Willy Wimmer: ''Die Welt ist in Bewegung geraten .Wohin das alles führt? - Die Frage zu beantworten, ist es noch zu früh''
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WE: Erdogan trifft Putin. Bildet sich gerade eine neue Führungsachse in der Welt? Oder ist es nur ein Versuch das gegenseitige Verhältnis wieder zu kitten?
WE: Das Verhältnis zwischen der NATO und Russland ist gerade so unterkühlt, wie schon seit Jahren nicht mehr. Und jetzt befindet sich ein Allianz-Mitglied auf dem Weg Richtung Russland und die Türkei möglicherweise als Gegengewicht zu NATO bzw. Europa eine neue Achse Ankara-Moskau-Teheran aufbauen will. Könnte da etwas dran sein?
Willy Wimmer: Das ist eine nüchterne Betrachtung der heutigen Möglichkeiten, die Frage ist nur, wie realistisch ist das? Erdogan muss ja gesehen haben, dass seine Politik im Nahen und Mittleren Osten grandios gescheitert ist. Er hat Krieg in seiner Nachbarschaft und dieser Krieg, der auch von ihm verursacht worden ist, gefährdet heute den Bestand der Türkischen Republik. Was wir im Zusammenhang mit Syrien und auch dem Irak sehen, im Zusammenhang mit den kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen, hat auch einen weiteren Förderer, der global von großer Bedeutung ist - und das ist Israel. Wenn man das alles so in dem Zusammenhang sieht, dann möchte man nicht in der Haut von Herrn Erdogan stecken. Und, dass die (West)Europäer sich heute so kritisch mit Erdogans Politik auseinander setzen, hat damit zu tun, dass er uns, wie bereits erwähnt, mehr als eine Million Migranten nach Europa geschickt hat. Das wird ihm in Europa so schnell auch niemand vergessen. Das ist die allgemeine Situation, mit der er es zu tun hat und eines dürfte sicher sein: Der Putsch, der vor kurzem statt fand, war wohl mehr eine Aufstandsbewegung gegen die Regierung Erdogan. Sie ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern hat offensichtlich Förderer in anderen Teilen der Welt und in der Türkischen Republik wird ja auch deutlich und offen angesprochen, dass die Vereinigten Staaten auf den Putsch gesetzt hatten und nicht darauf, dass Erdogan diesen Putsch übersteht.
Das macht natürlich deutlich, mit welchen Auseinandersetzungen der türkische Präsident in den kommenden Wochen, Monaten - ich weiß ja nicht, ob er die nächsten Jahre übersteht - zu tun haben wird und das macht natürlich auch deutlich, was auf die Welt insgesamt zukommt. Die Welt ist in Bewegung geraten. Dazu hat die Politik der USA seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 wesentlich beigetragen. Und wir haben es jetzt mit dem auseinander brechen ganzer Strukturen zu tun. Wohin das alles führt? Die Frage zu beantworten, ist es noch zu früh.
WE: Was wird mit Berg-Karabach, Armenien und Aserbaidschan - es scheint auch dort ein neues Spannungsfeld zu entstehen. Wie wird das wohl verlaufen?
Willy Wimmer: Die Türkische Republik stand schon seit ihrer Gründung durch Kemal Atatürk vor der Frage: Welche Politik betreibt sie in der Nachbarschaft? Betreibt sie eine Politik der guten Nachbarschaft, um mit ihren Nachbarn auszukommen oder geht sie in eine Konfrontation, wie wir das seit der NATO-Mitgliedschaft der Türkischen Republik gesehen haben. Die Türkei hat große Erfahrungen damit, mit allen ihren Nachbarn auszukommen und eine echte Politik der Guten Nachbarschaft zu betreiben. Und es wird auch nicht auszuschließen sein, dass Erdogan an diese türkische, traditionelle Nachbarschaftspolitik anzuknüpfen versucht.
WE: Deutschland bleibt dabei auf der Strecke und spielt in der Region keine Rolle mehr?
Willy Wimmer: Das ist schon seit vielen Jahren der Fall. Der letzte, der versucht hat im Zusammenhang mit der Erdgas- und Erdölförderung aus dem Kaspischen Meer eine Rolle zu spielen, war der Bundeskanzler Helmut Kohl. Als Gerhard Schröder 1998 an die Macht kam, hat er als erstes, auf den Druck der amerikanischen Seite hin, die Erdgas- und Erdölplane Deutschlands im Kaspischen Meer zurück gezogen, darauf verzichtet, wir sind aus der Konsortien ausgestiegen. Und damit haben wir natürlich in einer zentralen Frage der Erdgas- und Erdölproduktion, und der Transportwege aus dieser Region, überhaupt keine Stimme mehr. Auf Deutschland hört da niemand. Das ist eine Situation, die Rot-Grün herbeigeführt und die sich auch heute bei Merkel nicht geändert hat.
WE: Herr Wimmer, vielen Dank für dieses Gespräch.
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