Washington Post: Ukrainische Nazi-Milizen willkommene Partner im Donbass-Krieg

Washington Post: Ukrainische Nazi-Milizen willkommene Partner im Donbass-Krieg
"Offiziell gibt es uns hier nicht", erklärt ein Kämpfer des Rechten Sektors einem Reporter der Washington Post in der Ostukraine. Die Reportage des US-Leitmediums zeigt aber, dass Kiew die bewaffneten Neonazis bewusst in weiter Ferne beschäftigt sehen will. 
 
Ungewohnte Worte zum Ukraine-Konflikt waren in der Montagsausgabe der Washington Post zu lesen. In einer Reportage unter dem Titel "Die Ukraine drückt für ihre ultrarechte Miliz ein Auge zu" schildert Reporter Jack Losh Eindrücke vom Leben an der Front, von der Herkunft rechtsextremer Kriegstouristen aus dem Ausland und vom Verhältnis zwischen den militanten Neonazis und dem Staat.

In recht unverblümter Offenheit analysiert der WP-Korrespondent, dass die rechtsextremen Milizen für die Regierung in Kiew nach wie vor eine bedeutsame Funktion im Kampf gegen die so genannten pro-russischen Separatisten im Osten des Landes einnehmen. Insbesondere geht aus den Eindrücken des US-amerikanischen Berichterstatters hervor, dass die Neonazis in die Kommandostrukturen der Streitkräfte eingebunden sind. Die Zusicherungen ukrainischer Politiker gegenüber dem Ausland, die Extremisten hätten sich von der Frontlinie zurückgezogen, seien unzutreffend.

Bildquelle: Sergej Belous

Ein Kämpfer des Rechten Sektors, der sich "Monarch" nennt, und mit dem Losh gesprochen hat, unterstreicht diesen Eindruck:
Offiziell gibt es uns hier gar nicht", erklärt er gegenüber der Washington Post. "Die Politiker sagen, wir haben uns zurückgezogen. Die Dinge liegen aber anders im Osten. Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Soldaten. Wir haben einen gemeinsamen Feind."
Ein weiterer Kämpfer, "Mischa", meint, die Politiker in Kiew sehen im Fronteinsatz der Ultranationalisten ein willkommenes Mittel, um sich diese in eigener Sache auf Distanz zu halten. Und sie haben allen Grund dazu, bestätigt er:
Wir sind ukrainische Partisanen. […] Die Politiker haben Angst, dass wir, wenn der Krieg einmal vorbei ist, nach Kiew zurückkehren und unsere Waffen gegen sie selbst richten. Und das sollten wir auch. Wir müssen es geradezu.
Rechtsextremismusforscher: Armee und Rechter Sektor koordinieren jeden Schritt
Die Washington Post erklärt die Bedeutung der rechtsextremen Milizen im bewaffneten Kampf gegen Aufständische in der Ostukraine mit dem desolaten Zustand, in dem sich die ukrainische Armee nach Jahrzehnten der Korruption und Vernachlässigung im Putschjahr 2014 befunden hatte. Die Zeitung räumt sogar ein, dass die informellen Einheiten schwer kontrollierbar gewesen seien und sich fürchterlicher Verbrechen schuldig gemacht hätten. Fast alle seien jedoch am Ende in die offiziellen ukrainischen Streitkräfte eingegliedert worden.

Die ukrainische Regierung stellt ihre derzeitige Offensive gegen den Donbass als vermeintliche Folge einer Provokation durch Rebellen dar. Es gibt jedoch eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass der Angriff bereits seit längerem vorbereitet wurde.

Der Rechte Sektor legte jedoch Wert darauf, eigenständig zu bleiben. Er verfügt Analysten zufolge über mehrere tausend Mitglieder, davon mehrere hundert Kämpfer, die Seite an Seite mit ukrainischen Regierungstruppen im Osten des Landes stationiert sind.

Die Washington Post zitiert in diesem Zusammenhang den Rechtsextremismusforscher Wjatscheslaw Likatschew, der erklärte:
Es ist generell der Fall, dass die Armee die Kämpfer des Rechten Sektors kontrolliert. […] Jeder ihrer Schritte wird mit den ukrainischen Kommandanten koordiniert.
Das ukrainische Verteidigungsministerium zeigte sich auf Anfrage des Blattes nicht als auskunftsfreudig.

Die Washington Post macht sich auf die Situation ihren eigenen Reim. Dort heißt es:
Derzeit sind diese Guerilla-Einheiten für Kiew von Nutzen; sie sind hoch motiviert und erwerben keine Pensionsansprüche gegenüber dem Staat. Langfristig spielt die Regierung aber mit dem Feuer.
Das US-amerikanische Leitmedium wird erwartungsgemäß nicht müde, russischen Staatsmedien vorzuwerfen, die Organisation zu dämonisieren, deren Bedeutung zu übertreiben und die "schwierige Geschichte der Ukraine mit der extremen Rechten" bereitwillig auszubeuten. Dabei gebe es neben Neonazis im Rechten Sektor auch Kämpfer ohne rechtsextreme Sympathien. Bindeglied sei lediglich die Verachtung der korrupten Führung in der Ukraine.


