Vereitelte Sabotage auf der Krim: Lässt sich neue Konfliktspirale im Ukraine-Konflikt noch stoppen?

Vereitelte Sabotage auf der Krim: Lässt sich neue Konfliktspirale im Ukraine-Konflikt noch stoppen?
 
Die jüngsten Vorfälle an der ukrainisch-russischen Grenze, die für zwei russische Militärangehörige tödlich endeten, bewirkten einen Schub in der seit Monaten festgefahrenen diplomatischen Situation, um die militärische Auseinandersetzung in der Ost-Ukraine sowie im russischen Umgang mit der Ukraine. Ein Schub mit enormem Eskalationspotenzial. 
 
von Wladislaw Sankin


Spätestens seit gestern Abend besteht kein Zweifel mehr, dass die Behauptungen der russischen Seite bezüglich der Festnahme einer ukrainischen Sabotagegruppen, stimmen sollten. Der Russische Vertreter bei der UNO, Wladimir Tschurkin, zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen der Sondersitzung des Sicherheitsrates, die auf Gesuch der ukrainischen Seite einberufen worden war.

Er konnte Beweise für Handlungen, die vom russischen Präsidenten als „terroristisch“ eingestuft wurden, trotz traditioneller Voreingenommenheit der US-amerikanischen Seite, den Mitgliedern des Sicherheitsrates auf überzeugende Weise vorlegen. Das würde ihm schwer fallen, wenn die Vorfälle inszeniert worden wären, wie die ukrainische Seite und ihre Unterstützer aus dem Westen behaupten. Schon heute ruderten die ukrainische Medien in ihrem Inszenierung-Verdacht deutlich zurück.

Bis jetzt ist bekannt, dass sieben Verdächtigte festgenommen worden sind, denen Sabotageakte und Störaktionen mit Hilfe von Sprengstoff auf der Halbinsel vorgeworfen werden. Einer der Verdächtigten hat diese Absichten eingestanden und die beteiligten Offiziere ukrainischer Geheimdienste genannt. Das Ziel der Aktionen sei es gewesen, den strategischen Objekten und dem Massentourismus auf der Krim Schaden zuzufügen.



Sabotageakte gegen die Krim gab es auch früher. Noch im Winter wurden durch die Sprengung von Strommasten seitens freiwilliger „Aktivisten“ große Teile der Halbinsel von der Stromversorgung abgeschnitten. Es fanden auch regelmäßige Transportblockaden statt. Aber in allen Fällen wurde Sabotage von den ukrainischen Behörden nur geduldet, aber nicht durchgeführt.


Die Ressoursen für das Regime schrumpfen“
Deswegen kam die Aktion nicht überraschend. Die russische Seite war offenbar gut darauf vorbereitet. Seit Monaten sind die Experten in Russland sich einig, dass Präsident Poroschenko persönlich - und die neue ukrainische politische Klasse insgesamt - in dem fortdauernden Krieg „mit dem Agressor“ eine Art Existenzberechtigung sieht. Die Zustimmung für Poroschenko ist in den einstelligen Bereich abgerutscht. Die Lebensverhältnisse der Menschen im Zuge des neoliberalen Kurses der Regierung verschlechtern sich ständig, außenpolitische Dividenden für den antirussischen Kurs fallen bis jetzt zu mager aus.

Dafür wachsen die Spannungen zwischen der Staatsmacht und den immer zahlreicher werdenden „Helden der Ukraine“, den Kriegsheimkehrern. Diese kommen meist aus den nationalistischen Söldner- und Freiwilligen-Formationen. Auch die regionalen Eliten entziehen sich immer mehr der Kontrolle der Zentralmacht. Oder mit den Wörtern eines populären russisch-ukrainischen Kommentators, Rostislav Ischenko: Da die „Futterbasis“ des Regimes schrumpft, werden Provokationen unausweichlich.

