Gabriel im Interview in Moskau: "Der Sieg in diesem Krieg wird nicht zu Frieden führen"

Gabriel im Interview in Moskau: "Der Sieg in diesem Krieg wird nicht zu Frieden führen"
Sigmar Gabriel bei seinem Russlandbesuch am 9. März 2017
Die russische Nachrichtenagentur Interfax interviewte den deutschen Außenminister Sigmar Gabriel während seines Russlandbesuches. In Moskau traf er mit Präsident Putin und Außenminister Lawrow zusammen. RT Deutsch hat dieses Interview ins Deutsche übersetzt. 
 
Hier finden Sie das Interview im Original

Sie waren vor Kurzem in der Ukraine. In Moskau ist man der Meinung, dass der Westen zu verstehen beginnt, dass Minsk II in seinem politischen Teil vonseiten Kiews gebremst wird. Wird diese Meinung auch in Berlin geteilt und arbeiten Sie in dieser Richtung mit Kiew zusammen? Wie schätzen Sie die wachsende Spannung an der Konfliktlinie im Donbass ein? Wir würden auch gerne Ihre Meinung zu der Wirtschaftsblockade des Donbass hören, die von den nationalistischen Kräften organisiert wird, sowie zu der damit verbundenen Verschlimmerung der Energiekrise in der Ukraine.
Ehrlich gesagt, wäre ich sehr froh, wenn beide Seiten wenigstens die Abmachung über die Waffenruhe einhalten würden, zu der auch die Einrichtung einer Pufferzone und der Abzug schwerer Waffen gehören. Wir müssen mit Bedauern zusehen, wie Menschen von beiden Seiten dort unter den Kriegshandlungen leiden. Es ist notwendig, die Maßnahmen der Erbringung von humanitärer Hilfe auszuweiten. Stattdessen halten, den neutralen Beobachtungen der OSZE nach, beide Seiten die Waffenruhe nicht ein. Bei unserem Treffen im Normandie-Format mit den Außenministern Frankreichs, Russlands und der Ukraine während der Münchener Sicherheitskonferenz wurde uns versprochen, alle Einflussmittel anzuwenden, um die Waffenruhe endlich zu erreichen. Damit man endlich damit beginnen kann, das durchzuführen, worauf man sich schon lange geeinigt hat. Also den Abzug der schweren Waffen aus der eingerichteten Pufferzone sowie die Demilitarisierung von besonders konfliktreichen Gegenden. Außerdem haben wir dazu aufgerufen, die Blockade der Straßen und Bahnstrecken aufzuheben, da sie allen schadet. Keines dieser Versprechen wurde bis heute im ausreichenden Maße erfüllt. Das ist gefährlich, denn das kann in jedem Augenblick zu einer militärischen und politischen Eskalation führen. Das bedeutet, dass wir nicht nur die Einhaltung des Minsker Abkommens benötigen, sondern auch den politischen Willen, diese umzusetzen, denn sonst kommen wir nicht voran und darunter werden die Menschen im Donbass leiden.                                                                     
Sind Sie der Meinung, dass der Minsker Prozess sowie die Gespräche im Normandie-Format jeweils einen Neustart benötigen? Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin behauptet, dass es ein Mythos sei, dass in München eine Abmachung getroffen wurde, das Format um die USA zu erweitern. Sergej Lawrow sagte, dass Moskau nichts gegen einen Beitritt der USA zum Normandie-Format habe. Könnten Sie uns die Position Berlins dazu erläutern?

Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung in Europa beschwor Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel beim Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau.
Bisher habe ich weder aus Moskau noch aus Kiew von einem derartigen Wunsch gehört, das Format zu ändern. Zuallererst weiß ich nicht, was unter einem Neustart zu verstehen ist. Letztendlich laufen alle Gespräche auf eine Frage hinaus: Sind beide Seiten daran interessiert, endlich die Waffen ruhen zu lassen und in den Prozess einer friedlichen Regulierung des Konflikts einzutreten? Das Minsker Abkommen beschreibt alle wichtigen Fragen, die zu Beginn jeglicher neuer Verhandlungen aufgekommen wären.
Einige Zeit vor Ihrem Besuch in Moskau besuchten Sie die Militärbasis in Rukla in Litauen, wo deutsches Militär stationiert ist. In Moskau begegnete man dem mit Sorge, dass 100 Kilometer vor der Grenze Russlands nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten aufgetaucht sind. Wird Russland als eine unmittelbare Gefahr für Deutschland angesehen und wie weit ist Berlin bereit, für die NATO zu gehen, um deren Anwesenheit an ihrem Ostflügel auszuweiten?
Und darauf gebe ich Ihnen eine ehrliche Antwort, die ich mit einer Gegenfrage beginnen möchte: Geht denn von diesen, im Vergleich zu Russland oder anderen europäischen Ländern, so kleinen baltischen Staaten eine so große Gefahr aus, dass von russischer Seite die Notwendigkeit besteht, sein großes Militärpotenzial aufzustocken? Im Vergleich zu diesem ist die Anzahl der deutschen Truppen ja beinahe nicht erwähnenswert. Weder Deutschland noch andere Staaten der NATO waren in den baltischen Staaten zuerst anwesend. In Osteuropa ist die Unsicherheit in Bezug auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine weit verbreitet. Das nehmen wir ernst. Noch wichtiger wäre es, wenn wir etappenweise zu den Abrüstungsmaßnahmen zurückkehren würden. Wir haben in den letzten 30 Jahren so viel für die Friedenssicherung in Europa erreicht: die Transparenz sowie die Kontrolle der Rüstung und Abrüstung sind wichtige Elemente unserer gemeinsamen Sicherheit, die wir verpflichtet sind, zu bewahren und zu festigen. Die Sicherheit wird in dem Fall gewährleistet, wenn wir zu einem Dialog kommen, und Maßnahmen ergreifen, die das gegenseitige Vertrauen ausbauen und stärken.  Daher ist es meiner Meinung nach auch so wichtig, dass der NATO-Russland-Rat wieder regelmäßige Sitzungen abhält sowie Gespräche darüber führt, wie die Gefahr einer Eskalation in der baltischen Region gesenkt werden kann. Wir müssen um jeden Preis das Abrutschen in die Zeiten des Kalten Krieges verhindern.
Putin spricht mit Sigmar Gabriel in Moskau.

Wie schätzen Sie die Stationierung von Iskander-M-Raketensystemen im Kaliningrader Gebiet ein? Wie kann die Antwort der NATO darauf aussehen?
Wenn die Iskander-M-Raketensysteme im Kaliningrader Gebiet auf dauerhafter Basis stationiert werden sollten, würde uns das große Sorgen bereiten und es wäre ein Rückschritt im Prozess der Friedenssicherung in Europa. Daher beobachten wir das aufmerksam, was im Kaliningrader Gebiet passiert, und mit einer gewissen Besorgnis.
Am 21. Februar traf sich die Leitung des Projekts Nord Stream 2 mit dem EU-Kommissar für Energie. Kann nach diesem Treffen von einem Schritt in Richtung der Realisierung des Projekts gesprochen werden? Wird die Bundesregierung dessen Durchführung in Brüssel unterstützen?
Nord Stream 2 ist kein Projekt der EU-Kommission, sondern eine Investitionsentscheidung europäischer Privatkonzerne. Für uns ist es wichtig, dass dieses Projekt gemäß der EU-Gesetzgebung realisiert und durchgeführt wird. Darauf werden wir immer achten. Der Meinungsaustausch zwischen der EU-Kommission und den beteiligten Firmen präsentiert sich als der dafür richtige Schritt. Wir in Europa sind an einer zuverlässigen und langfristigen Versorgung durch Energieressourcen interessiert. Nord Stream 2 als eine zusätzliche Versorgungsroute könnte zur Realisierung dieses Ziels beitragen. Der russischen Seite ist meine Position zu dieser Frage schon lange bekannt: Wir brauchen den Nord Stream 2, aber wir brauchen auch die zuverlässige Versorgung durch die Ukraine-Route und die zuverlässige Versorgung mit Energieträgern solcher Staaten wie der Slowakei, Tschechien und Polen. Und ich fühle, dass unsere russischen Partner dazu bereit sind.
Wie schätzen Sie die Erfolgschancen für eine Regulierung des Konflikts in Syrien ein und wie sehen Sie die Rolle Russlands bei diesem Prozess? Vor kurzem haben westliche Medien berichtet, dass russische Diplomaten die EU-Staaten dazu aufgerufen haben, sich am wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens zu beteiligen. Gab es dieses Gespräch wirklich? Inwieweit ist Deutschland dazu bereit, sich daran zu beteiligen?
Der Sieg in diesem Krieg wird nicht zu Frieden führen. Ohne eine politische Entscheidung wird es unmöglich sein, diesen grauenhaften Konflikt zu beenden. Ohne eine politische Entscheidung droht Syrien für eine längere Zeit eine Fortsetzung der Gewalt und eine weitere Radikalisierung. Daher ist es notwendig, auf die Konfliktparteien massiven Druck von außen auszuüben, damit endlich das realisiert wird, wofür der UN-Sicherheitsrat einstimmig in seiner Resolution 2254 gestimmt hat. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Alle, und in erster Linie die internationalen Akteure, müssen alles tun, was sie beeinflussen können. Russland spielt dabei eine Schlüsselrolle. Wir setzen darauf, dass Moskau seinen großen Einfluss auf die Assad-Regierung ausübt, damit der politische Prozess in Genf sich zu seriösen Verhandlungen entwickelt. Außerdem erwarten wir, dass die Regionalmächte sich so verhalten werden, dass sie ihrer Verantwortung in der Region gerecht werden.

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