Nebelkerzen und heimliche Operationen: In Syrien entwickelt sich eine NATO-Russland-Krise

Peter Orzechowski

Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen, EU marschiert: Die EU und die NATO haben beim NATO-Gipfel in Warschau eine engere Kooperation vereinbart. Dass es dabei überwiegend um eine Abwehr der »Bedrohung« durch Russland gehe, wollen uns die Mainstream-Medien weismachen. In Wirklichkeit entwickelt sich gerade in Syrien ein NATO-Krieg gegen Russland – perfekt durch die jüngsten Nebelkerzen vom möglichen Abzug deutscher Soldaten aus der Türkei getarnt.



»Die Erklärung, die wir heute unterzeichnet haben, hat eine klare Botschaft: eine stärkere Europäische Union bedeutet eine stärkere NATO, und eine stärkere NATO bedeutet eine stärkere Europäische Union«, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und EU-Ratspräsident Donald Tusk in Warschau.

Die Hohe Vertreterin der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, hatte vergangene Woche den EU-Staats- und Regierungschefs ihre Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt. »Die EU wird ihren Beitrag zur kollektiven Sicherheit Europas aufstocken und eng mit ihren Partnern – angefangen bei der NATO – zusammenarbeiten«, heißt es in dem Papier.

Unter der Überschrift »Die Sicherheit unserer Union« schreibt Mogherini: »Die Globale Strategie der EU beginnt im Innern. Unsere Union hat ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, Demokratie und Wohlstand in nie dagewesener Weise gebracht. Gleichwohl werden unsere Bevölkerung und unser Hoheitsgebiet gegenwärtig durch den Terrorismus, hybride Bedrohungen, den Klimawandel und Energieversorgungsunsicherheit gefährdet. Geeignete Zielvorgaben und strategische Autonomie sind wichtig, damit Europa fähig ist, innerhalb wie außerhalb der eigenen Grenzen den Frieden zu fördern und Sicherheit zu gewährleisten. Wir werden daher unsere Anstrengungen in Bezug auf Verteidigung, Cybersicherheit, Terrorismusbekämpfung, Energie und strategische Kommunikation verstärken.«

An anderer Stelle schreibt sie: »Eine stärkere Union erfordert auch Investitionen in alle Dimensionen der Außenpolitik. Insbesondere sind Investitionen in Sicherheit und Verteidigung dringlich. Das gesamte Spektrum der Verteidigungsfähigkeiten ist erforderlich, um auf externe Krisen zu reagieren, die Kapazitäten unserer Partner aufzubauen und die Sicherheit Europas zu gewährleisten.«

Europa wird in Syrien verteidigt

Und diese Sicherheit Europas beginnt nach Auffassung der EU weit vor seinen Grenzen, also in Afrika genauso wie in Zentralasien, vor allem aber im Nahen Osten. Genau da, nämlich in Syrien, braut sich – wenig beachtet wegen Brexit und EM – ein Konflikt zusammen, der die Dimensionen eines Bürgerkriegs bei Weitem übersteigt.

Vergangene Woche ist ein Mi-25-Hubschrauber mit russischer Crew nahe Palmyra mit in den USA gefertigten Panzerabwehr-Lenkwaffen TOW abgeschossen worden. Die Extremisten bekämen immer effektivere Waffen, vor allem US-amerikanischer Herkunft, aus der Türkei, Jordanien und anderen arabischen Ländern, schreibt die russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta unter Berufung auf arabische Quellen.

Laut arabischen Medien ist im Norden Syriens in den letzten Tagen von türkischer Seite aus die Zahl der Konvois gestiegen, die Extremisten, Artillerie, Panzerabwehr- und Flugabwehrsysteme sowie Munition transportieren. Im Norden Syriens gehen US- und französische Spezialeinheiten vor, die allerdings die Bewegung der Konvois nicht verhindern. Im Süden rücken von jordanischer und irakischer Seite aus Einheiten der sogenannten Neuen Syrischen Armee vor, mit Unterstützung der USA.

