"Ich hasse die traditionelle Ehe"

Reema Shamasneh ist Scheidungsanwältin in Palästina. Der Job ist ein täglicher gesellschaftlicher Kampf: Vor den Richtern zählt das Wort einer Frau halb so viel wie das eines Mannes.

Reema Shamasneh in ihrem Büro in Ramallah
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Reema Shamasneh in ihrem Büro in Ramallah
Die Frau, eine junge Krankenschwester, ist verzweifelt. Sie will unbedingt die Scheidung. Mit brühendem Tee habe ihr Mann sie bespritzt, sagt sie. Und er habe verhindert, dass sie ihre Mutter besuchte, als sie im Sterben lag. Die Gegenseite macht ein Angebot: Ihr Mann könnte der Scheidung zustimmen, aber nur, wenn sie auf alle Unterhaltsansprüche verzichtet, auch auf die 14.000 Dollar, die ihr laut Ehevertrag zustehen.

Am Ende nimmt sie den Deal an: Sie will einfach weg, immerhin bekommt sie so das Sorgerecht für den gemeinsamen kleinen Jungen. Ein islamischer Richter spricht vor, der Mann spricht nach: "Du bist geschieden."

Reema Shamasneh, 39, die Anwältin der Frischgetrennten, muss ein paar Tränen verdrücken. Tränen der Erleichterung und der Wut. "Ein großer Sieg ist das nicht", sagt sie. "Meine Mandantin hat zwar die Scheidung bekommen. Aber ich bin unglücklich darüber, wie viele Rechte sie dafür aufgeben musste."

Shamasneh trägt Kopftuch und ein langes Gewand, wie es strenggläubige muslimische Frauen tun. So gekleidet kämpft sie für arabische Frauen in einem der intimsten Lebensbereiche: Ehe und Scheidung.

Länder wie Tunesien und Marokko haben das Familienrecht reformiert, aber in vielen anderen arabischen Staaten können Frauen nur heiraten, wenn Männer in ihrem Namen den Ehevertrag unterschreiben. Für Männer ist es ein Leichtes, die Ehe später wieder aufzulösen, Frauen müssen ihren Scheidungswunsch begründen. Und Polygamie ist ohnehin nur Männern erlaubt.

Die Unterstützung für diese Regeln ist groß, auch unter arabischen Frauen. Laut einer großen Umfrage von Pew Research im Jahr 2013 findet eine große Mehrheit der Menschen in sieben arabischen Staaten, dass Frauen ihren Männern gehorchen sollten, 74 Prozent im Libanon, 87 Prozent in den Palästinensergebieten und 93 Prozent in Tunesien. "Wir können nicht einfach westliche Gesetze kopieren, weil westliche Gesellschaften so anders sind als unsere", sagt Maryam Saleh, eine Repräsentantin der palästinensischen Hamas.

Shamasneh und eine Mandantin: Das Wort eines Mannes gilt vor Gericht doppelt so viel wie das einer Frau
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Shamasneh und eine Mandantin: Das Wort eines Mannes gilt vor Gericht doppelt so viel wie das einer Frau

Scheidungsanwältin Shamasneh sieht das anders: Die Gesetze sind so, weil sie von Männern gemacht wurden: "Sie sind in einer Kultur großgeworden, die davon ausgeht, dass Männer irgendwie besser sind als Frauen. Das spiegeln die Gesetze wider", sagt sie.

Shamasneh stammt aus einem Bauerndorf in der Nähe von Ramallah. Als kleines Mädchen fiel ihr auf, dass Frauen bei Hochzeiten immer nur das zu essen bekamen, was die Männer zuvor übriggelassen hatten. Und während ihre vier Brüder kommen und gehen durften, wann sie wollten, mussten sie und ihre fünf Schwestern jedes Mal fragen, wenn sie vor die Haustür gingen.

"Bis heute erlebe ich Diskriminierung, auch in ganz einfachen Dingen", sagt sie. "Und das ärgert mich." Immerhin: Ihr Vater Mohammed, ein Unternehmer im Ruhestand, wollte, dass alle seine Kinder Schulbildung genießen, auch die Mädchen. Später entschied sich Shamasneh für ein Jurastudium. Das passt zu ihrer pragmatischen und analytischen Art.

