Frank Elbe: Die Beziehungen zwischen Moskau und Washington entscheiden über Krieg oder Frieden

Frank Elbe: Die Beziehungen zwischen Moskau und Washington entscheiden über Krieg oder Frieden
Der Botschafter Frank Elbe blickt auf eine lange Karriere als Diplomat zurück: Von Polen bis in die Schweiz war er in zahlreichen Ländern stationiert. Gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher war er an den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die Deutsche Einheit beteiligt.
Bei einigen deutschen Journalisten bestehe eine "masochistische Lust an Vasallität", stellt der ehemalige Botschafter Frank Elbe fest. Weder Europa noch Deutschland seien amerikanische Lehen. Anstatt kriegerischer Begeisterung wäre Verständigung angeraten. 
 
von Frank Elbe, Botschafter a.D.

Kaum hatten die USA 59 Tomahawk-Raketen auf ein syrisches Flugfeld abgefeuert, hoben die Chöre aus Politik und Medien ihre Gesänge an, die das gesamte Repertoire von Klageliedern und Lobpreisungen abdeckten. Einige übersahen dabei die Weisheit, nicht mit Steinen zu werfen, wenn man im Glashaus sitzt. Auch ging man gelegentlich nicht gerade pingelig genau mit der Wahrheit um.

Jasmin Kosubek im Gespräch mit Frank Elbe.

Die einen beklagten die Verletzung des Völkerrechts, andere hielten den Angriff für eine richtige Entscheidung. Aber kann etwas richtig sein, wenn es nicht rechtens ist? Der Begriff „richtige Entscheidung“ entwickelt sich offenbar zu einer Gehhilfe der Politik bei der Unterscheidung von Recht und Unrecht in den Fällen, in denen die Rechtslage politischem Handeln entgegensteht.

Für einen Völkerrechtler ist kein Zweifel gegeben, dass der Raketenangriff eine mit den Zielen der Vereinten Nationen gemäß Art. 2 (4) der Charta der VN unvereinbare Anwendung von Gewalt war. Er war weder durch das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung gemäß Art. 51 zu rechtfertigen noch als eine Sanktionsmaßnahme unter Kapitel VII der Charta.

Nun hat sich in der Zeit seit dem 2. Weltkrieg wenig getan, um das Gewaltverbot der Vereinten Nationen zu respektieren und zu stärken.

Der jahrzehntelange Ost-West-Konflikt hat die Instrumente der Konfliktschlichtung stumpf gemacht. Die Veränderung des politischen Klimas nach der deutschen Wiedervereinigung war eine Chance, das Gewaltmonopol zu stärken, aber sie wurde nicht nachhaltig genutzt.

Die menschliche Reaktion, Genugtuung über einen Schaden zu empfinden, den ein böser Despot erfährt, ist verständlich, wenn auch nicht gerade zivilisiert. Sie darf aber keineswegs zu einer unzulässigen Entscheidung führen. Außerdem ist nach wie vor ungeklärt, wer eigentlich den vorausgegangenen Giftgasangriff zu verantworten hat.

Das amerikanische Bombardement löst berechtigte Sorgen aus, ob die militärischen Operationen eskalieren werden, der Krieg sich möglicherweise auf andere, auch die eigenen Regionen ausdehnen könnte. Die Politik hat hierbei zu beruhigen, aufzuklären und Antworten zu geben, nicht aber zu verwirren. Parteinahmen spalten das entsetzte Publikum.

Frank Elbe im Gespräch mit dem ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher

In der scheinbar verfahrenen Situation scheint es aber einen Funken der Hoffnung zu geben. Bemerkenswert an dem Vorgehen der USA ist ihre Rücksichtnahme auf Russland. Die russische Seite wurde von den USA über den beabsichtigten Angriff unterrichtet. Es erklärt auch die Beschränkung des Angriffsziels auf ein Flugfeld und das Bemühen, den kollateralen Schaden des Angriffs möglichst zu begrenzen.

