Die "Zeit" rätselt, warum Putin so beliebt ist, und vermutet hinter jedem Baum einen FSB-Agenten

Hinter jedem Strauch ein FSB-Agent? Ein Wunder des Finanzausgleichs? Die "Zeit" kommt nicht hinter das Geheimnis von Putins anhaltender Popularität.
Hinter jedem Strauch ein FSB-Agent? Ein Wunder des Finanzausgleichs? Die "Zeit" kommt nicht hinter das Geheimnis von Putins anhaltender Popularität.
Ein Gespenst geht um in Europa: Nein, nicht der Kommunismus, den haben wir doch vor 25 Jahren begraben. Diesmal sind es Putin und die russischen Horden, die vor den Toren Europas stehen. Um uns Deutsche besser über den Feind zu informieren, wagt sich eine mutige "Zeit"-Journalistin ins Reich des Bösen und berichtet Erstaunliches. 
 

Das Zentralorgan des selbsternannten deutschen Bildungsbürgertums, die Wochenzeitung "Die Zeit", ist erschrocken über die hohen Zustimmungswerte des russischen Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin: Wie kann es nur sein, dass der Autokrat aller Groß-, Klein- und Weißrussen, Herrscher aller Ländereien zwischen dem Baltischen Meer und dem Pazifischen Ozean, Zar Wladimir der Schreckliche, von seinen Untertanen nicht nur stillschweigend ertragen, sondern sogar gefeiert wird?

Zwar ist bekannt, dass die russischen Leibeigenen vor lauter Wodkakonsum, Kasatschok-Tanzen und Bärenringen nicht die Zeit und Muße dazu aufwenden können, sich mit den höheren Sphären des menschlichen Daseins zu befassen, wie es sich für ein zivilisierteres Volk schicken würde, aber selbst einer so rückständigen, bemitleidenswerten Nation wie jener der Iwans und Nataschas müsste es doch endlich klar werden, dass die Zeit längst gekommen sei, ihren unliebsamen Despoten davonzujagen. Oder zumindest nicht mehr zu mögen. Vor allem, da die "westliche Wertegemeinschaft" nun wirklich ausreichend Zeit, Kraft und Geld dafür investiert hat, Putin zu verteufeln.
Warum wird Putin so geliebt?", fragt sich die jüngste Ausgabe der "Bild-Zeitung für jene höheren Wesen mit mindestens einem Hochschulabschluss". Sie "verarmen" und "fürchten sich" doch! Aber nein: Wider besseres Wissen "verehren sie ihren Präsidenten wie einen Abgott".

Widerwillig muss die "Zeit" feststellen, dass laut einem "unabhängigen" Umfrageinstitut nicht weniger als 82 Prozent der Russen ihren Präsidenten unterstützen. Natürlich müsse man dieses Ergebnis mit Vorsicht genießen:
Umfragen in autokratischen Systemen sind heikel, die Befragten oft eingeschüchtert“, schreibt die Qualitätsjournaille.
Bekanntlich wird jedem russischen Bürger bei seiner Geburt ein FSB-Agent zugeordnet, der diesen dann ein Leben lang auf Schritt und Tritt überwacht. Bei der nächsten Umfrage wird Putin sicherlich Zustimmungswerte von mindestens 110 Prozent erhalten, da die 18 Prozent der Umfrageteilnehmer, die ihm ihre Loyalität verweigerten, längst ins Sibirische Exil befördert sein werden.
Die Frage aller Fragen bleibt aber trotzdem unbeantwortet:
Die Zustimmung zu Putins Politik ist seit geraumer Zeit überwältigend und stabil. Warum?"
Eigentlich müssten sich die Russen schon längst von ihrem Präsidenten abgewandt haben, findet die Gazette der Gebildeten. Die Regale der Supermärkte seien zwar noch voll, aber die Preise seien stark gestiegen.
Die Mehrheit spart in diesem Jahr an Lebensmitteln", stellt die "Zeit" fest.

