Wahlrecht: Warum der Bundestag 2017 aus allen Nähten platzen wird

Markus Mähler

Deutschland leistet sich das unsinnigste, heikelste und undurchschaubarste Wahlrecht Europas. Machtpolitiker und das Bundesverfassungsgericht haben es dem Wahlvolk aufgedrückt: Obwohl Parteien nach Prozenten verlieren, gewinnen sie immer mehr Sitze in den Parlamenten. Die Abgeordneten müssen also nicht um ihre Bezüge zittern.



Bereits die Bundestagswahl 2013 blähte unser Parlament noch weiter auf: Statt 598 zogen 631 Abgeordnete ein – wie aus dem Nichts gab es 33 zusätzliche Mandate. Zur nächsten Bundestagswahl 2017 könnte die 700er-Marke geknackt werden. Kein normaler Wähler kann sich erklären, wie diese wundersame Politikervermehrung vonstattengeht. Ein noch verrückteres Beispiel ist die Landtagswahl 2012 in Nordrhein-Westfalen.

Die CDU verlor zwar 8,3 Prozentpunkte, aber sie hatte nach der Wahl exakt die gleiche Anzahl von Sitzen wie vor der Wahl: 67. Die Abgeordneten freut es. Sie streichen auch als Wahlverlierer weiter ihre Bezüge ein.

Die Grünen fuhren bei dieser Wahl zwar 0,8 Prozentpunkte weniger ein, gewannen aber trotzdem sechs Sitze hinzu. Das nordrhein-westfälische Landesparlament blähte sich grandios auf.

Vorher gab es 181 Sitze, es durften plötzlich 56 zusätzliche Spesenritter Platz nehmen und nun hat das Bundesland 237 Abgeordnete im Parlament, die alle bezahlt werden wollen. Wer sich mit dem deutschen Wahlrecht beschäftigt – und zwar besonders mit der Verteilung der Mandate –, der kann nur verzweifeln.

Seit 2009 gilt das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren mit Standardabrundung. Bis 1985 hatten wir das D’Hondt-Verfahren und zwischendurch testete man das Hare-Niemeyer-Verfahren. Es geht um Erst- und Zweitstimmen, um Direkt-, Ausgleichs- und Überhangmandate.

Im Grunde ist alles ganz einfach: Die Zahl der abgegebenen Stimmen wird auf Sitze im Parlament umgerechnet. Nun haben es aber Parteipolitiker, Wahlrechtsmathematiker und auch das Bundesverfassungsgericht endlich geschafft: Sie haben daraus eine Geheimwissenschaft gemacht.

Norbert Lammert (CDU) will seit drei Jahren die Parteien überreden, endlich eine Reform des Wahlrechts anzugehen: »Nicht einmal eine Handvoll Abgeordneter des Deutschen Bundestages ist in der Lage, unfallfrei die Mandatsberechnung zu erklären.«

Lammert klagte, dass »die Mindestanforderungen an die Transparenz eines Wahlsystems« bei uns nicht mehr erfüllt sind. Bisher stellen sich die Parteien aber stur. Die Menschen verstehen unser Wahlrecht längst nicht mehr.

Sie sehen nur: Da nehmen immer mehr Abgeordnete Platz. Wer kritisch nachfragt, bekommt immer die gleiche Antwort: Der Parteienproporz müsse gewährt werden.

Dieser sperrige Begriff steht aber auch für Postenschacher und Parteibuchwirtschaft der Politiker: Wir wollen alle mit drinsitzen.

Unser Wahlsystem können nur noch Mathematiker nachvollziehen, normalen Menschen kann man es nicht einmal mehr erklären. Keine Partei stemmt sich gegen den Wahnsinn – denn sowohl Regierung als auch Opposition profitieren davon. Sie alle haben ein Dauerabo zur Macht: Selbst wenn sie Wählerstimmen verlieren, die Parlamentssitze bleiben erhalten.

Wenn die Politik wieder mehr Vertrauen bei den Menschen aufbauen will, sollte sie die längst überfällige Reform nicht immer wieder aufs Abstellgleis schieben. Die Parteien müssen sich den Wählern anpassen und nicht umgekehrt.

Schafft endlich das unselige Zweitstimmensystem ab, denn erst dadurch entstehen Überhangmandate – die werden durch Ausgleichsmandate an andere Parteien wieder kompensiert.

Im Bundestag hat man aber offenbar andere Pläne. Dort beschäftigt man sich bereits mit Umbauarbeiten, denn 2017 könnte es dort für über 700 Abgeordnete eng werden.

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