdentrieb zu folgen und nach dem Brexit-Schock an den Börsen seine Aktien zu verkaufen, zumal sich die Märkte innerhalb weniger Stunden wieder etwas erholten. Es geht auch nicht um die Frage, ob einige Online-Broker nicht vorbereitet waren, weil sie in einer Art Selbsthypnose den Brexit für ausgeschlossen hielten. Beunruhigen muss vielmehr die Erkenntnis, wie schnell exogene Schocks die Systeme stundenlang lahmlegen und der Anleger nicht mehr über sein Vermögen – in diesem Fall über seine Wertpapiere – verfügen kann.

Insolvent bei bester Bonität

Nach einer geplanten Bargeld-Abschaffung, so wie sie immer mehr Politikern, Eurokraten und bestimmten Branchen der Wirtschaft vorschwebt, wären die Bürger sozusagen auf Gedeih und Verderb den Systemen der bargeldlosen Zahlungssysteme ausgeliefert. Fallen diese Systeme aus, weil zum Beispiel viele Bürger aufgrund von akuten Krisen »Hamsterkäufe« tätigen und diese bezahlen möchten, können sich die Kunden nicht einmal mehr mit dem Nötigsten versorgen.

Gleiches gilt, wenn Hacker die Systeme lahmlegen oder Regierungen den Zahlungsverkehr stoppen, weil sie etwa eine Währungsreform vorbereiten. Auf das Bargeld in unserem Portemonnaie können wir jederzeit zugreifen. Zufällige oder bewusst provozierte Störungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr führen jedoch schnell zu der ebenso grotesken wie peinlichen Situation, dass wir selbst bei bester Bonität zahlungsunfähig sind.

Gut beraten also, wer sich für den Fall von Bargeld-Restriktionen eine Cash-Reserve anlegt. Ein Teil davon vielleicht in Britischen Pfund ‒ die Währung des EU-Scheidungskandidaten ist derzeit jedenfalls günstig zu bekommen.

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