Drohen also bald Zigmillionen russischer Bürger nordkoreanische Verhältnisse? Vielleicht erklärt dies ja auch die guten Kontakte zwischen Pjöngjang und Moskau: Putin holt sich Tipps beim nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-un, wie man mit etwas Gras und Schlamm leckere Gerichte für die ganze Familie zaubern kann.

Vielleicht müsste ein deutsches Experten-Team den russischen Apparatschiks das System der Tafeln erklären? Bis zu 1,5 Millionen Deutsche sind schließlich auf deren Almosen angewiesen, um sich mehr schlecht als recht ernähren zu können.

Etwas passt da aber nicht richtig ins Bild: Seit Jahren steigt die landwirtschaftliche Produktion. In diesem Jahr könnte Russland laut der Agentur Sputnik "zum weltgrößten Weizenexporteur aufsteigen". Schon im letzten Jahr war Russland diesbezüglich Exportweltmeister, noch vor Kanada und den USA
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Um das Mysterium zu ergründen, verlässt die "Zeit"-Korrespondentin also die Moskauer Schickeria und fährt in die weite russische Wildnis.

Sie fährt in eine Stadt, in der "Trinkbrüder die Flasche kreisen" lassen und Arbeitslose "sich draußen die Zeit vertreiben". Nein, sie ist nicht in Dortmund oder Marzahn, sondern in der russischen Provinzstadt Togliatti. Dort stößt sie auf einen Dissidenten im Kleinformat.
Die "Datscha" – die "Zeit" erklärt uns freundlicherweise, dass es sich dabei um "eine Sommerlaube mit Garten" handelt – "Die Datscha ist kein Ort der Erholung mehr, sie ist wieder Ort des Überlebens", beklagt sich Viktor Schamraj und gibt dafür Putin die Schuld.
Quell und Verantwortlicher aller Probleme des Westens: Wladimir

Hat die Korrespondentin etwa den nächsten Solschenizyn gefunden? Offenbar, um den rebellischen Laubenpieper nicht in eine gefährliche Situation zu bringen, stellt sie ihm keine weiteren kontroversen Fragen. Schamrajs Freund spricht hingegen wohlwollend über den russischen Präsidenten (vielleicht ist er ja ein KGB-Genosse Putins?): Er sei ein "ehrlicher, hart arbeitender Politiker", der Russland "endlich von den Knien erhoben" habe.

Die mutige Vertreterin der westlichen Werte, die sich bis in Herzland des östlichen Despotismus gewagt hat, kann natürlich diese frevlerische Aussage nicht einfach so stehen lassen. Sie erklärt, dass viele russische Bundesstaaten finanziell "von der Zentralmacht abhängig" sind. Die Zuschüsse aus Moskau würden etwa 67 Prozent des Haushaltes der Krim ausmachen. Offensichtlich hat sich der Kreml-Herrscher die überwältigende Mehrheit beim Referendum zum Beitritt der Region zur Russischen Föderation einfach erkauft! Was in Russland als skandalöse Erscheinung präsentiert wird, stört in Deutschland allerdings nur die Wenigsten: Auch hier gibt es ein kompliziertes System, das den finanziellen Ausgleich zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern selbst regelt.
Der hartnäckige Putin-Fan (sprich kremlgelenkter Teilzeitpropagandist) setzt noch einen drauf:
Wladimir Putin hat uns Russen unser Selbstbewusstsein wiedergegeben. Wir sind ein großes und starkes Land."
Was für ein anmaßender Hinterwäldler! Wissen etwa die Russen nicht, dass sie sich gefälligst den US-Interessen unterordnen müssen und den niederen Völkern nur die Rolle von untertänigen Gehilfen der "letzten Hoffnung der Welt", wie es Hillary Clinton ausdrückte, zugeteilt ist?
Laut Tagesschau jetzt auch schuld am Stau: Russlands Präsident Wladimir Putin

