Gefakte Fake-News von Spiegel Online: "Perfide russische Fake-News-Attacke gegen Bundeswehr"

Gefakte Fake-News von Spiegel Online: "Perfide russische Fake-News-Attacke gegen Bundeswehr"
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite während eines Besuchs bei deutschen Truppen in Rukla, 7. Februar 2017.
Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und weiterer Abgeordneter der Linksfraktion geantwortet. Es geht um eine erfundene Vergewaltigung durch Bundeswehrsoldaten in Litauen und die mediale Umsetzung des Vorfalls durch Spiegel Online. Die Antworten lassen SPON einmal mehr nicht gut aussehen. 
 
Seit Ende Januar dieses Jahres wird in Litauen ein NATO-Bataillon aufgeboten, das zur Abschreckung gegenüber Russland dienen soll. An der NATO-Operation mit dem Namen Enhanced Forward Presence beteiligt sich auch die Bundeswehr. Sie schickt eine Kampfkompanie des Panzergrenadierbataillons 122 aus Oberviechtach mit 20 Schützenpanzern des Typs Marder, sechs Kampfpanzern Leopard 2A6 und weiteren Fahrzeugen sowie einer Versorgungskompanie und einem Stabszug.



Bereits in den ersten Tagen der Stationierung meldete Spiegel Online Mitte Februar 2017, die Bundeswehr sei Ziel einer perfiden Kampagne geworden. Die erste Überschrift des Artikels lautete:
Russland attackiert Bundeswehr mit Fake-News-Kampagne
Diese Überschrift fand sich wenige Stunden später geändert wieder. Nun konnte man lesen:
NATO vermutet Russland hinter Fake-News-Kampagne gegen Bundeswehr.
Inklusive einem knappen Korrekturhinweis:
Die Überschrift haben wir geändert, weil es sich um einen Verdacht der NATO handelt.
Neben Militär- auch Medienbündnis? Im deutschen Mainstream hat die NATO einen treuen Zuträger.

Doch worum geht es in dem Artikel von Spiegel Online? Am 14. Februar traf im Büro des litauischen Parlamentspräsidenten Viktoras Pranckietis eine Mail ein, deren Absender bis heute unbekannt ist. In der Mail wurde behauptet, eine Gruppe betrunkener deutscher Soldaten hätte Tage zuvor ein 15 Jahre altes Mädchen aus einem Kinderheim der Stadt Jonava vergewaltigt. Die Kleinstadt liegt nur wenige Kilometer vom Stationierungsort der Bundeswehr in Rukla entfernt.

Innerhalb weniger Stunden hatten die litauischen Polizeibehörden ermittelt, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Auch in den litauischen Medien wurde das Thema nicht groß aufgehängt. Die Tatsache, dass es sich um eine erfundene Geschichte handelt, war rasch klar. Die Medien konzentrierten sich eher auf die Berichterstattung zu den Hintergründen und dem Absender der E-Mail. Schlagzeilen machte der "Fall" jedoch vor allem in Deutschland.

Einzelne anonyme Mail als "konzertierte Desinformationskampagne"
Der im Spiegel Online erhobene Vorwurf, die Bundeswehr sei "ins Visier einer konzertierten Desinformationskampagne geraten, die offenbar von Russland gesteuert wurde", machte wie ein Lauffeuer die Runde. Andere Medien wie Stern und Tagesspiegel nahmen die Geschichte auf. Einzige Quelle des Spiegel-Online-Reporters Matthias Gebauer für den Verdacht gegen Moskau war ein anonymer NATO-Diplomat, über den er schrieb:
Ein NATO-Diplomat sprach von einer erneuten Provokation der Russen, die gegen die temporäre Stationierung von Truppen an der Ostgrenze des Militärbündnisses protestieren. Bei der Allianz sieht man solche Attacken als erste Stufe der so genannten hybriden Kriegsführung durch die Russen.
Zudem schlug Gebauer in seinem Artikel Parallelen zum so genannten Fall Lisa. Als Anfang 2016 die 13-jährige russlanddeutsche Lisa aus Berlin für 30 Stunden verschwand, war die Aufregung groß, vor allem auch in den sozialen Medien. Schnell war von einer möglichen Entführung und einer Vergewaltigung die Rede. Vor dem Berliner Kanzleramt demonstrierten zahlreiche Menschen. Sie gaben ihrer Sorge Ausdruck, die deutschen Behörden könnten aus politischen Gründen ein Verbrechen vertuschen.

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Das Mädchen selbst hatte zunächst behauptet, von südländisch aussehenden Männern entführt worden zu sein. Später stellte sich jedoch heraus, dass sie die Nacht bei einem 19-jährigen Freund verbrachte, ohne dass es dabei zu strafbaren sexuellen Handlungen kam. Russischen Medien wurde im Zusammenhang mit dem Vorfall vorgeworfen, die Version der Vergewaltigung tagelang weiter gestreut und verteidigt zu haben.

