Confederations Cup in Russland: Zensur-Empörung im luftleeren Raum

Confederations Cup in Russland: Zensur-Empörung im luftleeren Raum
Der russische Präsident Wladimir Putin (l.) und FIFA-Präsident Gianni Infantino im Kreml.
Der Confed Cup in Russland steht vor der Tür. Für die politisch-mediale Nomenklatura das Signal, sich langsam warmzuhetzen. Jüngster Anlass: Ein Formschreiben zur vereinfachten Visa-Erteilung für Sportjournalisten. Der pawlowsche Reflex ersetzt die Reflexion. 
Sollte es sie je gegeben haben, sind die Zeiten längst vergangen, in denen große Sportereignisse tatsächlich dem Zweck dienten, die Völker zu vereinen. Im Gegenteil: Bereits im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 nutzte der Mainstream jede Gelegenheit, die russische Regierung zu diskreditieren. Während der Spiele selbst ließen die deutschen Leitmedien keinen Tag und kaum einen Bewerb ungenutzt, um die Berichterstattung mit kremlkritischen politischen Handreichungen einzurahmen. Dass es beim Confederations Cup ebenso ablaufen würde, war absehbar.



Dieses traditionelle Event zur Vorbereitung auf die Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Jahr ist sportlich gesehen der aktuellste und willkommene Anlass, um die verbalen Geschütze gegen Moskau wieder in Stellung zu bringen. Besonders die BILD tat sich dabei mit einer neuen anti-russischen Räuberpistole hervor.

Journalistenverband einmal mehr Multiplikator für Fake News
Im Mittelpunkt der Bild-Kritik steht dabei die vollkommen haltlose Mutmaßung, dass die FIFA "auf direkten Befehl Putins" hin Journalisten, die sich für den FIFA-Confederations-Cup akkreditieren ließen, an die ganz kurze Leine nimmt. Moskau soll demnach den Journalisten vorschreiben, was diese berichten dürfen oder eben nicht. Konsequent heißt es in der entsprechenden Meldung:
Wird das Turnier von Präsident Wladimir Putin (64) zur eigenen Show missbraucht wie schon Olympia 2014 in Sotschi? Die russischen Behörden zensieren internationale Journalisten.
Im gleichen Duktus schaltet sich auch Frank Überall, Bundesvorstand des Deutschen Journalistenverbandes, in die Moskau-Schelte ein:
Die FIFA lässt sich hier vor den Karren einer menschenrechtsfeindlichen Regierungspolitik spannen, indem sie Journalisten massiv in ihrer Arbeit behindert. Man muss darüber nachdenken, ob man solche Turniere künftig noch in Ländern austragen kann, die die Pressefreiheit mit Füßen treten.
Doch selbstverständlich sind es nicht nur die BILD und der unvermeidliche DJV, die eilig die sich bietende Gelegenheit zum Russland-Bashing ergriffen haben. Die Spur zieht sich quer durch den gesamten deutschen Mainstream und wo immer die Medien eine neue Sau durchs Dorf treiben, dürfen auch die Opportunisten aus den Reihen der Politik nicht fehlen. Ganz vorne mit dabei Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), gewohnt hemdsärmelig. Auch er ist generös genug, die Welt an seinen Weisheiten teilhaben zu lassen.
Es muss klipp und klar sein: Sportberichterstattung und Geld verdienen kann nicht auf dem Rücken der Pressefreiheit erkauft werden", so Kauder vor einer Sitzung der Unions-Abgeordneten im Bundestag.

Pawlowsches Gebell quer durch den politisch-medialen Komplex
Die unhinterfragte Russland-Kritik ist natürlich fraktionsübergreifend. Zu selbstverständlich ist das Zerrbild vom menschenfeindlichen russischen Bären nach Jahren der tendenziösen Berichterstattung sowohl der Regierung als auch der systemischen Opposition in Fleisch und Blut übergegangen. Und zu verlockend ist es, sich beim heimeligen Appell an Freiheit und Werte einzuhaken. Wie etwa SPD-Oppermann:
Presse- und Meinungsfreiheit muss über Grenzen und Themen hinweg gelten – auch bei der Sportberichterstattung. Das sollte Frau Merkel dem russischen Präsidenten klarmachen.
Auch die olivgrüne Katrin Göring-Eckart darf beim verbalen Marsch auf Moskau nicht fehlen:
Deutschland kann es nicht einfach hinnehmen, wenn Putin die Pressefreiheit mit Füßen tritt", zitiert die Bild die Fraktionsvorsitzende der Grünen.
Einen Haken haben jedoch alle Berichte und Einlassungen: Sie entbehren jeder Grundlage. Was sich bei Journalisten Recherche nennt, umschreibt man bei Politikern als Reflexion. Beides erscheint den Fakten-Verdrehern wie in so vielen anderen Fällen im Zusammenhang mit Russland auch hier nicht mehr als erforderlich.

