Merkels Mission in Afrika: Die Brandstifter spielen Feuerwehr

Flüchtlinge durchqueren die Sahara in Richtung Libyen; Agadez, Niger, 9. Mai 2016.
Flüchtlinge durchqueren die Sahara in Richtung Libyen; Agadez, Niger, 9. Mai 2016.
Im Kampf gegen den Terror möchte Deutschland dem afrikanischen Kontinent helfen. Doch nicht im Bereich der wirtschaftlichen oder zivilgesellschaftlichen Entwicklung, sondern durch den Aufbau einer ständigen Militärbasis im Niger. 
 
von Dr. Kani Tuyala

Denkt der durchschnittliche deutsche Bürger an den westafrikanischen Staat Niger, denkt er an… Ja, woran eigentlich? Mehr als die üblichen drei Ks - Kriege, Krankheiten und Korruption - wird sich da eher nicht finden, denn bis zum heutigen Tag pflegt die mediale Berichterstattung dieses Bild eines Kontinents mit 55 Staaten und über einer Milliarde Bewohner. Dass es seit 30 Jahren auch ein paar erfolgreiche afrikanische Fußballnationen gibt, die ab und an auch hier Erwähnung finden, ist nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt. In ganz seltenen Fällen werden Einzelstaaten wie Südafrika oder Nigeria auch als "neue Märkte" benannt. Afrika erscheint in Summe jedoch nicht als komplexer Kontinent und Heimat der ältesten Kulturen der Welt, sondern als Region, geprägt von Gewalt und Verderben.

Bei der Republik Niger handelt es sich um einen westafrikanischen Binnenstaat mit etwa 17,5 Millionen Einwohnern, der im Norden an Libyen und Algerien, im Osten an den Tschad, im Westen an Burkina Faso und im Süden an Nigeria und Benin grenzt. Nur der informierte Beobachter wird derweil wissen, dass der Niger des Weiteren nicht nur ein bettelarmes Land ist, sondern dass die ehemalige französische Kolonie auch der Staat mit den weltweit größten Uranvorkommen ist.

Jüngst bereiste Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 9. bis 11. Oktober 2016 die Länder Mali, Niger und Äthiopien. Offizieller Anlass der ersten Reise der Kanzlerin nach Afrika seit fünf Jahren war die Einweihung eines von Deutschland finanzierten Gebäudes für die Afrikanische Union (AU) im äthiopischen Addis Abeba am 11. Oktober. Die ersten Stationen der Reise führten Bundeskanzlerin Merkel an den ersten beiden Tagen ihrer Reise jedoch nach Mali und Niger. Beide Staaten spielen im vermeintlichen Kampf gegen den Terror und bei der Vorbeugung von Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa eine Schlüsselrolle.


So war es auch nicht anders zu erwarten, als dass zum Beispiel die Tagesschau unter dem Titel "Warum Niger ein Schlüsselstaat ist" betonte, dass das westafrikanische Niger für die EU "strategisch wichtig" geworden sei. Doch warum? Der Autor verweist in seinem Artikel auf folgenden Umstand:
Die Sorge um Terrorismus, zunehmende Migration und die Folgen des Klimawandels haben Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, ins Visier der Europäischen Union gerückt.

Des Weiteren findet in dem Artikel Erwähnung, dass die USA in diesem Zusammenhang eine Basis für Drohneneinsätze errichten, selbstverständlich zum Kampf gegen den Terror, der von Gruppen wie der islamistischen Boko Haram in Nigeria ausgeübt wird.

Der Westen, so schließt der gutgläubige Leser, möchte dem bitterarmen "Afrika" also wie immer lediglich unter die dürren Arme greifen. Informationen zu Hintergründen, möglichen Interessen jenseits vorgeblicher Selbstlosigkeit, regionale Zusammenhänge? Fehlanzeige. Doch ohne diese entsprechenden Verweise wird der Leser nicht informiert, sondern in die Irre geführt. Durch die Bank stoßen die Vertreter der so genannten Qualitätsmedien und die vermeintlichen Experten ins gleiche Horn der paternalistischen Perspektive hinter dem aktuellen Engagement Deutschlands, der EU, aber auch der USA auf dem afrikanischen Kontinent.

In Nigers Hauptstadt Niamey führte Angela Merkel während ihrer Reise Gespräche mit Präsident Mahamadou Issoufou und traf auch das Bundeswehrkontingent, das von Niger aus die UN-Mission mit dem sperrigen Namen Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) in dem benachbarten Land unterstützt. Wie erwähnt plant Deutschland nun den Bau einer ständigen Militärbasis in Niger, von der aus Transportflüge nach Mali starten sollen. Somit wird Deutschland in Zukunft selbst eine Schlüsselrolle im Haupteinsatzland Frankreichs und der USA bei den Antiterroreinsätzen in der Sahelzone zuteil.

