Deutschlands Schuld an Syriens Tragödie: Deutsche UNIFIL-Mission als Schutzschild des Dschihad (II)

Deutschlands Schuld an Syriens Tragödie: Deutsche UNIFIL-Mission als Schutzschild des Dschihad (II)
Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton und ihr britischer Kollege William Hague freuen sich über das erste Treffen der "Freunde Syriens", einer westlichen Allianz, die Präsident Assad und die Baath-Partei in Syrien stürzen sollte, Tunis, Februar 2012.
Hunderttausende Tote, Millionen Flüchtlinge: Die blutige Bilanz des Unternehmens Regime Change in Syrien hat in Berlin bis heute nicht zu besserer Einsicht geführt. Kein Wunder, schließlich erblickte die folgenschwere Idee erst dank Berlin das Licht der Welt.
 
von Jürgen Cain Külbel

Doch der Krieg, den Perthes schon antizipiert hatte, sollte noch einige Monate auf sich warten lassen. Zuvor brach im Dezember 2010 in Tunesien der sogenannte Arabische Frühling aus - ein Flächenbrand, der sich über die Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens ausbreitete, sich in Protesten, Aufständen und Rebellionen gegen die verkrusteten autokratischen Systeme der Region äußerte.

Im Januar und Februar 2011 kam es in diesem Zusammenhang auch zu ersten Protesten in Syrien. Anfänglich waren es nur kleinere Demonstrationen, auf die Behörden mit Verhaftungen reagierten.
Proteste im März 2011 in den Städten Qamischli, vor allem in Daraa, endeten jedoch in Gewalt.
Ausschreitungen fanden statt, Unruhestifter zündeten öffentliche Gebäude an, Menschen starben. Im April 2010 verhafteten syrische Sicherheitskräfte drei der Aufrührer, darunter den 29-jährigen Anas al-Kanj. Dieser gehörte nach eigenen Aussagen der in Syrien verbotenen Muslimbruderschaft an. Er packte auch einiges aus gegenüber den Sicherheitskräften.

Der damalige deutsche Außenminister auf der Konferenz der

Über einen Vermittler namens Ahmad al-Uda habe die von ihm geleitete bewaffnete Gruppe Geld und Waffen vom libanesischen Parlamentsabgeordneten Jamal Al-Jarrah erhalten. Al-Jarrah war ein hochrangiges Mitglied der sogenannten Zukunftsbewegung, also jener Truppe, der Fuad Siniora vorstand. Al-Kanj erklärte zudem, er sei aufgefordert worden, "Leute zum Protestieren anzustiften, vor allem außerhalb der Ummayaden-Moschee in Damaskus" und in den syrischen Protesthochburgen Daraa, Latakia und Banias.

Wiam Wahhab, der Chef der libanesischen Tawhid-Partei, winkte kurz darauf im Beiruter Fernsehsender NBN mit Einzahlungsscheinen, die Geldtransfers vom saudischen Prinzen Turki ibn Abd al-Aziz an Jamal al-Jarrah und andere Mitglieder der Zukunftsbewegung bezeugen sollen.

"Wahhab ist ein Lügner!", protestierte der Saudi. Und auch Jamal Al-Jarrah bestritt alles. Allerdings handelt es sich bei ihm um einen Politiker mit höchst schillernden Verbindungen. Er ist der enge Freund von Prinz Bandar, dem saudischen Terror-Paten, sowie der Cousin von Ziad Al-Jarrah, dem Dschihadisten, der vom FBI angeklagt wurde, für die Entführung von Flug 93 verantwortlich zu sein, der am 11. September 2001 in Pennsylvania abgestürzt ist. Zudem ist er Cousin der Brüder Ali und Yousef Al-Jarrah, die im November 2008 von der libanesischen Armee wegen angeblicher Spionage für Israel verhaftet worden waren.

Es würde den Rahmen der Analyse sprengen, auf all die Scheußlichkeiten der multinational arbeitsteilig agierenden Regime-Change-Gang einzugehen, die diese beim Schleifen des Staates Syrien, beim Aufhetzen, Töten, Vertreiben der syrischen Bürger zur Anwendung gebracht haben. Leidlich bekannt ist die Mittäterschaft der Staaten Katar, Saudi-Arabien, der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Großbritanniens oder der Türkei.

Siniora bat Merkel schon 2010 um Fortsetzung der Mission
Weniger bekannt hingegen ist der deutsche Tatbeitrag zur Zerstörung des stolzen Levante-Staates. Warum bat Fuad Siniora, dessen Zukunftspartei von Beginn an Waffen, Geld und Agents Provocateurs nach Syrien schickte, die Bundeskanzlerin schon im Sommer 2010 dringend um Fortsetzung der Teilnahme Deutschlands an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) vor der libanesischen Küste?

