Die geheime Agenda des NATO-Gipfels – Ist das Imperium gescheitert?

Peter Orzechowski

In einem Monat treffen sich die Vertreter der NATO-Staaten in Warschau, um die nächsten Schritte des Militärbündnisses zu erörtern. Schon heute wird im Netz diskutiert, ob die USA ihre geostrategischen Ziele – die Schwächung Russlands und die Kontrolle über die Öllagerstätten des Mittleren Ostens – noch werden erreichen können. Entgegen der Argumentation namhafter amerikanischer Experten wie etwa Eric Zuesse von Strategic-Culture bin ich der Meinung, dass sich das Imperium noch lange nicht von seinen Zielen entfernt hat, sondern – im Gegenteil – kontinuierlich seiner Erfüllung näherkommt.



Betrachten wir zunächst die Lage in Syrien: Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob das Ziel, das die USA nach Aussage von Robert F. Kennedy Jr. seit 1949 verfolgen, nämlich eine Pipeline zu bauen, die die Ölfelder Saudi Arabiens (und später auch die Gasfelder Katars mit türkischen Häfen) über Syrien mit dem Libanon verbindet, nicht mehr zu erreichen ist. Denn der Weg zu diesem Ziel, Assad zu stürzen, Syrien aufzuteilen und einen Teil davon in ein »Dschihadistan« zu verwandeln, scheint durch das Eingreifen Russlands in den Krieg um Syrien, verbaut zu sein.

Doch der Schein trügt: USA/NATO können immer noch auf ihren Verbündeten Türkei zählen. Die Türkei hat vor einem Monat einen Militärstützpunkt in Katar in Betrieb genommen.

Ministerpräsident Davutoğlu sagte damals bei einer Pressekonferenz in Doha, dass gemeinsame Projekte der beiden Länder auf dem Gebiet der Rüstungsindustrie oberste Priorität hätten.  Auf der Militärbasis sind etwa 3000 Soldaten des Heeres, Angehörige der Luftwaffe und der Marine des Landes sowie Ausbilder und Sondereinsatzkräfte stationiert.

Im Hinblick auf Syrien hat die Türkei (=die NATO) zwei Möglichkeiten: Die erste ist ein Einsatz von Bodentruppen in Syrien, der darauf zielt, die Nachschublinien des IS wiederherzustellen und das syrische Militär an der Kontrolle der Grenze zu hindern. Nach unterschiedlichen Berichten hat Erdoğan 18 000 Soldaten, unterstützt durch Luftwaffe, Rüstung und Artillerie entlang der Grenze aufgestellt, um eine solche Invasion durchzuführen. Der zweite Plan ist noch einfacher: eine Flugverbotszone über ganz Syrien zu schaffen.

Erdoğan und seine Hintermänner im Westen könnten erklären, in Aleppo oder in einer anderen Kampfzone geschähe eine humanitäre Katastrophe oder gar ein Genozid und es sei dort eine »Verantwortung, zu beschützen« (responsibility to protect, R2P). Es bräuchte keinen UN-Sicherheitsrat, um eine solch eindeutig »humanitäre« Aktion durchzuführen. Sarajevo und Kosovo sind zwei Beispiele für diese Strategie.

Sollten die türkischen Truppen den Kurden und Syrern nicht gewachsen sein, bliebe immer noch die NATO als Verbündeter. Ich hatte in früheren Artikeln schon darauf hingewiesen, dass die USA die NATO-Staaten wiederholt zum Kriegseinsatz in Syrien aufforderte – viele Bündnismitglieder, auch Deutschland,  sind diesem Aufruf gefolgt. Beim Bündnistreffen in Warschau vom 8. bis 9. Juli wird der NATO-Einsatz in Syrien sicher ein wichtiges Thema sein.


Die saudische Ölpreis-Waffe

Saudi-Arabien hat zunächst ‒ auf Anraten Washingtons ‒ mit einer Politik der niedrigen Ölpreise seine Mitbewerber auf dem Ölmarkt, vor allem Russland, Venezuela, Brasilien und den Iran, treffen wollen. Tatsächlich scheint sich Riad damit jedoch selbst in finanzielle Schwierigkeiten gebracht zu haben. Die saudische Königsfamilie hat die eingenommenen Petro-Dollars vor allem in US-Anleihen und US-Vermögensgüter investiert. Ein erheblicher Teil der Gelder floss auch in US-Offshore-Zentren wie Delaware, Wyoming oder Nevada. Die Panama Papers bestätigen, dass die saudische Königsfamilie Gelder in Steuer-Oasen parkt.

Die saudische Königsfamilie fürchtet einen Umsturz und will sich offenbar für die Zeit danach auf eine neue Heimat im Exil einrichten. Saudi-Arabien ist in die Konflikte im Jemen und in Syrien direkt verwickelt und diese Konflikte wirken sich polarisierend auf die Innenpolitik des Landes aus. Neben den Schiiten gibt es noch weitere Gruppen im Land, die die Außenpolitik der Königsfamilie nicht teilen.