Krim-Warnung für die Ukrainer
Vor diesem Hintergrund wirkte die Normalität, mit der immer mehr ukrainische Urlauber sich auf den Weg zur Krim machten, für das Regime beunruhigend. Laut Grenzübergangsstatistiken waren es zum 1. August mit über einer 1,2 Millionen Grenzübergängen in beiden Richtungen rund 138 Prozent mehr ukrainische Bürger als im Vorjahr, die auf der „annektierten“ Krim ihre Ferien verbrachten. Und das trotz ohrenbetäubender Propaganda, stundenlangen Schlangen und Schikanen seitens eigenem Grenzschutz. Für diese Menschen, zumal sie meistens aus russisch geprägten Regionen stammen, würde die antirussische Mobilmachung immer schwerer fallen.

Naturparadies Krim. Foto: Gert Ewen-Ungar

Die geplanten Attacken auf die touristische Infrastruktur und auf Verkehrswege lassen sich daraus leicht erklären. Gleichzeitig zu seiner Anordnung zur Kampfbereitschaft, appellierte der ukrainische Präsident an seine Bürger von den Besuchen der Halbinsel Abstand zu nehmen. Dass Russland sich zu Gegenmaßnahmen provoziert fühlen würde, erscheint aus der Logik der ukrainischen Führung gerade als erstrebenswert. Denn dann kann man wieder beim Westen um neue militärische Hilfe und Geldzuwendungen werben. Die Einberufung des Sicherheitsrates der UNO ist Beleg dafür.

Putins Reaktion: Beherrschte Wut
Die Entsendung von mindestens zwei Diversanten-Gruppen auf das russische Gebiet durch das ukrainische Verteidigungsministerium und der Tod zweier russischer Armeeangehöriger verleiht dem Konflikt eine neue Qualität. Russland betrachtet der Anschluss der Krim als abgeschlossen und nicht verhandelbar, es gebe keine „Krim-Frage“, betonen russische Diplomaten immer wieder. Eine nukleare Großmacht wird demnach unmittelbar auf ihrem Territorium angegriffen, der Fall erfüllt schon allein deshalb die ungeschriebene Voraussetzungen für ein Casus belli. Zumindest sollte eine angemessene Rhetorik den Fall erstmals einordnen, sonst würde „Gesichtsverlust“ drohen und dieser kann in derr angespannten Situation sehr gefährlich werden.


Die Reaktion vom russischen Präsidenten am 10. August war entschieden. Auffällig wurde vor allem die Abstufung der heutigen ukrainischen Staatsmacht von „Kollegen“ und „Partnern“ zu „denjenigen, die in Kiew die Macht an sich gerissen haben“ . Das ist die Rhetorik aus dem Frühjahr 2014, bevor Petro Poroschenko zum Präsident wurde. Von nun an ist er nicht mehr zu einer Handreichung fähig. Daraus ergebe sich auch kein Sinn mehr für weitere Treffen im Normandie-Format, so Putin. In seiner Ansprache hat er auch einen Bogen von der Attacke auf der Krim zum Anschlag auf den Chef der Lugansker Volksrepublik Ilja Plotnizkij geschlagen. Er nannte diese nicht anerkannte quasi-staatlichen Gebilde ohne Klammern und übliche diplomatische Umschweifungen.

Kein Liebäugeln mehr mit Poroschenko
Das führte natürlich sowohl in Russland als auch im Westen für Spekulationen. Die sonst loyalen einflussreichen Kommentatoren wie Wladimir Solowjow, die den Präsidenten für die Anerkennung von Poroschenko und das zahme Verhalten der russischen Botschaft, die in den letzten zweieinhalb Jahren mehrmals angegriffen wurde, immer wieder kritisierten, fühlten sich bestätigt. Die Abbestellung vom russischen Botschafter, Michail Zurabow, der als privater Bekannter des ukrainischen Präsidenten den direkten Draht zu ihm aufrechterhalten sollte, passt auch zum sich anbahnenden Richtungswechsel. Nun ist in Moskau bereits auf der höchsten Ebene von der Einstellung der diplomatischen Beziehungen die Rede, wie die heutige Äußerung vom Premier Medwedew zeigt.