Außenministerin Hillary Clinton bei einer Pressekonferenz der

Dort waren damals zwei Schnellboote und ein Versorgungsschiff der Bundeswehr mit insgesamt 230 Soldaten im Einsatz. Zu den Aufgaben der Deutschen gehörte neben Ausbildung und Ausstattung der libanesischen Marine vor allem die Unterbindung von Waffenschmuggel. So zumindest die offizielle Auslegung. Gut, im Sommer 2010 war vom so genannten Arabischen Frühling noch gar keine Rede.
Trotzdem, wir erinnern uns, fabulierte Perthes nach dem Treffen mit Siniora darüber, ob ein neuer Krieg im Mittleren Osten unvermeidlich ist.

Hinlänglich bekannt ist, dass vor allem die Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien, Katar im Schlepptau mit prowestlichen Kräften aus dem Libanon und Syrien samt dazugehöriger Diaspora spätestens seit 2005 aktiv und mit viel Geld und Material eine Politik des Regime Change in Syrien betrieben hatten. Den sowieso geplanten Putsch nun in den wie aus dem Nichts aufgetauchten Arabischen Frühling einzubetten und wie einen Volksaufstand aussehen zu lassen, erscheint mir genial.

Ob mit oder ohne Arabischen Frühling, die Routen für die Waffenlieferungen wären die gleichen gewesen. So wie es auch die Schweizer Journalistin Silvia Cattori im Juni 2012 beobachtet hatte, die bereits damals vom "Waffenschmuggel nach Syrien unter den Augen der Deutschen" schrieb:
Ein beträchtlicher Teil des Waffenschmuggels an die Aufständischen in Syrien vollzieht sich unter den Augen der deutschen Marine. Dies geht aus einer Vielzahl aktueller Berichte hervor. Demnach werden syrische Rebellenmilizen in großem Maßstab auf dem Seeweg mit Kriegsmaterial versorgt; Hauptumschlagplatz ist die libanesische Hafenstadt Tripoli.
Laut renommierten Journalisten haben die Waffenlieferungen an die Rebellen seit dem Waffenstillstand im April Rekordhöhe erreicht. Mit den Waffen kontrollieren die aufständischen Milizen mittlerweile ein umfassendes Gebiet in Syrien, das sie als Rückzugsort nutzen und in dem sie einen 'Parallelstaat' unterhalten.
Weiter heißt es bei Cattori:
Das Seegebiet, in dem die Bundesmarine zur Schmuggelverhinderung operiert und über das daher in Berlin exquisite Kenntnisse vorliegen müssen, gilt als eine der wichtigsten Nachschubrouten der bewaffneten syrischen Rebellen. Der Hafen von Tripoli, heißt es, sei der 'Hauptumschlagplatz' für Waffen, die zu einem erheblichen Teil von Saudi-Arabien, Katar und möglicherweise noch anderen arabischen Golfdiktaturen bezahlt würden. Die Rüstungsgüter gelangten – 'zumeist in Containern versteckt‘ - in den dortigen Hafen, wo sie umgeladen und über Land nach Syrien verbracht würden.
Die nächstgelegene syrische Großstadt ist Homs, eines der ersten Zentren bewaffneter Kämpfe. Ursprünglich sei dies 'der wichtigste Weg des Waffenschmuggels' gewesen, wird berichtet; erst in jüngster Zeit habe 'ein Korridor aus der türkischen Provinz Hatay nach Idlib' im Norden Syriens größere Bedeutung erlangt.
Berlin als ruhiges Hinterland für den Umsturz
Was waren das noch für Zeiten als der deutsche Graf Luckner, der Seeteufel, mit seinem Hilfskreuzer "Seeadler" im 1. Weltkrieg zwischen Dezember 1916 und Dezember 1917 sechzehn feindliche Schiffe aufbrachte, vierzehn davon versenkte, und nur einen Seemann dabei zu Tode brachte? Von solcher Galanterie war die deutsche Marine vor Libanons Küste Lichtjahre entfernt, denn "laut Militärfachleuten sind beispielsweise Waffen aus einem Depot, das Katar bei der ostlibyschen Stadt Bengasi eingerichtet hat, via Tripoli nach Syrien transportiert worden".


Per Schiff natürlich, und an den zugekniffenen Augen der Deutschen vorbei. Das legt jedoch einen ganz anderen Schluss nahe, nämlich dass die Teilnahmslosigkeit möglicherweise gar nicht so unbeabsichtigt war: Die vor der libanesischen Küste stationierte deutsche Marine nutzte ihr UNIFIL-Mandat viel eher geradewegs dazu, die Waffenzufuhr für syrische Aufständische und Terroristen abzusichern.