Auch die Könige und Emire von Bahrain und Katar sind verängstigt, wie der ehemalige Stabschef im Pentagon, Lawrence Wilkerson, gegenüber den Deutschen Wirtschafts Nachrichten erklärte. »Die Welt verändert sich, und diese Emire und Könige sind auf der falschen Seite der Geschichte. Ihre Tage sind gezählt. «

Dieser Meinung sind inzwischen wohl auch die Entscheider in Washington. In Kürze dürften die ersten Schadensersatzprozesse gegen Saudi-Arabien anlaufen wegen Unterstützung der Anschläge vom 11. September. Ein zweiter Hinweis darauf, dass die Amerikaner die Saudis fallen lassen, ist, dass US-Präsident Obama auf einmal demokratische Reformen von Riad fordert. Dieselbe Rhetorik brachte Obama kurz vor Ausbruch des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 gegenüber der Regierung in Damaskus vor. Anschließend brach der aus dem Ausland finanzierte Syrien-Konflikt aus. Es liegt ja auch auf der Hand: Eine Destabilisierung Saudi-Arabiens könnte den durch die innersaudischen Machtkämpfe gefährdeten Zugriff auf die Ölquellen wieder erleichtern.

Die Bundesregierung hat den Wind of Change offenbar noch nicht mitbekommen: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) würdigte kürzlich die Reformpläne des stellvertretenden saudi-arabischen Kronprinzen, Mohamed ibn Salman, und plädierte dafür, Patrouillenboote an Saudi-Arabien zu liefern. Steinmeier war in den letzten neun Monaten zweimal mit Mohamed ibn Salman für längere Gespräche in Riad zusammengetroffen.

»Bei meinem letzten Besuch in Saudi-Arabien haben wir lange darüber gesprochen, wie die militärischen Auseinandersetzungen im Jemen beendet werden können«, sagte Steinmeier in einem Interview der Welt am Sonntag: »Ich freue mich, dass die Friedensverhandlungen in Kuwait jetzt begonnen haben, und hoffe, dass wir den Konflikt in Jemen in absehbarer Zeit beilegen können.«

Lieferungen von Waffen, die zu innerstaatlichen Auseinandersetzungen beitrügen oder im Jemen-Konflikt eingesetzt werden könnten, seien »völlig heruntergefahren«. Steinmeier sagte weiter: »Dagegen gibt es legitime saudische Interessen beim Grenz- und Küstenschutz, wo ich keinen Anlass sehe, die Sicherheitskooperation einzustellen. Das gilt für elektronische Grenzüberwachungssysteme in gleicher Weise wie für die leichten Patrouillenboote, die Saudi-Arabien aus Deutschland bezieht.«

Der NATO-Einsatz in Libyen

Die NATO hatte 2011 durch Luftangriffe den Sturz des langjährigen Präsidenten Muammar al-Gaddafi herbeigeführt. Seitdem versinkt das Land wegen der Kämpfe zwischen zahlreichen Milizen im Chaos. Am 31. März dieses Jahres hat die neue Regierung der Nationalen Einheit unter Anführung von Fajes al-Sarradsch ihre Arbeit begonnen. Die Regierung hofft, die Einheit des Landes wiederherstellen zu können. Einige Gebiete Libyens sind unter Kontrolle von IS-Kämpfern – was ich bereits vor Wochen hier vermeldet hatte.

Mitte April erklärte NATO- Generalsekretär Jens Stoltenberg vor Beratungen mit den EU-Verteidigungsministern in Luxemburg, das Bündnis stehe bereit, der neuen Einheitsregierung in Libyen beim Aufbau von Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen zu »helfen«. Voraussetzung dafür sei eine Anfrage der Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat der neuen Regierung EU-Steuergelder in Höhe von 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

Stoltenberg hatte kurz vor diesem Treffen übrigens (in Washington) etwas sehr Wegweisendes gesagt: Die NATO sei berechtigt, die USA und die EU auch auf fremdem Territorium zu verteidigen. Zugleich wolle die NATO weltweit Länder in Militärfragen »beraten«. Dazu soll es eine enge Allianz mit den Golf-Staaten geben. Beim Militärgipfel in Warschau wird der Libyen-Einsatz wohl noch genau abgestimmt werden. Auch hier ist das Ziel des Imperiums, die Ölquellen des Landes zu sichern, in erreichbare Nähe gerückt.

Aber was tun mit dem aufmüpfigen Russen? Wie kann die NATO ihren Haupt-Widersacher in die Enge treiben? Darüber möchte ich in einem späteren zweiten Teil der Vorschau auf Warschau berichten.

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