© Infosperber
Digitale Datenberge werden immer höher. Nun will ETH-Professor Ernst Hafen via Initiative ein Recht auf eigene Daten einführen.
Mehr Schutzmöglichkeiten bei Big Data: Volksinitiative geplant.
Digitale Datenberge werden immer höher. Nun will ETH-Professor Ernst Hafen via Initiative ein Recht auf eigene Daten einführen.
Unser Verhalten ist
widersprüchlich: Wir können uns schrecklich aufregen über
flächendeckende Abhöraktionen von Geheimdiensten, liefern aber
gleichzeitig Google, Facebook, Twitter und Co. bereitwillig riesige
Datenmengen über uns. Und wir bezahlen anstandslos unsere Konsumation im
Restaurant, finden aber anderseits, dass uns eine Google-Suche, eine
Auskunft bei Wikipedia, E-Mail-Konten und Handy-Apps gratis zur
Verfügung stehen sollten. Doch gratis ist auf Erden nichts, wir bezahlen
nur in unterschiedlichen Währungen, im vorliegenden Fall statt mit Geld
mit persönlichen Daten, welche wir im Internet hinterlassen. Diese
Daten werden gesammelt und kommerziell genutzt. So begeben wir uns in
Abhängigkeit von Unternehmen. Nicht von ungefähr lautet ein Bonmot:
«Data is the new oil». Gemäss einer Studie der Boston Consulting Group
liegt der Marktwert persönlicher Daten im Jahr 2020 allein in Europa
schätzungsweise bei einer Billion Euro.
Persönliche Daten mit grossem Marktwert
Ernst
Hafen, Professor für molekulare Systembiologie an der Eidgenössischen
Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, nennt diesen Zustand «digitale
Leibeigenschaft»: «Unser digitales Profil, unser digitales Ich, befindet
sich in den Händen von Anbietern, die sich unsere Daten zunutze machen
und damit ihre Geschäftsmodelle betreiben.» (Ernst Hafen, Mathis
Brauchbar: «Data to people – Befreiung aus der digitalen
Leibeigenschaft». Der Aufsatz erscheint demnächst im Buch «Total Data –
Total Control: Nulltoleranz in allen Lebensbereichen», Verlag NZZ
Libro). Hafen beschäftigt sich seit langem mit Daten im Bildungsbereich.
Die digitale Revolution führt, wie überall, dank digitaler
Lernplattformen auch im Bildungswesen zu grossen Datenmengen. Das hat
Vor- und Nachteile: Es demokratisiert die Bildung und macht
individualisiert angepasstes Lernen möglich.
Gleichzeitig fallen «sehr
persönliche Daten an, die aber einen grossen Marktwert haben», wie Hafen
kürzlich an einer Tagung der Schweizerischen Stiftung für audiovisuelle
Bildungsangebote (SSAB) zum Thema «Big Data & Learning Analytics» in Bern ausführte.
«Kopflos in die digitale Abhängigkeit»
Diese
gigantischen Bildungs-Datenmengen können in die Fänge grosser
Datenfirmen geraten: «Ihr Geschäftsmodell sind unsere Bildungsdaten, was
die Gefahr ganz neuer digitaler Abhängigkeiten mit sich bringt», sagte Hafen an der SSAB-Tagung. Wie diese Daten zusammenkommen, beschreibt Hafen im erwähnten Aufsatz wie folgt:
«Jedes
Kind, das auf einem Smartphone oder Tablet eine Rechenübung löst, ein
Buch liest oder ein Videogame spielt, hinterlässt mit jedem Swipe und
Click persönliche Daten. Kombiniert man diese mit den Daten, die auf
Online-Lernplattformen in der Schule und während des Studiums erhoben
werden, entsteht ein Bildungsprofil einzelner Personen, das viel
präziser ist, als der Fünfer im Zeugnis oder ein Master of Science von
der ETH. Dass wir uns auch hier erneut kopflos in eine digitale
Abhängigkeit begeben, zeigt die Begeisterung, mit der sich Hochschulen,
darunter auch einige Schweizer Universitäten, mit eigenen Kursen an
privaten Plattformen für MOOCs (Massively Open Online Courses) wie
Coursera und Udacity beteiligen. Solche MOOCs ermöglichen es Tausenden
von Studierenden gleichzeitig, einen Kurs übers Internet zu besuchen und
entsprechende Tests zu machen. Mit diesen MOOCs zieht ‘Big Data’ in die
Ausbildung ein. Wenn 30 000 Studierende den gleichen Kurs via Internet
besuchen, kann getestet werden, welche Unterrichts- und Prüfungsformen
am besten geeignet sind, beziehungsweise welche Unterrichtsformen für
welchen Typ von Studierendem am besten geeignet sind. Professoren von
verschiedenen Universitäten unterrichten damit nicht nur gratis und
stellen so ihr Wissen und Lernmaterial zur Verfügung, gleichzeitig
werden die persönlichen Lerndaten der Studierenden von den Firmen
gespeichert und ausgewertet. Genau diese Daten versprechen den hohen
Wert für Investoren.»