Offenbar funktionieren die diplomatischen Kanäle zwischen den beiden großen Nuklearmächten. Zwar verurteilte die russische Seite den Raketenbeschuss, aber es wird deutlich, dass eine Gefährdung der russisch-amerikanischen Beziehungen vermieden werden soll. Der geplante Besuch von US-Minister Tillerson hat wie geplant stattgefunden.

Jacques Schuster schrieb am 8. März 2017 in der Tageszeitung Die Welt, „der US-Präsident habe innerhalb weniger Stunden allen bewiesen, dass Amerika nach wie vor die einzige Supermacht auf Erden ist“. Er bejubelt, dass Trump „die USA in den Nahen Osten zurückbringt“, und dass er zu einem Angstgegner für andere unberechenbare Despoten vom Schlage eines Kim Jong-un werde. Das sind merkwürdig atavistische Auffassungen. Er übersieht dabei wesentliche Punkte.

Das gegenwärtig politisch ausschließlich relevante Thema wird die Zukunft der russisch-amerikanischen Beziehungen sein. Dahinter treten Assad, Kim Jong-un, der IS und alles andere zunächst erstmal zurück. Die künftige Qualität der Beziehungen zwischen Moskau und Washington wird über Krieg oder Frieden entscheiden.

Nur die ernsthafte Zusammenarbeit beider Länder kann den Weg zur Lösung globaler Probleme ebnen. Das gilt für militärische und ökonomische Konflikte, für die Abrüstung und den Schutz der Umwelt. Das soll nun keineswegs bedeuten, ein russisch-amerikanisches Kondominium herbeireden zu wollen. Es geht zunächst nur darum, die zwischen den USA und Russland bestehenden Streitpunkte abzubauen, und darum, neue Kooperationsbereiche zu eröffnen.

Die amerikanische Intervention in Syrien belegt anschaulich, wie untauglich völkerrechtliche Instrumente - wie z.B. der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – sind, wenn zwischen seinen permanenten Mitgliedern kein Einvernehmen besteht.

Der Weg zum einem besseren politischen Verhältnis erfordert auch die Rückkehr der USA zur Bereitschaft, „second to none“ sein zu wollen, also niemandem unterlegen und niemanden überlegen zu sein. Diese Bereitschaft war Anfang der 1990er Jahre gegeben, verlor sich aber in den folgenden Jahrzehnten. Ein wesentlicher Wendepunkt wäre schon gegeben, wenn sich beide Länder noch einmal ausdrücklich versichern würden, die Sicherheitsbedürfnisse des anderen zu berücksichtigen.

Die von Jaques Schuster geforderte Supermachtrolle der USA reflektiert eine masochistische Lust an Vasallität. Weder Europa noch Deutschland sind amerikanische Lehen. Sie sind bedeutende Faktoren der internationalen Politik und Wirtschaft. Frau Merkels Skepsis gegenüber einer monopolaren Welt ist ohnehin bekannt. Sie sagte schon vor zehn Jahren:
"Kein Land der Welt hat genug Macht, Geld und Einfluss, um sich allein den Herausforderungen zu stellen zu können."
Es geht auch darum, das eigentliche Gefahrenpotential, dem unsere Welt ausgesetzt ist, und das in Krisen wie dieser nicht aus dem Gedächtnis verdrängt werden darf, immer wieder zu erkennen. Dazu gehört die in einer konventionellen militärischen Operation stets lauernde Gefahr der Eskalation zum Einsatz nuklearer Mittel. Trotz aller großen Veränderungen in Europa sind Russland und die USA weiterhin die bedeutsamsten Atommächte; sie halten sich nach wie vor mit der Strategie der „gegenseitig gesicherten Vernichtung“ in Schach.

Michael Stürmer versteht nukleare Waffen als Instrumente politischer Strukturbildung, „denn sie erzwingen Selbstbeschränkung und Souveränitätsverzicht sowie ein hohes Maß an Berechenbarkeit und Vertrauensbildung. Wer diese Grundtatsache menschlicher Existenz vergisst, handelt bei Strafe des Untergangs.“ Die Lösung zur Schaffung entsprechender Strukturen erfordert eine substantielle Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und den USA.

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