Von Christian Ortner
- Die Hoffnung auf einen weichgespülten "Euro-Islam" ist verständlich, aber leider realitätsfremd.
Auf dem Friedhof der gescheiterten
politischen Ideen stößt man unter anderem auch auf das Grab des
"Euro-Kommunismus". Es war dies eine ebenso naive wie
wirklichkeitsfremde Idee der Linken im Europa der 1970er und 1980er, die
meinte, ein Kommunismus ohne Schießbefehl an der Grenze, politische
Unterdrückung von Dissidenten und KP-Diktatur sei möglich, eine Art
Kommunismus mit menschlichem Antlitz sozusagen. Dass dies aus logischen
Gründen nicht geht, störte die Anhänger dieser Illusion nicht im
Geringsten. Erst seit dem Zusammenbruch des real existierenden
Kommunismus 1989 ist auch der "Euro-Kommunismus" Geschichte, sieht man
von ein paar Spinnern ab.
Leider hat er nun einen
nicht weniger windigen Nachfolger: die Idee vom "Euro-Islam", also einem
Islam, der sich rein auf seine Spiritualität beschränkt, aber ansonsten
den Staat (und nicht die Religion) als Gesetzgeber akzeptiert, die
Gleichstellung von Mann und Frau achtet, andere Religionen als
gleichwertig betrachtet und die Rechte sexueller Minderheiten
respektiert. Ein solcher Islam, argumentieren vor allem die Verfechter
einer weiteren Zuwanderung aus der islamischen Welt, wäre durchaus
kompatibel mit liberalen westlichen Demokratien.
Das
stimmt zwar, hat aber einen kleinen Haken: In der Realität ist der
"Euro-Islam" ungefähr so häufig wie eine öffentliche Firmung junger
Katholiken in Saudi-Arabien. Erst jüngst haben dies auch zwei prominente
muslimische Intellektuelle festgestellt, mit gutem Grund.
Der
eine, der berühmte algerische Schriftsteller (und Träger des
Friedenspreises des deutschen Buchhandels) Boualem Sansal, meinte in
einem Interview mit dem deutschen Magazin "Cicero": "Man muss sich über
eines im Klaren sein: Dass eines Tages ein aufgeklärter Islam auftaucht
und sich weiterentwickelt, dafür gibt es keine Grundlage, in keinem Land
- sei es ein arabisches oder ein europäisches. Das würde Jahrhunderte
dauern und spezielle Bedingungen voraussetzen, die es nirgendwo gibt,
zum Beispiel eine breite aufgeklärte muslimische Elite, die vielfältig
strukturiert ist, mit klaren theologischen Strukturen."
Zur
gleichen Erkenntnis kommt ausgerechnet jener Gelehrte, der vor etwa 25
Jahren den Begriff "Euro-Islam" in die Welt gesetzt hat: der in Syrien
geborene deutsche Islamwissenschafter und Bestsellerautor Bassam Tibi.
Noch vor zehn Jahren schwärmte er von einem "europäisierten Islam",
heute sagt er: "Den ‚Euro-Islam‘ wird es nicht geben. Ich kapituliere.
Der ‚Kopftuch-Islam‘ hat über den ‚Euro-Islam‘ gesiegt."
Was
das in der Praxis heißt, zeigt eine seriöse Studie in Deutschland über
die Wertvorstellungen türkischstämmiger muslimischer Deutscher. "Die
Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die
Gesetze des Staates, in dem ich lebe", gab dabei fast jeder zweite
Befragte (47 Prozent) zu Protokoll: Und immerhin 32 Prozent stimmten der
Aussage zu: "Muslime sollten die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung
wie zu Zeiten des Propheten Mohammeds anstreben."
Eine
Rückkehr in die Gesellschaft des 7. Jahrhunderts und Gott als oberster
Gesetzgeber als politische Vision von Menschen, die zum Teil Jahrzehnte
in Europa leben - so haben wir uns den "Euro-Islam" eigentlich nicht
vorgestellt. Kein Wunder, dass Herr Tibi kapituliert.
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