Das Recht auf die eigenen Daten
Digitale
Lerndatenspuren bieten grundsätzlich grosse Vorteile und ermöglichen
ganz neue Dienstleistungen: Sie können individuell zugeschnittene
Hinweise darauf geben, wie die Ausbildung gestaltet werden soll, wo die
Stärken und Schwächen liegen. Hafen skizzierte folgendes Szenario für
künftiges Lernen an der ETH: Alle Studentinnen und Studenten besitzen
ein persönliches Datenkonto. Basierend auf diesem Bildungsprofil werden
Lehrgangsempfehlungen gemacht. Damit wird die Studienplanung
personalisiert. Hafen bezeichnet es jedoch als zentral, dass die
Studierenden das Recht auf eine digitale Kopie ihrer Bildungsdaten
erhalten. Im Vordergrund dieses Rechts «sollte die Möglichkeit der
Zweitnutzung der Daten durch die Person selbst stehen. Dadurch würde
auch die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für die eigenen,
personenbezogenen Daten selbst gestärkt.» Das Recht auf eine Kopie der
eigenen Daten, gepaart mit dem Recht, über die Zweitnutzung dieser Daten
verfügen zu können, sei ein wichtiger Schritt zur Befreiung aus der
digitalen Anhängigkeit. Zur sicheren Aufbewahrung und Verwaltung dieser
Daten sei die Unternehmensform der Genossenschaft besonders geeignet.
Volksinitiative für 2018 angekündigt
Ernst
Hafen will aber noch einen Schritt weitergehen: Er will eine
Volksinitiative starten, wie er an der SSAB-Tagung bekanntgab. Die
Initiative soll das Recht auf eine Kopie aller unserer Daten in der
Verfassung verankern, «und zwar von den Cumulus-, den Supercard-, über
die Gesundheits- bis hin zu den Bildungsdaten». Hafens «Traum ist, dass
wir das erste Land weltweit werden, das ein Recht auf eine Kopie der
eigenen Daten in der Verfassung verankert.» Die Schweiz habe die Chance,
hier eine Vorreiterrolle zu spielen. Auf Nachfrage erklärte Hafen, die
Initiative werde frühestens 2018 lanciert; ein formeller Entscheid sei
noch nicht gefallen. Er könne jedoch auf die Unterstützung von
Nationalräten der SP, der Grünliberalen und der FDP zählen.
Swiss Data Alliance gegründet
Zudem
ist am 22. März 2017 die Swiss Data Alliance gegründet worden. Gemäss
eigenen Angaben handelt es sich um «einen überparteilichen
Zusammenschluss von Unternehmen, Wirtschaftsverbänden,
zivilgesellschaftlichen Organisationen, Bildungs- und
Forschungsorganisationen sowie Einzelpersonen für die innovative und
faire Datennutzung». Die Prinzipien der Allianz sind: Das Recht jedes
Individuums auf eine digitale Kopie der Daten zu seiner Person («My
data»); Schutz von Personendaten vor «übermässigem staatlichen Zugriff»
(«Privacy»); öffentlicher Zugang zu unpersönlichen Daten, die im Rahmen
von staatlichen Aufgaben anfallen und von der öffentlichen Hand
finanziert werden («Open Data»); aber auch: Schutz der Investitionen von
Unternehmen in die Datenerhebung und in die Entwicklung von neuen
Algorithmen («Corporate Data»). Ob dieser letzte Punkt nicht in einem
gewissen Spannungsverhältnis vor allem zum ersten Punkt steht, bleibe
dahingestellt.
Die Swiss Data Alliance wird
nebst Ernst Hafen und weiteren Personen aus der Wissenschaft und der
Informatikbranche von den Nationalratsmitgliedern Balthasar Glättli
(Grüne), Edith Graf-Litscher (SP) und Franz Grüter (SVP) getragen. Bei
allen dreien gehört die Internetpolitik zu den parlamentarischen
Schwerpunkten. Für die kommenden Wochen und Monate stellt die
Organisation unter anderem auch politische Vorstösse in Aussicht.
Kommentare