Wie immer jedoch bestätigen auch hier einige wenige Ausnahmen die Regel. So bereits bei den Winterspielen in Sotschi im Jahr 2014. Auf die Frage, ob er bei den Spielen Erfahrungen mit Manipulation oder Zensur gemacht habe, erwiderte Oliver Frick, der ARD-Teamchef für den Hörfunk beim Confed-Cup, in einem SWR-Interview:
Mir ist aufgefallen, dass die deutschen Medien im Vorfeld sehr schlecht über Sotschi und auch die Russen berichtet haben. Vor Ort stellte sich das ganz anders dar. […] Wir durften überall hin. […] Also mir ist überhaupt nichts negativ aufgefallen. Das waren professionelle Spiele. Salt Lake City im Jahr 2002 habe ich da völlig anders in Erinnerung. Oder Peking 2008, oder ich denke da an Formel-1-Rennen in Bahrain. Aber Sotschi 2014 war von der Organisation her einwandfrei.

Seit Jahr und Tag übliches Standard-Formschreiben als "Zensurdokument"
Auch im Zusammenhang mit dem Confed Cup 2017 verweist Frick darauf, dass bisher alles ohne Probleme abgelaufen sei und er bereits über Akkreditierung sowie Visum verfüge. Außerdem hat er die Berechtigung, vom 17. Mai bis zum 10. Juli zu filmen, was ihm beliebt. Darunter die "Basecamps der Teams, irgendwelche Denkmäler, kulturelle Stätten, alle Städte in Russland". Frick fährt fort:
Und ich habe nachgeschaut: Genau dieses Formular habe ich schon 2009 vor Südafrika bekommen und auch 2013 vor Brasilien. Das ist einfach ein Standardschriftsatz der FIFA. Ich will nicht in Abrede stellen, dass dieses Land riesige Probleme hat. […] Aber, dass die armen deutschen Sportjournalisten nicht so berichten dürfen, wie sie das gerne wollen – dieses Problem kann ich momentan noch nicht sehen.
Auf den Nachdenkseiten äußert sich ein Leser, der im Sportjournalismus tätig ist, aber anonym bleiben möchte, zu der sportpolitischen Schmutzkampagne:
Der Empörungspunkt ist die angebliche 'Zensur', die Reportern, die sich für den Confed-Cup akkreditieren, droht. Konkret geht es um einen Passus in der Akkreditierung, die Reportern auferlegt, ausschließlich über den Wettkampf und umliegende Sehenswürdigkeiten berichten zu dürfen. Doch das ist übliche Praxis und wurde so bereits auch 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta praktiziert. […] Was die Bild unter Julian Reichelt daraus macht, ist einfach nur lächerlich und dient ausschließlich der negativen Stimmungsmache gegenüber Russland.
Die Nachdenkseiten taten das, was Journalisten immer tun sollten: Sie prüften die Angaben und kamen zu dem Ergebnis, dass die Angaben stimmen.
Wir haben die Zuschrift unseres Lesers gegengecheckt und er hat Recht. Wie sowohl das russische Sportministerium als auch die FIFA auf Anfrage mitteilen, handelt es sich bei dem von Bild und Co. kritisierten Modus Operandi keinesfalls um eine wie auch immer geartete inhaltliche Einschränkung für Sportjournalisten, sondern um das Angebot eines vereinfachten Medienvisums. Russland hat in Absprache mit der FIFA ein vereinfachtes Schnellverfahren zur Visaerteilung für Sportjournalisten eingeführt, die vom FIFA-Konföderationen-Pokal bzw. der WM im nächsten Jahr berichten. Journalisten, die über andere Themen berichten wollen, müssen nach wie vor das normale Verfahren zur Erteilung eines Arbeitsvisums durchlaufen.
Warum sich die selbsternannten Faktenfinder von ARD oder Correctiv nicht ebenfalls die Mühe der Recherche machten, lässt nur sehr wenige Rückschlüsse zu. Weiter erläutern die Nachdenkseiten mit Verweis auf das russische Sportministerium und die FIFA:

Putins
Das Angebot ist also eine Sonderregelung für Sportjournalisten. Selbstverständlich hat dies überhaupt nichts mit den Inhalten zu tun, die die Sportjournalisten schreiben und senden. Wie die BILD überhaupt auf die Idee kommen kann, dies als 'Zensur' zu interpretieren, ist mit dem gesunden Menschenverstand nicht greifbar.
Es wäre jedoch unfair, alleine die BILD für das geschaffene Zensur-Zerrbild rund um den Confed-Cup verantwortlich zu machen. Das Niveau des Meutenjournalismus, wie man ihn am Beispiel der Russland-Berichterstattung beobachten kann, unterscheidet sich unter den verschiedenen Vertretern der "freien Presse" vor allem in der Länge der jeweiligen Artikel und deren inhaltlichem Duktus. Ansonsten hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Es ist nur bedauerlich, dass selbst der Sport nicht von derartiger Instrumentalisierung verschont bleibt.

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