Syrien: Warum die Deeskalationszonen keine Schutzzonen nach westlichen Vorstellungen sind

Syrien: Warum die Deeskalationszonen keine Schutzzonen nach westlichen Vorstellungen sind
Um den Krieg in Syrien zu beenden, haben sich Russland, Iran und die Türkei bei der letzten Astana-Konferenz auf die Einrichtung von Deeskalationsgebieten geeinigt. Auch die USA scheinen das Konzept mitzutragen. Ein Risikofaktor bleiben aber die Terrormilizen. 
 
von Karin Leukefeld

Russland, der Iran, die Türkei und Syrien haben offenbar den Plan, in Syrien Deeskalationsgebiete einzurichten, schon länger diskutiert. Der russische Präsident Wladimir Putin hat ihn im Vorfeld des jüngsten Astana-Treffens bei Gesprächen mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan öffentlich gemacht. Dabei geht es um eine sukzessive Entflechtung so genannter moderater Kampfgruppen von allseits als solchen eingestuften Terroristen und um die Stärkung des landesweiten Waffenstillstandes.

Von einem Selbstmordattentäter zerstörter Bus in von

Es geht dabei nicht um so genannte Schutzzonen, wie sie unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit Putin am 3. Mai in Sotschi vorgeschlagen hatte. Diese Schutzzonen sollen ja perspektivisch von Oppositionellen, insbesondere der Syrischen Nationalen Koalition der oppositionellen und revolutionären Kräfte (Etilaf) verwaltet werden, in die nicht zuletzt Berlin über  die Jahre hinweg großzügig investiert hatte.

Dieses Ansinnen hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow allerdings bereits im Vorfeld zurückgewiesen. In Absprache mit der syrischen Regierung und dem UN-Hilfswerk für Flüchtlinge (UNHCR) sei es möglich, Gebiete in Syrien für Inlandsvertriebene zu markieren, hatte Lawrow bereits Ende Januar 2017 erklärt. Bisher seien so genannte Schutzzonen jedoch vorgeschlagen worden, um bewaffnete Gruppen zu stärken und – wie in Libyen – die Regierung zu stürzen. Das werde es in Syrien nicht geben.

In einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump erhielt Putin dann Zustimmung für die Idee der Deeskalationsgebiete. Erstmals schickte Washington mit Stuart Jones, dem ehemaligen US-Botschafter im Irak und Jordanien, einen hochrangigen Diplomaten nach Astana. Auch der UN-Sondervermittler Staffan De Mistura reiste nach Astana und begrüßte das Abkommen.

Das russische Außenministerium veröffentlichte eine englische Fassung des Memorandums auf seiner Webseite, so dass Spekulationen über das, was unter den geplanten Deeskalationsgebieten in Syrien zu verstehen sei, der Nährboden entzogen wurde.

Grundlage der Vereinbarung ist die UN-Sicherheitsratsresolution 2254 aus dem Jahr 2015. Zudem erkennen die Vertragsparteien Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität der Syrischen Arabischen Republik an. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zudem, militärische Spannungen zu reduzieren und Sicherheit für die Zivilisten Syriens zu schaffen.


Es handele sich um eine vorübergehende Maßnahme für die Dauer von zunächst sechs Monaten. Sollten sich die Garantiemächte - Russland, die Türkei und Iran - darüber aber einig sein, wird die Maßnahme automatisch verlängert. Die genaue Lage der vorgesehenen vier Deeskalationsgebiete in den Provinzen Idlib, Homs, Latakia, östlich von Damaskus (Ghouta) und im Süden des Landes, sowie in den Provinzen Deraa und Qunaitra soll bis 4. Juni markiert werden. Zwischen den Deeskalationsgebieten und den von der syrischen Regierung kontrollierten Teilen des Landes werden militärisch von den Garantiemächten Russland, Iran und Türkei kontrollierte Sicherheitszonen und Kontrollpunkte installiert.

Unbewaffnete Zivilisten sollen diese Kontrollpunkte ebenso passieren können wie Hilfs- und Handelsgüter. Parallel zur Beendigung der militärischen Gewalt soll der wirtschaftliche Handel in dem von Krieg und EU-Wirtschaftssanktionen schwer getroffenen Land wieder in Gang gebracht werden. Flüchtlinge und Inlandsvertriebene, die dies möchten, sollen in die Deeskalationsgebiete zurückkehren können. Dort sollen auch alle militärischen Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Regierung sowie Armee und den bewaffneten Gruppen eingestellt werden.