"Aber du warst dagegen, dass ich studiere"
Ihre 74-jährige Mutter Amneh sagt, sie sei stolz auf Shamasnehs Erfolg. "Aber du warst dagegen, dass ich studiere", wendet Shamasneh gleich ein. Amneh antwortet entschuldigend: "Damals galt es als Schande, wenn eine Frau studierte und einer Arbeit nachging."

Die Mutter selbst wurde mit 13 Jahren ohne ihre Zustimmung verheiratet, mit 15 bekam sie ihr erstes Kind. Vier von Shamasnehs Schwestern heirateten, als sie um die 20 waren, eine fünfte wurde mit 16 in eine Ehe gezwungen. Zwei Jahre später ließ sie sich wieder scheiden. Zu der Zeit war Shamasneh ein Kind. Am männlichen Anwalt ihrer Schwester störte sie vor allem sein Desinteresse. Damals begann sie, sich für Jura zu interessieren, sagt sie.

Sie ist selbst nicht verheiratet. Für sie bedeutet das vor allem Unabhängigkeit: "Ich kann selbst auf mich aufpassen. Ich bin eine starke Frau und hasse die traditionelle Ehe." Will sie als Singlefrau gesellschaftlich akzeptiert werden, bleibt ihr aber nur, bei ihren Eltern zu wohnen. Sie würde ausziehen, wenn sie wollte, sagt sie, doch sie verbringe gerne Zeit mit ihren Eltern.

Nur ein Zeuge? Dann sind die Chancen schlecht
Ein typischer Arbeitstag beginnt für Shamasneh um 9 Uhr im Gerichtsgebäude von Ramallah. Ihre Mandantin an diesem Tag ist eine 25-Jährige, die sich scheiden lassen will, weil ihr Mann sie schlägt. Ihr Vater ist da, um für sie auszusagen, aber ihr Bruder konnte nicht kommen, weil er krank ist.

Verhandlung vor Gericht: "Frauen würden sich jeden Tag scheiden lassen"
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Verhandlung vor Gericht: "Frauen würden sich jeden Tag scheiden lassen"

Das könnte ein Problem vor Gericht sein, erklärt ihr Shamasneh. Normalerweise fordern die Richter, dass für die eine Frau zwei Männer aussagen. Notfalls reicht auch ein Mann und zwei Frauen. Am Ende des Tages wird sie vor Gericht immerhin durchsetzen, dass der Fall der Frau weiterverhandelt wird.

Immer wieder führt Shamasneh Streitgespräche wie das mit einem männlichen Kollegen, der steif und fest behauptet, das islamische Recht behandle bei Ehescheidungen Männer und Frauen gleich. Sie hält dagegen. Irgendwann gehen ihm die Argumente aus, und er sagt schließlich: "Aber so steht es im Koran!"

"Wir behandeln Frauen wie Königinnen"
Mahmoud Habbash, der Vorsitzende der islamischen Gerichte in der Westbank, warnt davor, dass sich Ansichten wie die von Shamasneh durchsetzen. Das könne zu einem Gesellschaftskollaps führen, sagt er. Frauen und Männer seien von Natur aus unterschiedlich und müssten ebenso behandelt werden. "Ihr im Westen versteht einfach nicht, wie wir hier Frauen behandeln", sagt er. "Wir behandeln sie wie Königinnen."

Shamasneh könnte leicht auswandern. Zwei ihrer Brüder leben in Douglasville im US-Bundesstaat Georgia. Aber das Leben im Westen findet sie nicht reizvoll, es gebe nichts, wofür man kämpfen müsse. Der Streit um Frauenrechte gebe ihrem Leben Bedeutung.

Der wird so schnell nicht vorübergehen. Shamasnehs Heimatdorf ist nach wie vor sehr konservativ. Der Prediger der Moschee sagt, er respektiere Shamasneh, aber er sei ganz anderer Meinung: "Wenn Frauen gleiche Rechte zur Ehescheidung bekommen, dann lassen sie sich jeden Tag scheiden. Frauen sind emotional, während Männer rational sind."

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