Regierung hat Angst vor einem Vorgehen gegen die Rechtsradikalen
Dennoch ist man sich auch dort der potenziellen Sprengwirkung bewusst, die vom Rechten Sektor perspektivisch ausgehen kann. Die Existenz dieser Gruppe, so räumt die WP ein, schadet dem Ansehen Kiews in Europa. Außerdem würden die Extremisten, sollte je wieder Dynamik in den Friedensprozess zur Ostukraine kommen, wahrscheinlich jeden Kompromiss ablehnen und die instabile Region weiter ins Chaos stürzen.

Dass der Amtsantritt Donald Trumps in den USA eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Washington und Moskau zur Folge haben könnte und dadurch weiterer Druck auf die Ukraine entstehen würde, vermindert, so das Blatt, zusätzlich die Wahrscheinlichkeit, dass Kiew in absehbarer Zeit gegen den Rechten Sektor vorgehen wird.

Ausländische Freiwillige für die Miliz kommen unter anderem aus Italien, den Niederlanden, Skandinavien oder früheren Sowjetrepubliken. Einer beklagt den Verlust der europäischen Identität im Angesicht muslimischer und afrikanischer Einwanderung und fühlt sich berufen, in der Ostukraine zu kämpfen, weil "hier etwas Großes passiert", das es wert wäre, dafür zu kämpfen. Ein anderer ist Familienvater und hat bereits in privaten Sicherheitsfirmen in Angola, dem Irak, dem Sudan und Syrien gearbeitet.

Wieder ein anderer war Müllsammler und Call-Center-Agent, bevor ihn der Abenteuerdrang übermannte und er – ohne überhaupt der Familie Bescheid zu sagen – in den Krieg für die Ukraine zog. Ein anderer, Georgier, meint, er finde "keinen Frieden, solange Russland diese Länder bedroht".
Das Leben in der Einöde ist trostlos und eintönig. Es bleibt im Dunklen, woher die Waffen der rechtsextremen Miliz kommen, ein Teil davon kommt vom Schwarzmarkt, dazu Bestände aus der Einnahme von Waffenarsenalen oder Überreste vom Schlachtfeld.

Der ukrainische Präsident Poroschenko und Kanzlerin Merkel während des Treffens in Berlin am 30. Januar 2017.

"Wir brauchen eine neue Revolution"
Ein heruntergekommenes Warenhaus, eine Stunde von Marinka entfernt gelegen, dient dem Rechten Sektor als Basis. Zur Bevölkerung sucht man keine Nähe. Mischa Ukhman, der Presseoffizier der Truppe, erklärt gegenüber der Washington Post dazu:
Wir haben keine Zeit, Herzen und Hirne zu gewinnen. Wir haben einen Krieg zu führen.
Politanalyst Likatschew ist über den militanten braunen Mummenschanz nur bedingt erbaut. Er sieht Russland als den eigentlichen Nutznießer des Treibens.
Die Rechtsradikalen sind ein fruchtbarer Boden für Russlands Bestrebungen, um die Ukraine zu destabilisieren. […] Ihre Ideologie ist im Kern antirussisch, aber hat gemeinsame Ziele mit Moskau.
Dieser Opfermythos ist nicht neu. Er ist Teil des Narrativs, wonach der "Euromaidan" kein aus dem Westen gesteuerter, nach festem Drehbuch verlaufener Putsch, sondern eine authentische, demokratische Volksrevolution gegen ein angeblich unterdrückerisches, fremdgesteuertes Regime gewesen wäre. Die militanten Nazis wären demnach nur eine unvermeidliche Reaktion gewesen auf die vermeintliche russische Aggression und das angeblich unangemessene Vorgehen der Sicherheitskräfte.

Sollte dies zutreffen, könnte die Führung in Kiew aufatmen, sobald der Konflikt im Osten beigelegt wäre. Es gäbe in der Ukraine keine Korruption mehr, keine soziale Misere, keinen Rechtsextremismus, weil das alles nur von Moskau käme.

Nimmt man die Aussagen der nationalistischen Kämpfer gegenüber der Washington Post ernst, könnte sich diese Erwartung als trügerisch erweisen. Aktivist Mischa sieht noch lange keinen Spielraum für ein Ende der Militanz.

Wir brauchen noch eine Revolution", betont er. "Die Politiker stehlen und stehlen. Wir können ihnen nicht vertrauen. Das ist unser Land. Wir werden bis zum Schluss kämpfen."

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