Die Regelung gilt demnach für die Gruppen, die bereits ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet haben oder ein solches noch unterzeichnen werden. Weder zu Boden noch in der Luft dürfen der Vereinbarung zufolge Waffen eingesetzt werden. Medizinische und humanitäre Hilfe sollen für die lokale Bevölkerung beschleunigt, Strom- und Wasserversorgung sowie andere grundlegende Infrastruktur repariert werden.

Ausgeschlossen von den Deeskalations- und Sicherungsmaßnahmen sind DAESH/IS, die Nusra-Front und alle Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen, die vom UN-Sicherheitsrat als Verbündete von Al-Kaida oder DAESH/IS gelistet wurden. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Deeskalationsgebiete werde der Kampf gegen diese Gruppen fortgesetzt. Falls erforderlich, könnten zur Sicherung der Deeskalationsgebiete auch nicht spezifizierte "dritte Parteien" herangezogen werden, heißt es in dem Memorandum. Die Idee, UN-Blauhelme oder andere fremde Armeen in Syrien zu stationieren, hat der syrische Außenminister Walid Mou'allem allerdings am 8. Mai zurückgewiesen.


Russland legte das Memorandum nun dem UN-Sicherheitsrat vor, um von höchster Ebene Unterstützung für den Plan zu bekommen. Und der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan De Mistura, lud für den 16. Mai zu einer neuen Runde der innersyrischen Gespräche nach Genf ein.

Störmanöver aus Washington oder Jerusalem könnten diesmal unterbleiben
Im Januar 2017 hatte US-Präsident Donald Trump sehr allgemein über "Sicherheitszonen" für Inlandsvertriebene in Syrien gesprochen. Diese Äußerungen baute Russland zu "Deeskalationsgebieten" aus, benannte Kriterien, suchte und fand in der syrischen Regierung, im Iran und in der Türkei Partner für das Projekt, das offenbar auch im Weißen Haus Gefallen fand. Von Störfeuern wie wiederholten israelischen Luftangriffen gegen mutmaßliche Hisbollah-Aktivitäten in Syrien, dem Vorwurf, die syrische Armee beim Einsatz von Giftgas (Chan Scheichun) zu unterstützen und den daraufhin folgenden US-Angriffen mit 59 Marschflugkörpern auf die syrische Armeebasis Schairat ließ Russland sich nicht ablenken.

Als Antwort auf die mutmaßlich völkerrechtswidrigen Angriffe setzte Moskau die Zusammenarbeit mit der US-Luftwaffe im syrischen Luftraum aus, was dazu führte, dass belgische Kampfjets ihre Flüge im Rahmen der von den USA geführten Anti-IS-Allianz beendeten. Mit dem in Astana vereinbarten Memorandum über Deeskalationsgebiete in Syrien und der (inoffiziellen) Zustimmung durch die USA wurde die "Konfliktvermeidungsvereinbarung" in einem Telefonat zwischen den russischen und US-amerikanischen Oberbefehlshabern, General Joseph Dunford und General Waleri Gerasimow wieder in Kraft gesetzt.

Das US-Außenministerium rief die bewaffneten Gruppen dazu auf, sich an das Astana-Abkommen zu halten und sich von den terroristischen Gruppen - "Islamischer Staat im Irak und in der Levante" und der Nusra-Front unter den aktuellen Namen Jabhat Fatah al-Sham und Hay'at Tahrir al-Sham - zu distanzieren. Wer das nicht tue, das machte wiederum der russische General Sergej Rudskoj klar, werde in den Deeskalationsgebieten und außerhalb bekämpft.

Der Sonderbeauftragte der UN, Staffan de Mistura, kommt bei den innensyrischen Friedensgesprächen in Genf an, 25. März 2017.

Terrorbanden greifen vereinzelt noch Aleppo an
In Syrien beobachtet manch einer die Entwicklung mit Skepsis. Syrien solle zerteilt werden wie der Balkan, sagt ein Gesprächspartner der Autorin in Damaskus und verweist auf einen "Friedensplan für Syrien" der Rand Corporation aus dem Jahr 2015. Darin werden einige der jetzt vorgeschlagenen Deeskalationsgebiete – Idlib und Deraa - zu Gunsten der so genannten "moderaten Opposition" abgespalten. Die Städte Aleppo und Hama sollten demnach geteilt werden.