Zurück zu Herrn Perthes, dem vom Kanzleramt besoldeten Think Thanker, dem Siniora-Freund, Feltman-Kumpan, der auf märkischem Sand großmannssüchtig die Zukunft Syriens entwarf. Jörg Lau schrieb am 26. Juli 2012 auf Zeit Online:
Monatelang haben sich Assad-Gegner geheim in Berlin getroffen - mit Wissen und Willen der Bundesregierung. Zwischen dem Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf und Damaskus liegen 3.700 Kilometer Luftlinie. Doch wenn eines Tages ein neues Syrien aus den Trümmern der Assad-Diktatur entsteht, könnten wesentliche Impulse aus dem alten preußischen Amtsgebäude mit der Hausnummer 3-4 stammen, in dem ein der Bundesregierung naher deutscher Think Tank residiert.
Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat sich seit Januar eine Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen aller Couleur geheim getroffen, um Pläne für die Zeit nach Assad zu schmieden. Das geheime Projekt mit dem Namen 'Day After' wird von der SWP in Partnerschaft mit dem United States Institute of Peace (USIP) organisiert, wie die ZEIT von Beteiligten erfuhr. Das deutsche Außenministerium und das State Department helfen mit Geld, Visa und Logistik. Direkte Regierungsbeteiligung gibt es wohlweislich nicht, damit die Teilnehmer nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können.
Zwar nehmen auch Angehörige der Freien Syrischen Armee teil, die in Syrien die Kämpfe der Rebellen anführt, doch der Weg hin zum Sturz Assads und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer Interventionen wird in Berlin bewusst ausgeklammert.
Lau ist überzeugt, dass "die Bundesregierung schon viel länger mit dem Sturz des syrischen Regimes kalkuliert … und sehr viel stärker in die Vorbereitungen der syrischen Opposition einbezogen ist, als man bisher öffentlich erklärte".

Der Perthes-Feltman-Plan und seine Choreografie
Perthes, der Direktor der SWP, äußerte sich damals gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit, die beteiligten Regime-Gegner hätten sich selbst rekrutiert, denn "es ist nicht unsere Aufgabe, hier eine neue syrische Regierung auszuwählen". Ziel des Projekts sei vielmehr, Prioritäten beim "Umbau der Assad-Diktatur in eine Demokratie" zu identifizieren.

"Vielleicht wichtiger noch", fügte er hinzu: "Wir haben der Opposition die Chance gegeben, unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurs-Community zu schaffen." Im August 2012 sollte ein Dokument veröffentlicht werden, das einen Konsens der Opposition darüber darstellt, wie eine neue Verfassung aussehen müsse, wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate reformiert werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben können und die Wirtschaft umgebaut werden müsse.

Jeffrey Sachs und UN-Generalsekretär Kofi Annan (rechts) im UN-Hauptquartier in New York, Januar 2005.

Ganz so selbstlos war das alles nicht. Denn schon im Januar 2012 fragte Jeffrey Feltman, wir erinnern uns: der Siniora-Protegé und Regime Changer im Libanon, den deutschen Perthes, ob er die Leitung von "Day After" übernehmen könnte. Das von Feltman, der im US-Außenministerium mittlerweile für den Nahen Osten zuständig war, angedachte Projekt sollte die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung eines neuen Syrien präjudizieren. Der investigative Journalist Thierry Meyssan fasste die Ziele des perfiden "Perthes-Feltman-Plans", dem die deutsche Bundesregierung offenbar nicht entgegenwirkte, so zusammen:
  • die Souveränität des syrischen Volkes wird abgeschafft
  • die Verfassung wird aufgehoben
  • der Präsident wird abgesetzt
  • die Volksversammlung wird aufgelöst
  • mindestens 120 Führungspersönlichkeiten werden als schuldig befunden und von jeglicher politischen Funktion ausgeschlossen, anschließend vor Gericht gestellt und durch ein internationales Gericht verurteilt
  • die Direktionen des militärischen Nachrichtendienstes, der politischen Sicherheit und der allgemeinen Sicherheit werden abgesetzt oder aufgelöst
  • "politische" Gefangene werden freigelassen und die Anti-Terror-Gerichte aufgehoben
  • die Hisbollah und die Wächter der Revolution (Iran) müssen sich zurückziehen.
Wie wir alle wissen, kam es nicht so. Die Reißbrettrevolution hatte keinerlei Rückhalt im Volk, am Ende bevorzugten selbst die meisten Assad-Kritiker seine Regierung einer möglichen Machtübernahme der blutrünstigen Islamisten. Es starben stattdessen hunderttausende Menschen.
Es wäre eine schöne, ist jedoch eine unrealistische Vorstellung, die Handschellen in den Häusern Mehlis, Perthes, Feltman und Konsorten klicken zu hören. Leider wird das nie passieren. Die Schreibtischtäter werden weiterhin Bücher und Artikel schreiben, auf politischer Bühne, in den Medien und anderswo gewichtige Sprüche absondern; und vor allem eins: ruhig schlafen. Denn es macht ihnen nichts aus, dass sie ihr Lebenswerk in Menschenblut tränken.

Mehr lesen: Deutschlands Beitrag zu Syriens Tragödie: Regime-Change-Fantasien verdichteten sich schon 2005 (I)

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