Putin-Erdogan. Das Spiel ist noch nicht zu Ende

Willy Wimmer: ''Die Welt ist in Bewegung geraten .Wohin das alles führt? - Die Frage zu beantworten, ist es noch zu früh''

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Willy Wimmer, Staatssekretär a.D. am Telefon im Gespräch mit World Economy

WE: Erdogan trifft Putin. Bildet sich gerade eine neue Führungsachse in der Welt? Oder ist es nur ein Versuch das gegenseitige Verhältnis wieder zu kitten? 
Willy Wimmer: Das ist, aus meiner Sicht, für Erdogan der Tanz auf dem Vulkan. Das muss man, glaube ich, in aller Deutlichkeit sagen. Es ist nicht die Position des russischen Präsidenten Putin, der aus seiner Sicht das Beste für sein Land zu machen versucht und dabei auch auf den türkischen Präsidenten Erdogan gestoßen ist, der in den letzten Jahren mehrere Dinge in Bewegung gesetzt hat. Er war einer der Auslöser der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien. Dann war er auch derjenige, der über eine Million Migranten nach Österreich, Deutschland und Schweden geschickt hat. Das darf man in diesem Zusammenhang nicht vergessen. Und das dritte, was Präsident Erdogan gemacht hat, er hat mit der Pipeline „Turkish-Stream“ versucht die US-Amerikanische Sanktionspolitik gegenüber der russischen Föderation zu unterlaufen. Das sind nur drei Dinge aus dem großen Korb voller Probleme, mit dem der türkische Präsident herum läuft. Das muss man in aller Nüchternheit sehen. Das Spiel ist noch nicht zu Ende.

WE: Das Verhältnis zwischen der NATO und Russland ist gerade so unterkühlt, wie schon seit Jahren nicht mehr. Und jetzt befindet sich ein Allianz-Mitglied auf dem Weg Richtung Russland und die Türkei möglicherweise als Gegengewicht zu NATO bzw. Europa eine neue Achse Ankara-Moskau-Teheran aufbauen will. Könnte da etwas dran sein? 


Willy Wimmer: Das ist eine nüchterne Betrachtung der heutigen Möglichkeiten, die Frage ist nur, wie realistisch ist das? Erdogan muss ja gesehen haben, dass seine Politik im Nahen und Mittleren Osten grandios gescheitert ist. Er hat Krieg in seiner Nachbarschaft und dieser Krieg, der auch von ihm verursacht worden ist, gefährdet heute den Bestand der Türkischen Republik. Was wir im Zusammenhang mit Syrien und auch dem Irak sehen, im Zusammenhang mit den kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen, hat auch einen weiteren Förderer, der global von großer Bedeutung ist - und das ist Israel. Wenn man das alles so in dem Zusammenhang sieht, dann möchte man nicht in der Haut von Herrn Erdogan stecken. Und, dass die (West)Europäer sich heute so kritisch mit Erdogans Politik auseinander setzen, hat damit zu tun, dass er uns, wie bereits erwähnt, mehr als eine Million Migranten nach Europa geschickt hat. Das wird ihm in Europa so schnell auch niemand vergessen. Das ist die allgemeine Situation, mit der er es zu tun hat und eines dürfte sicher sein: Der Putsch, der vor kurzem statt fand, war wohl mehr eine Aufstandsbewegung gegen die Regierung Erdogan. Sie ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern hat offensichtlich Förderer in anderen Teilen der Welt und in der Türkischen Republik wird ja auch deutlich und offen angesprochen, dass die Vereinigten Staaten auf den Putsch gesetzt hatten und nicht darauf, dass Erdogan diesen Putsch übersteht.
 Das macht natürlich deutlich, mit welchen Auseinandersetzungen der türkische Präsident in den kommenden Wochen, Monaten - ich weiß ja nicht, ob er die nächsten Jahre übersteht - zu tun haben wird und das macht natürlich auch deutlich, was auf die Welt insgesamt zukommt. Die Welt ist in Bewegung geraten. Dazu hat die Politik der USA seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 wesentlich beigetragen. Und wir haben es jetzt mit dem auseinander brechen ganzer Strukturen zu tun. Wohin das alles führt? Die Frage zu beantworten, ist es noch zu früh.

WE: Was wird mit Berg-Karabach, Armenien und Aserbaidschan - es scheint auch dort ein neues Spannungsfeld zu entstehen. Wie wird das wohl verlaufen? 
Willy Wimmer: Die Türkische Republik stand schon seit ihrer Gründung durch Kemal Atatürk vor der Frage: Welche Politik betreibt sie in der Nachbarschaft? Betreibt sie eine Politik der guten Nachbarschaft, um mit ihren Nachbarn auszukommen oder geht sie in eine Konfrontation, wie wir das seit der NATO-Mitgliedschaft der Türkischen Republik gesehen haben. Die Türkei hat große Erfahrungen damit, mit allen ihren Nachbarn auszukommen und eine echte Politik der Guten Nachbarschaft zu betreiben. Und es wird auch nicht auszuschließen sein, dass Erdogan an diese türkische, traditionelle Nachbarschaftspolitik anzuknüpfen versucht. Das bedeutet, natürlich, wenn man die Konflikte in der Kaukasus-Region sieht - und zwar nicht nur die zwischen Armenien und Aserbaidschan, sondern das, was sich am südlichen Unterleib der Russischen Föderation in den Kaukasus-Republiken zeigt - dass es wesentlich darauf ankommt, dass Moskau und Ankara im Einvernehmen eine Lösung für diese Region finden. Man muss aber auch in dieser Lage die Rechnung am Wirt ausrichten und einer der großen Wirte ist, im Zusammenhang mit Aserbaidschan, aber auch Armenien, neben Frankreich auch die USA. Hier wird versucht etwas in Bewegung zu setzen, wo nicht alle Mitspieler bei dem Spiel zwischen Moskau und Ankara mit am Tisch sitzen. Und diese Mitspieler könnten natürlich jedes Konzept, das in Moskau oder Ankara dazu entwickelt wird, mit einem Fragezeichen oder gar einem Scheitern versehen.

WE: Deutschland bleibt dabei auf der Strecke und spielt in der Region keine Rolle mehr?
 
Willy Wimmer: Das ist schon seit vielen Jahren der Fall. Der letzte, der versucht hat im Zusammenhang mit der Erdgas- und Erdölförderung aus dem Kaspischen Meer eine Rolle zu spielen, war der Bundeskanzler Helmut Kohl. Als Gerhard Schröder 1998 an die Macht kam, hat er als erstes, auf den Druck der amerikanischen Seite hin, die Erdgas- und Erdölplane Deutschlands  im Kaspischen Meer zurück gezogen, darauf verzichtet, wir sind aus der Konsortien ausgestiegen. Und damit haben wir natürlich in einer zentralen Frage der Erdgas- und Erdölproduktion, und der Transportwege aus dieser Region, überhaupt keine Stimme mehr. Auf Deutschland hört da niemand. Das ist eine Situation, die Rot-Grün herbeigeführt und die sich auch heute bei Merkel nicht geändert hat.
 
WE: Herr Wimmer, vielen Dank für dieses Gespräch.

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