Andere sehen den landesweiten Waffenstillstand und das spürbare Abflauen der militärischen Auseinandersetzungen mit Erleichterung. In Aleppo sei das deutlich zu spüren, so der Arzt Emile Katti im Gespräch mit der Autorin. Der Abzug der Kämpfer aus dem Osten der Stadt Ende letzten Jahres habe Aleppo und den Menschen wieder Luft zum Atmen verschafft.

Die Wasserversorgung sei wiederhergestellt worden, die Menschen wollten wieder aufbauen. Nur im Westen der Stadt schlügen immer noch Raketen und Granaten von der Nusra-Front und ihren Verbündeten ein, die sich in Idlib und zwischen Aleppo und dem Grenzübergang Bab al-Hawa in Richtung Reyhanli aufhielten. Der Arzt schüttet eine Plastiktüte mit Geschossresten und Metallsplittern auf dem Tisch aus. Dies alles habe er in nur einer Woche aus verschiedenen Zimmern des Al-Rajaa-Krankenhauses eingesammelt, in dem er arbeitet. Viele Fenster seien zertrümmert worden.
Die Türkei muss die Lieferung von Waffen und den Transport von Kämpfern über die Grenze stoppen, dann erst wird es auch in Aleppo wieder sicher sein.
Die mehr als 1.400 lokalen Waffenstillstände, die mehr als 80.000 Männer, die ihre Unterstützung für die bewaffneten Gruppen eingestellt, die Waffen niedergelegt und eine Amnestievereinbarung unterzeichnet haben, drei Millionen Menschen, die auf diese Weise in ihre Heimatorte zurückkehren konnten das alles ist nach Ansicht des syrischen Ministers für nationale Versöhnung, Ali Haidar, ein wichtiges und gutes Zeichen, dass die Syrer ein Ende des Krieges wollen.

Im Gespräch mit der Autorin in Damaskus betonte Haidar, daß die Kämpfe in Syrien längst zu Ende wären, wäre es tatsächlich ein innersyrischer Konflikt.
Aber unglücklicherweise ist es ein Stellvertreterkrieg. Viele ausländische Kämpfer und Waffen kommen ins Land. Und die taktischen Entscheidungen, ob die Kämpfer einem Waffenstillstand zustimmen oder eine neue Front aufmachen, wird jenseits der Grenzen, im Ausland getroffen.
Tatsächlich haben die mit Al-Kaida verbündeten Gruppen, die weiterhin Gebiete in Idlib, Hama und westlich von Aleppo kontrollieren, bereits deutlich gemacht, dass sie das Konzept der Deeskalationsgebiete ablehnen. Jede Kampfgruppe, die das in Astana vereinbarte Abkommen unterzeichne oder sich daran halte, werde angegriffen, erklärte die Formation Hay'at Tahrir al-Sham, eine Allianz verschiedener Gruppen unter der Führung von Ahrar al-Sham. Ein islamischer Scheich, der mit der Gruppe kooperiert, erließ eine entsprechende Fatwa, ein religiöses Gesetz, das den Krieg gegen alle rechtfertigt, die sich der Anordnung gegen den Waffenstillstand widersetzten. Es handele sich um "Verrat an der Revolution", hieß es in einer Erklärung.
Das (Waffenstillstands-)Abkommen von Astana ist ein Verrat an Gott, seinem Propheten und allen Gläubigen. Es verrät das Blut, das vergossen wurde beim Versuch, Al Sham (Syrien) aus den Händen der Ungläubigen zu befreien.
Es sei daher die "Pflicht eines jeden Muslims", einen "heiligen Krieg gegen die Gruppen zu führen, die unseren heiligen Krieg verraten" wollten, so die Erklärung weiter. Die Fatwa gelte für alle diese Gruppen und "für alle, die mit ihnen zusammenarbeiten und die ihnen erlauben, unter ihrer Fahne zu kämpfen".

Als Ungläubige gelten für die Terrormilizen alle Alawiten, der Iran und die libanesische Hisbollah, weil sie schiitische Muslime sind. Schiiten werden von den wahhabitischen und salafistischen Sunniten als Ungläubige angesehen, die getötet werden müssen.

Der Plan für die Deskalation des bewaffneten Konflikts in Syrien wird nicht einfach umzusetzen sein. Vieles deutet aber darauf hin, dass zumindest derzeit die US-Regierung nicht vorhat, den Plan zu behindern. Ob Washington aber auch Druck auf seine Verbündeten in Europa und vor allem auf Saudi-Arabien und Katar auszuüben kann, die Deskalation in Syrien zu unterstützen, bleibt abzuwarten.

Kommentare