Die Freie Syrische Armee und die Neue Syrische Armee, die von der CIA ausgebildet und nach einem Pentagon-Programm im Wert von 500 Millionen Dollar ausgerüstet wurden, »liehen« den Extremisten des »Islamischen Staates« einen Teil ihrer Waffen.

Einige arabische Länder kauften Waffen über Zwischenhändler bei den USA und lieferten sie danach an Assad-Gegner. Alleine das Potenzial der Lieferungen von TOW-Raketen macht mehr als 10 000 Stück aus.

Die New York Times berichtete im Herbst, dass Saudi-Arabien der Freien Syrischen Armee seit 2013 Hilfe leistet. Allein dieses Land kaufte seit dieser Zeit 13 000 Raketen für TOW-Systeme. Riad lieferte im Herbst eine Partie Panzerabwehrraketen BGM-71 TOW an die Kämpfer der Freien Syrischen Armee.

Wie The Telegraph berichtete, stieg der Einsatz von Panzerabwehr-Raketenkomplexen seit Beginn der russischen Operation um 800 Prozent. Laut Angaben aus offenen Quellen verloren die syrischen Streitkräfte seit einem Jahr mindestens drei Angriffshubschrauber Mi-24 bzw. Mi-25D, zwei von ihnen waren von Flugabwehrmitteln und einer von Panzerabwehrmitteln getroffen worden.

Vor etwas mehr als einem Monat unterzeichnete Jordanien, das die Extremisten der Freien Syrischen Armee am aktivsten unterstützt, einen Vertrag über die Lieferung dieser Waffensysteme. Jordaniens König Abdullah II. berichtete zuvor, dass dem mechanisierten Bataillon, das gegen Assad-Truppen im Süden Syriens kämpft, britische Soldaten angehören.

Was bedeutet das? Angesichts der Tatsache, dass die Schützenpanzerwagen und Hubschrauber in Syrien oft von russischen Spezialisten gelenkt werden, stellt sich heraus, dass US- und britische Soldaten de facto gegen Russland kämpfen. Aber es kommt noch besser: Vom Bundesverteidigungsministerium (BMVg) vehement dementiert, sollen sich auch deutsche KSK-Soldaten an den Einsätzen der amerikanischen, britischen und französischen Spezialtruppen beteiligen – ohne Bundestagsmandat, versteht sich.

Zu den Dementis des BMVg fällt mir ein Gespräch ein, das ich mit einem Soldaten der deutschen Special Forces nach dem Irakkrieg hatte. Auf meine Frage, ob ihm das nicht weh tue als Kommando-Soldat, dass Deutschland und damit die Bundeswehr nicht an dem Krieg teilgenommen hätten, antwortete er trocken: »Wer sagt Ihnen, dass wir nicht im Irak waren?«

Weil sich aber dieses Gerücht einer Beteiligung von deutschen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte an geheimen Operationen in Syrien hartnäckig im Netz hielt, packte man kurz eine Nebelkerze aus: Wenn den Abgeordneten des Bundestags ein Besuch der deutschen Soldaten auf der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik nicht erlaubt werde, sei ein Abzug der Bundeswehr aus dem Land möglich, drohte Bundestagspräsident Norbert Lammert gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ).

»Vielleicht muss noch einmal verdeutlicht werden, dass der Bundestag dem Einsatz deutscher Soldaten im Ausland grundsätzlich nur zustimmt, wenn sie im Rahmen internationaler Missionen dort gebraucht werden und willkommen sind«, so der CDU-Politiker.

Auch SPD-Generalsekretärin Katarina Barley halte den Abzug der Soldaten für eine »denkbare Option«, wenn Ankara weiter auf dem Besuchsverbot beharre, so der Bericht der SZ weiter. Schon am Wochenende hatten Politiker von CSU, SPD und den Grünen den Abzug der deutschen Einheiten ins Gespräch gebracht.

Seit Januar 2016 werden auf der Basis Incirlik stationierte »Tornado«-Jets zur Aufklärung des Luftraums über Syrien eingesetzt. Zurzeit sind rund 200 deutsche Soldaten in der Türkei. Das Mandat der Bundeswehr für den Syrien-Einsatz ist bis zum 31. Dezember 2016 gültig und sieht keine Bodenoperationen vor.

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