Es kam sogar zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Deutschland und Russland, als der russische Außenminister Sergej Lawrow auf einer Pressekonferenz seiner Besorgnis Ausdruck gab, dass vor dem Hintergrund der Migrationsproblematik versucht werde, "die Realitäten mit Political Correctness aufzupolieren". Anschließend sprach er von "unserem Mädchen Lisa".

"Wir wissen nichts, aber glauben viel"
Damit schien de facto bewiesen zu sein, dass die russische Regierung für die Falschmeldungen mitverantwortlich sei. Inzwischen stellte ein BND-Bericht allerdings fest, dass die deutschen Geheimdienste keine eindeutigen Beweise für eine russische Desinformations-Kampagne gegen die Bundesregierung gefunden hätten.

Nun antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagabgeordneten Andrej Hunko, Sevim Dagdelen und Annette Groth zu dem Fall in Litauen. Die Abgeordneten hatten in ihrer Kleinen Anfrage vom März dieses Jahres 14 Fragen zu dem Vorfall und die im Spiegel-Online-Artikel erhobenen Vorwürfe gegenüber Russland gestellt.

Der Schriftzug des BND am Eingang der Zentrale in Berlin.

Die Antworten der Bundesregierung bringen nicht wirklich Neues zu Tage. Schon vor der Anfrage gab es zu dem Artikel in Spiegel Online eine kritische Berichterstattung. Die wichtigsten Kritikpunkte richten sich gegen die Behauptungen, dass es sich bei dem Mail um eine "gut orchestrierte Offensive gegen die Bundeswehr" handelt. Und dass hinter dieser Aktion Russland stecke. Weder für die erste noch für die zweite Behauptung gibt es Belege.

Dass eine einzige Mail, die anonym verschickt wurde, schon den Tatbestand einer "konzertierten Desinformationskampagne" erfüllt, ist gelinde gesagt eine sehr wagemutige Behauptung. Auch die Schuldfrage ist keineswegs geklärt. Die Ermittlungen in Litauen dauern an. Doch die Stoßrichtung des Artikels lässt bei den Urhebern des Mails keine Zweifel aufkommen:
In dem aktuellen Fall habe Moskau gezielt versucht, den Einsatz der NATO zu kriminalisieren und die Unterstützung der Litauer für die Verlegung der Truppen zu untergraben, vermutet man bei der Allianz,
schreibt Gebauer mit Verweis auf den anonymen NATO-Diplomaten. Auch die Antworten der Bundesregierung zu der Kleinen Anfrage der Abgeordneten von Die Linke ergeben keine neuen Indizien oder Beweise für diese Behauptung. Im Gegenteil. In der zweiten Frage der Abgeordneten kann man lesen:
Inwiefern kann die Bundesregierung die Darstellung bei Spiegel Online bestätigen oder auch nicht bestätigen, wonach es sich um eine "konzertierte Desinformationskampagne" gehandelt haben könnte?
Antwort der Bundesregierung:
Nach Einschätzung der Bundesregierung liegt eine professionell konzertierte Aktion mit dem Ziel der Verunglimpfung deutscher Soldaten und der NATO-Präsenz in Litauen nahe.

Das klingt ein wenig nach Radio Eriwan, soll aber vermutlich nichts Anderes bedeuten als: Wir wissen es nicht, glauben es aber trotzdem. Auch eine zweite Frage der Abgeordneten lässt weitere Zweifel an dem Artikel in Spiegel-Online aufkommen:
Inwiefern kann das Bundesministerium für Verteidigung die Darstellung von Spiegel Online bestätigen, wonach seine Berichterstattung auf "diversen Hinweisen seiner Quellen" auch bei der Bundeswehr gründet?",
fragen Hunko und seine Kollegen. Antwort der Bundesregierung:
Das Bundesministerium der Verteidigung kann die Darstellung nicht bestätigen.
Man stelle sich einfach mal vor, dass RT Deutsch oder ein anderes russisches Medium mit dieser erfundenen Geschichte aus Litauen so umgegangen wären, wie es Spiegel Online getan hat.
Vermutlich hätte man das Geschrei der deutschen Medien noch bis nach Litauen gehört. Es bleibt bei dem Artikel von Gebauer der Eindruck, dass der Wunsch der Vater des Gedankens war. Es klang vermutlich zu verlockend. Litauen, Bundeswehr, Russland, Cyberkrieg, Vergewaltigung. Genau die Mischung, derer es bedarf, um daraus eine heiße Story zu stricken. Nur leider verhält es sich mit dieser Story wie mit einem schlechten Soufflé: Wenn die Zutaten nicht stimmen, fällt es in sich zusammen.

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