Einen Jelzin, der die russische und Weltöffentlichkeit mit seinen albernen Auftritten ablenkt, während die westlichen Großmächte reibungslos ihre gottgegebene Verantwortung für den gesamten Globus wahrnehmen, einen Musterdemokraten wie Jelzin, der nebenbei das russische Parlament beschießen ließ, so einen Clown können sie gerne ertragen. Aber bitte doch keinen Politiker, der tatsächlich die Frechheit besitzt, die eigenen russischen Interessen statt diejenigen von Washington, Berlin oder Brüssel in den Mittelpunkt der russischen Innen- und Außenpolitik zu stellen!
Die staatlichen Fernsehsender, vom Kreml kontrolliert, inszenieren den Präsidenten. In den Abendnachrichten sitzt er oft leicht vorgebeugt am Ende eines langen Tisches, vor ihm die Regierung. [Er] fragt die Minister ab, als seien sie Schulkinder, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Die Minister schauen dann verschämt auf den Tisch oder nicken eifrig", schreibt die Journalistin.
Ein Staatschef, der seine Minister zur Verantwortung zieht, und dabei noch transparent ist!? Was denkt der sich wohl dabei? Minister haben doch bitteschön den Instruktionen diskreter transatlantischer Freundschaftsvereine zu gehorchen und nicht irgendwelchen aufmüpfigen Ureingeborenen-Stammesfürsten.

Die alljährlich stattfindende Sendung "Direkter Draht", bei der russische Bürger stundenlang ihren Präsidenten anrufen, Fragen stellen und Bitten äußern können, wirke zwar, so die scharfsinnige Beobachterin, "volksnah und spontan", trage aber "bisweilen Züge einer geheimdienstlichen Operation". Eigeninitiative kann man dem slawischen Mob natürlich nicht zutrauen. Nur wenn der KGB es befiehlt, rührt sich der Russe. Alles ist gelenkt, alles ist kontrolliert.
Kritische NGOs, Nichtregierungsorganisationen, die von ausländischem Geld leben, gelten als Feinde des Systems, als westliche Erfindung zur Destabilisierung Russlands", stellt die "Zeit"-Korrespondentin fest.
Warum die überwältigende Mehrheit der russischen Bürger sogenannten "kritischen" Organisationen, die vom ausländischen Geldtopf leben, wohl nicht traut?! In anderen Staaten, wie etwa der Ukraine, bescherten doch gerade diese die einheimische Bevölkerung mit westlicher "Demokratie".

Demokratie ist, was die westlichen Staaten sagen, das es ist. Wenn sich Russen nicht den "kritischen NGOs" anschließen, ihnen keine Mitgliedsbeiträge zahlen, dann ist dies höchst undemokratisch. Wenn dagegen prowestliche "zivilgesellschaftliche" Organisationen Putschversuche veranstalten, Regierungen stürzen, die sich auf gesellschaftliche Mehrheiten stützen, dann ist dies hingegen selbstverständlich demokratisch. Hybride Kriegsführung ist immer, was die anderen (angeblich) machen. Und wenn Regierungen beschließen, diese "zivilgesellschaftlichen" Organisationen genauer unter die Lupe zu nehmen, dann ist dies wiederum natürlich gänzlich undemokratisch.
Gewiss ist nur: Putins Macht ist fragiler, als seine Anhänger glauben, und stabiler, als seine Gegner hoffen", schließt die Journalistin.
Aha. Die Frage, warum Putin so beliebt ist, bleibt zwar weitgehend unbeantwortet ("Putin manipuliert die Russen" ist eben keine Erklärung), wenigstens teilt uns die „Zeit“-Autorin aber ihre Schätzung zur Haltbarkeitsdauer des russischen Präsidenten mit. Klüger sind wir dadurch nicht geworden, wir können uns aber immerhin in unserer westlichen Überheblichkeit bestätigt fühlen.

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