Soweit der offizielle Narrativ, der wohl nur den kritischen Beobachter bereits von vornherein stutzig machen wird; denn was ist der durchschnittliche Leser denn anderes gewohnt vom afrikanischen Kontinent als Terror in all seinen Manifestationen?

Doch ganz so einfach ist es nicht bzw. ganz so einfach sollte es der Politik nicht gemacht werden, wirtschaftliche und geopolitische Interessen stillschweigend umzusetzen. Die entscheidende Frage lautet nämlich trotz der medialen Augenwischerei: Was hat es mit dem mutmaßlichen Einsatz für Frieden und Freiheit auf sich und welche tatsächlichen Ursachen liegen dem Terror und der massenhaften Flucht, die ja nun vor Ort bekämpft werden soll, zu Grunde? Warum wird wie in so vielen Fällen weltweit nur über Symptome, aber nicht über Ursachen jener Krankheiten gesprochen, deren Bekämpfung sich die westliche Staatengemeinschaft doch auf die Fahnen geschrieben hat?

Ein kurzer Blick in die jüngste Vergangenheit
Ihr sollt mich recht verstehen. Wenn ihr mich bedrängt und destabilisieren wollt, werdet ihr Verwirrung stiften, Bin Laden in die Hände spielen und bewaffnete Rebellenhaufen begünstigen. Folgendes wird sich ereignen: Ihr werdet von einer Immigrationswelle aus Afrika überschwemmt werden, die von Libyen aus nach Europa überschwappt. Es wird niemand mehr da sein, um sie aufzuhalten.
Die Wiederaufnahme von Erdölexporten sei für Libyen zwar eine Chance, meint Handelskammerpräsident ben Muftah. Westliche Staaten wie Frankreich könnten jedoch die Teilung Libyens vertiefen wollen, um das eigene Energiemonopol in Afrika zu wahren.

Diese Worte stammen nicht etwa von einem der weitsichtigen Politiker der transatlantischen Achse des Guten, sondern vom ehemaligen Staatsoberhaupts Libyens, Muammar al-Gaddafi, einem jener "Despoten", die einst verteufelt, dann umgarnt und schließlich wieder verteufelt wurde.

Ob es sich bei Gaddafi dabei tatsächlich um einen wirren und totalitären Machthaber handelte oder nicht, war und ist, was die Politik des Westens angeht, dabei wie so oft vollkommen irrelevant. Tatsache ist jedoch, dass Libyen nach der Nato-Intervention zu dessen "Befreiung" im Jahr 2011 vom einst fortschrittlichsten Land der gesamten Region zurück in die Steinzeit gebombt wurde. An die Spitze der Nato-Mission stellte sich der Handtaschen-Napoleon aus dem Élysée-Palast, Nicolas Sarkozy, nicht jedoch ohne sich aller Wahrscheinlichkeit nach vorher noch den Wahlkampf vom Despoten aus Tripolis bezahlen haben zu lassen.

Seit dieser Zeit ist das Land zum Tummelplatz dschihadistischer Kopfabschneider, rivalisierender, bis in die Haarspitzen hochgerüsteter Clans und korrupter Machtcliquen verkommen. Doch nicht nur das: Gaddafis Worte haben sich in der Tat bewahrheitet, weitsichtig waren sie also zumindest allemal. Seit Jahren wird das Land nun als Sprungbrett von hunderttausenden armen Menschen genutzt, um das gelobte Land Europa zu erreichen, mit tausenden Toten, die die Überfahrt über das Mittelmeer nicht überlebt und damit die europäischen Werte ad absurdum geführt haben.

Viele haben auch noch die erschütternden und zynischen Worte der aktuellen US-Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton in den Ohren, die sich in Bezug auf die letztendlich bestialische Ermordung Gaddafis für folgendes Zitat nicht zu schade war:
We came, we saw, he died.

Auf die Frage wiederum, was er für den größten außenpolitischen Fehler während seiner Amtszeit halte, antwortete Barack Obama vor einiger Zeit:
Wahrscheinlich, dass ich nicht für den Tag nach der Intervention in Libyen geplant habe, die mir damals als richtige Entscheidung erschien.
Der libysche Führer Muammar Gaddafi vor einem Bild mit Engeln im Eingang zur Europäischen Kommission in Brüssel, April 2004.

Das Handelsblatt wiederum schätzt die aktuelle Lage folgendermaßen ein:
Libyen ist derzeit das Haupttransitland für Bootsflüchtlinge. Seit Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 mit Unterstützung des Westens gestürzt wurde, rivalisieren islamistische Milizen und nationalistische Kräfte gewaltsam um Macht und Einfluss. Funktionierende Grenzkontrollen gibt es dort nicht.
Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex schätzt demnach auch, dass alleine im Jahr 2016 etwa 600.000 Menschen aus Afrika die gefährliche Überfahrt per Boot nach Europa wagen werden.