Auch Hardliner aus der Expertenschaft ließen sich mit wenig diplomatischen Ratschlägen nicht lange auf sich warten. Das Scheitern des Minsker Abkommens gilt in Russland als ausgemacht. Seit Monaten andauernde militärische Zwischenfälle und der Anstieg ziviler Opfer bei den Artilleriebeschüssen zeige den Unwillen der heutigen Ukraine den Friedensprozess von ihrem Tiefpunkt zu bewegen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko mit seinem Generalstab.

Kampfbereitschaft in der Ost-Ukraine
In der Tat, beide Seiten - die aufständischen Freiwilligen-Armeen und das ukrainische Militär - unternehmen zur Zeit logistische Vorbereitungen zu einer möglichen Verschärfung des Konfliktes. Das Wiederaufflammen militärischer Handlungen erscheint von Tag zu Tag immer wahrscheinlicher. Die offiziellen Vertreter des ukrainischen Staates machten vom Anfang an keinen Hehl daraus, dass sie das kroatische Szenario anstreben, wonach Kroatien die zweijährige Pause im Konflikt mit der Republik Serbische Krajina für militärische Vorbereitungen genutzt hat und das abtrünnige Gebiet im August 1995 innerhalb von vier Tagen überrollt hatte. Die Vertreter der Volksrepubliken pflegen in der Öffentlichkeit das Bild einer lockeren Kampfbereitschaft von sich. Die humanitäre Lage in Kampfgebieten ist jedoch nach wie vor schwer.

Zwei Westen
Die westliche Presse und Vertreter der Politik reagierten gespalten. Die SPD-Politiker Außenminister Frank-Walter Steinmaier und der Russland-Beauftragte Gernot Erler sind zwar dienstgemäß offiziell skeptisch gegenüber Russland, aber insgesamt fiel ihre Reaktion auf den Vorfall eher verhalten und „besorgt“ aus. Steinmeier fühlt sich berufen zu Gesprächen nach Moskau zu kommen. Damit vertreten sie den gemäßigten Flügel der West-Elite.

Der neue Kalte Krieg tobt bisweilen vor allem an der Medienfront

Es gibt aber auch einen anderen Westen. Er drückt sich sehr deutlich in der russophoben Phantasterei zur „Ukraine-Krise“ in den System-Medien aus, die jedes brauchbare Ereignis für ihre Propaganda ausschlachten. Die martialische Rhetorik eines Richard Herzingers in Die Welt sollte einen antirussischen Wind im stillen Gewässer des Sommerlochs erzeugen: In Anlehnung an den berüchtigten Spiegel-Titel vor genau zwei Jahren setzt Herzinger noch einen drauf: „Der Westen muss Putin jetzt endlich stoppen“. Für den Springer-Journalisten ist der (natürlich!) inszenierte „Terror“-Vorwurf nur ein Vorwand für Russland, um die Ukraine endlich zu überfallen.

Der „Guardian“ ließ einstimmig dazu ebenfalls seinen „Träumen“ freien Lauf. Der britischen Zeitung schwebten schon wieder überall „grüne Männchen“ vor: Es gebe insgesamt drei Szenarien einer russischen Landnahme der Ukraine – um vor allem den Korridor von der Krim zu Donezker Volksrepublik zu schlagen oder „etwas mehr“.

Was aber nicht passieren soll
Der Russische Präsident hat unmittelbar nach dem gelungenen Staatsstreich in der Ukraine im Februar 2014 tatsächlich die verfassungskonforme Erlaubnis beim Obersten Rat für den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des russischen Staatsgebiets eingeholt. Angesichts der damaligen Ausschreitungen im Süden und Osten der Ukraine und wegen drohender Niederschlagung der Proteste seitens der neuen Machthaber, erschien dieses Szenario durchaus real. Doch als der russische Präsident frühzeitig erkannte, dass dies eine Falle war, um Russland in einen großen militärischen Konflikt mit einem Brudervolk, mitten in Europa zu verwickeln, ließ er die Erlaubnis zurücknehmen.

Es ist zu erwarten, dass der Druck auf den ukrainischen Präsidenten nun höher wird. Die russische Öffentlichkeit hat sich von der Sanktionsfrage gelöst und hat sich auf eine längere Konfrontation mit dem Westen eingestellt. Die Olympia-Affäre machte die Haut noch dicker. Der Nervenkrieg geht weiter.

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