Soros, Brexit und das einträgliche Spiel ums europäische Ungleichgewicht

Andreas von Rétyi

Im Vorfeld des Brexit-Votums meldete sich selbstverständlich auch Mega-Spekulant George Soros zu Wort, um deutliche Warnungen auszusprechen: Sollte sich Großbritannien gegen den Verbleib in der EU entscheiden, würde dies einen »Schwarzen Freitag« bedeuten. Spekulierte Soros sogar auf diese Entwicklung, wie einst 1992? Und was ist in den vergangenen Tagen wirklich geschehen?




Vor beinahe einem Vierteljahrhundert entwarf Hedgefonds-Spekulant George Soros unter ganz wesentlicher Beteiligung seiner rechten Hand Stanley Druckenmiller eine komplexe Strategie, gleichsam gegen die Bank von England zu spekulieren und damit weit über eine Milliarde Dollar zu verdienen. Diese Wette gegen das Britische Pfund machte Soros nicht nur wesentlich reicher, sondern geradezu zur lebenden Legende.

Vor der Brexit-Abstimmung zum Ende vergangener Woche erhob jener mächtige, weil finanzgewaltige George Soros seine Stimme, um ganz klar vor den wirtschaftlichen Folgen eines EU-Austritts Großbritanniens zu warnen.

Die Anleger könnten panikartig aus der britischen Währung fliehen, so dass der Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar zwangsläufig stark einbrechen müsste. Der Brexit werde einige Leute sehr reich machen, die meisten aber wesentlich ärmer. Zu erwarten seien natürlich sehr deutliche Bewegungen auf den Märkten und eine direkt aus dem Brexit resultierende Finanzkrise.

Auch der 85-jährige Soros selbst zeigte sich gerade in letzter Zeit wieder äußert rege. Vor der Abstimmung kaufte er sich im bekannt großen Stil mit 264 Millionen Dollar bei Barrick Gold ein, dem weltgrößten Goldbergbauunternehmen der Welt. Er machte damit erwartungsgemäß hohe Gewinne, als die britische Abstimmung gegen die EU den Goldpreis aufs höchste Niveau seit dem März 2014 trieb.

George Soros präsentierte sich in den vergangenen Tagen allerdings nicht nur in gewohnter Weise als Spekulant, der sich keinen Leckerbissen à la Brexit entgehen lässt, sondern auch wieder in seinem Selbstverständnis als »staatenloser Staatsmann«. Im Londoner Open Russia Club, der Ende vergangenen Jahres vom schwerreichen russischen Oligarchen Michail Chodorkowski ins Leben gerufen wurde, hielt Soros am 20. Juni eine Rede, in der er von einer künftig neuen Rolle Russlands sprach.

Ein britisches »Ja« zum EU-Austritt werde zur Desintegration der EU führen, wobei Russland dann erneut als eine Weltmacht auf der globalen Bühne in Erscheinung treten werde. Wird sich damit wieder das alte Schema einstellen, nachdem zuvor eine unsichere, instabile Phase zu durchlaufen ist? Spekuliert George Soros genau auf dieses Szenario, als alter Experte für Ungleichgewichte, die ihm so viel Geld eingebracht haben? Also alles nur wieder Spekulation? Oder hat Soros schlichtweg recht mit seinen Prognosen?

Natürlich sank der Kurs des Britischen Pfundes nach dem Votum gegen die EU deutlich ab, wenn auch bislang noch nicht so stark, wie Soros ursprünglich prophezeite. Aber doch immerhin auf den tiefsten Stand seit mehr als 30 Jahren. Hatte der gerissene Hedgefonds-Manager Soros seine Finger dabei am Ende selbst im Spiel? Etwas eigenartig gestaltete sich die Situation schon, denn auf entsprechende Anfragen verweigerte ein Soros-Sprecher zunächst einen Kommentar zur Sache.