Libyen wurde nicht nur destabilisiert, sondern rutschte auf den Status eines failed state ab, mit einer fatalen Strahlkraft auf die gesamte Region. Parallelen zu Freiheitseinsätzen der "westlichen Wertegemeinschaft" im Irak oder aktuell in Syrien sind dabei mehr als offensichtlich. Doch die Russische Föderation lehnte es ab, der ach so human klingenden Idee einer "Flugverbotszone" zuzustimmen, unter deren Deckmantel bereits das libysche Militär und ein Großteil der Infrastruktur durch die Nato zerstört wurden. Ganz zu schweigen von zehntausenden Toten und Vertriebenen.

Von Libyen auf nach Mali
So kann es niemanden wirklich verwundern, dass nach Libyen auch Mali die destabilisierenden Erschütterungen der libyschen Befreiung vom vermeintlichen Tyrannen am eigenen Leib zu spüren begann. Islamisten, die in Libyen ganze Arbeit geleistet hatten, sickerten nun auch in Mali ein, einem Land, das über Jahrhunderte den Ausgleich zwischen den Religionsgemeinschaften erfolgreich gemeistert hatte und zu seiner Blütezeit im Mittelalter die größte Universität der Welt sein eigen nannte. Die berühmten Timbuktu-Schriftrollen, die zum Teil tausend Jahre alt sind und bislang weder der britischen kolonialen Zerstörungswut noch den Dschihadisten zum Opfer fielen, zeugen noch heute von dieser Blütezeit der Wissenschaften und Literatur in Schwarzafrika.

Nach dem Zusammenbruch Libyens fanden zudem tausende Tonnen Waffen, einst Gaddafis Libyen und anschließend "libyschen Freiheitskämpfern" durch Staaten wie Frankreich, die USA und Katar zur Verfügung gestellt, nun auch in Mali neue Besitzer und heizten unter anderem auch lokal schwelende Konflikte neu oder zusätzlich an. Schnell musste daher in Mali ein Anti-Terror-Einsatz seitens Frankreichs her, um die wahhabitischen Dschihadisten in Schach zu halten.

Der entsprechende Einsatz mit dem Namen Opération Serval begann im Januar 2013 mit dem Ziel, das Wüten der Islamisten aufzuhalten und diese zurückzudrängen. Dass es sich dabei größtenteils um wahhabitische Extremisten handelte, die durch Katar und Saudi-Arabien, also mit dem Westen verbündete Staaten finanziert wurden, lässt die ganze Absurdität des Unterfangens deutlich zutage treten. Heute ist es ebenfalls unter anderem die al-Nusra Front in Syrien, die großzügig durch Saudi-Arabien und Katar Unterstützung erfährt.

Golden Misabiko, Quelle: acTVism Munich

Kann es im Zusammenhang mit dem vorrangig französischen Engagement für Liberté, Egalité und Fraternité wirklich ein Zufall sein, dass auch in Mali enorme Vorkommen an Uran vermutet werden? Ein Rohstoff, ohne den wohl kein französisches Atomkraftwerk laufen würde? Der französische Energiekonzern Areva fördert diesen kostbaren Rohstoff im Niger bereits seit Jahrzehnten. Zu den bedeutendsten bekannten Bodenschätzen Malis gehört jedenfalls Gold, wobei Mali der drittgrößte Produzent des Edelmetalls auf dem afrikanischen Kontinent ist.

Nun geriert sich die westliche Staatengemeinschaft also als Kampfgemeinschaft gegen den Terror, auch auf afrikanischem Boden. Der kleine Schönheitsfehler dabei: Es ist der Kampf gegen einen Terror, den es ohne ebendiese Gemeinschaft und ihre Interessen in dieser Form vor Ort gar nicht gäbe. Der sprichwörtliche Bock macht sich selbst zum Gärtner einer Wiese, die er zuvor auch in Eigenregie umgegraben und verwüstet hatte.

Wer bei all dem also die geopolitische Perspektive vollkommen ignoriert, wird der wahren Dimension der Geschehnisse auf dem afrikanischen Kontinent nicht einmal im Ansatz gerecht. Nur durch die Erläuterung der historischen Zusammenhänge wird der rote Faden des schizophrenen Vorgehens des Westens und seiner "Freunde" sichtbar. Ob dies politisch gewollt ist, ist eine gänzlich andere Frage.

Am effektivsten im Kampf gegen Flüchtlinge, Terror, aber auch Armut wäre es indes wohl, sich nicht permanent im Namen von Demokratie, Menschenrechten und "Entwicklung" in die inneren Angelegenheiten des Kontinents einzumischen. Damit wäre "Afrika" in der Tat am ehesten "geholfen".

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