Später folgte dann die Mitteilung, Soros habe nicht gegen das Pfund spekuliert, sondern ganz im Gegenteil sogar auf die Währung gesetzt. Und auf der Internetpräsenz seines gigantischen Medienverbunds Project Syndicate bekräftigte der Multimilliardär zum Wochenende noch einmal seine düsteren Prognosen: Die EU werde sich nun harten Zeiten gegenübersehen, ihre Desintegration sei so gut wie unausweichlich, ebenso eine potenzielle Auflösung Großbritanniens.

Während über dessen Austritt verhandelt werde, sei auf den Finanzmärkten mit starken Schwankungen zu rechnen.

Die Realwirtschaft sehe sich dann ähnlichen Folgen wie zu Zeiten der Finanzkrise von 2007 bis 2008 gegenüber. Erforderlich sei in jedem Fall ein massiver Umbau der Europäischen Union.

Wörtlich schrieb Soros: »Nun hat sich das von vielen gefürchtete Katastrophenszenario materialisiert, was die Desintegration der EU praktisch irreversibel macht.« Und doch ruft er gleichzeitig dazu auf, sie wieder neu zu gestalten. »Nach dem Brexit müssen alle unter uns, die an die Werte und Prinzipien glauben, für deren Wahrung die EU entworfen wurde, zusammenhalten, um sie durch eine gründliche Umgestaltung zu retten.«

Soros ist ganz gewiss an größeren Strukturen interessiert, somit gewiss nicht daran, dass die europäischen Nationalstaaten wieder an Bedeutung gewinnen. Er scheint das Brexit-Votum vor allem auszunutzen, um seinem alten Erfolgsrezept folgend aus der allgemeinen, von ihm noch geschürten Unsicherheit und Instabilität zu profitieren. Er will die Politik in seinem Sinne beeinflussen und auch hier seine Vorteile ziehen.

Beim Brexit allerdings dürfte es sich generell um nicht mehr als ein politisches Spiel handeln, ein Spiel, dessen sich Soros längst bewusst ist. Dem britischen Bürger wurde die Freiheit gegeben, über den Verbleib in der EU abzustimmen. Hier kochte es schon lange. Nun liegt das Ergebnis vor, ein knapper Sieg der Brexit-Befürworter. Doch das Parlament muss dem Referendum nicht verpflichtend folgen.

Der britische Premier Cameron gab vor, unmittelbar nach einem Votum pro Brexit von Artikel 50 des Vertrags von Lissabon als geltender EU-Verfassung Gebrauch zu machen. Hier heißt es unter anderem: »(1) Jeder Mitgliedsstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten. (2) Ein Mitgliedsstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird.«

Nun, der Weg scheint klar definiert. Cameron aber erklärte unmittelbar nach der Abstimmung seinen Rücktritt. Wenn Cameron den Antrag nicht stellt, obliegt diese Aufgabe seinem Nachfolger. Der aber wird erst im September bestimmt sein. Bereits wenige Tage nach dem Referendum wurde schnell klar, welche Konsequenzen der EU-Austritt Großbritanniens mit sich bringen wird. Umso mehr wird das in den kommenden Monaten deutlich werden. Dafür wird vielfach gesorgt sein.

Da sind natürlich die Finanzmärkte, da ist aber auch die neue Positionierung in Europa, es sind die Beziehungen zu Schottland, die diversen Grenzen, neue Pässe und auch komplette Gesetzesschriften, die es zu erstellen gilt. Der ganze Wust dürfte dann Camerons Nachfolger zu überrollen drohen, und nicht nur ihn. Wird er dann wirklich den Artikel 50 bemühen?

Klar ist nur, dass einige wenige Menschen mit einem Ereignis, das eigentlich noch gar nicht stattgefunden hat, bereits jetzt eine Menge Geld verdient haben, während viele andere herbe Verluste erlitten. Mit dieser Prognose hat Soros also durchaus recht behalten. Für ihn ist das, was zurzeit in Großbritannien geschieht, lediglich ein kleines Spiel um leicht verdientes Geld.

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