Nordkorea: Deutsche Medien erheben schwere Vorwürfe gegen Moskau - und kompromittieren sich selbst

Nordkorea: Deutsche Medien erheben schwere Vorwürfe gegen Moskau - und kompromittieren sich selbst
Im Juli führte Nordkorea erstmals einen erfolgreichen Test mit einer ballistischen Interkontinentalrakete durch.
Während sich der Streit zwischen Nordkorea und den USA zuspitzt, machen hiesige Medien Russland für die Fortschritte des nordkoreanischen Raketenprogramms verantwortlich. Die haltlosen Vorwürfe liefern ein erneutes Beispiel anti-russischer Stimmungsmache ab.
 
Der sich zuspitzende Konflikt um Nordkoreas Raketenprogramm zeugt einmal mehr von der Bereitschaft hiesiger Medien, Moskau für alles Böse auf der Welt verantwortlich zu machen. Ein Paradebeispiel dafür lieferte die am Mittwochabend ausgestrahlte Nachrichtensendung RTL Aktuell mit einem Beitrag zu Nordkorea ab. „Bei all dem Säbelrasseln fragt sich die Welt, wie Nordkorea in der Lage war, sein Raketenprogramm so schnell voranzutreiben.“ Die Antwort auf die Frage lieferte die Sendung gleich hinterher. Oder besser gesagt, der von ihr zitierte Raketenexperte Robert Schmucker von der TU München:
Diese Raketen hat Nordkorea von woanders bekommen. Es sind russische Raketen. Punkt."
Dem Zuschauer wird somit unmissverständlich eingebläut, Russland trage die Verantwortung für die Aufrüstung Nordkoreas und damit für die jüngsten Spannungen. RTL reiht sich mit seiner Berichterstattung in den deutschsprachigen Medien-Mainstream ein, für den alle Wege nach Moskau führen.

Ein Bildschirm in Tokio zeigt den Start einer nordkoreanischen Rakete, Japan 10. August 2017.

Unter der Überschrift „Nordkoreas fleißiger Helfer“ erhebt auch die FAZ den schwerwiegenden Verdacht gegenüber Russland. Die Zeitung schreibt: „Pjöngjang testet einfach mal eine Interkontinentalrakete – obwohl es strenge Sanktionen gegen das Land gibt. Wie kann das sein? Kenner sagen: Ein mächtiges Land hat die Pionierarbeit geleistet.“ Gemeint ist natürlich Russland.

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Auch der schweizerische Blick hat Moskau im Visier, wenn er von „Kims heimlichen Helfern“ spricht. Das Blatt zitiert Schmucker: „Alle wesentlichen Teile der Hwasong-14 stammen aus Russland.“ Auch der rbb beruft sich auf den Ingenieur, um die Behauptung in den Raum zu stellen, Nordkorea erhalte seine jüngst eingesetzte Raketentechnologie aus Russland.

Experte: Russische Triebwerke, aber „nicht unbedingt“ der Kreml
Da sich die Aussagen Schmuckers hervorragend eignen, um sie in Form komprimierter Schlagzeilen gegen Russland zu verwenden, ist er gegenwärtig ein vielzitierter Experte. Auf die Frage, woran man das festmachen könne, dass es sich um russische Raketen handele, antwortete er vor Tagen gegenüber der Deutschen Welle:
Wir sehen die Bilder von den Paraden. Wir sehen die Bilder vom Flug. Man braucht nur zu vergleichen. Die überwiegende Mehrzahl sind alte russische Raketen, die eine bestimmte Technologie haben. Die neuen Raketen, die sie in den letzten zwölf bis 14 Monaten geschossen haben, haben eine völlig andere Technologie, die mit der früheren nichts zu tun hat. Aber wir sehen Triebwerke, die klar russische Triebwerke sind. Die Verbindung zu Russland ist nicht nur über die früheren russischen Raketen, sondern auch über die jetzigen da, zumindest bei den Triebwerken."
Es müsse aber „nicht unbedingt die russische Regierung“ dahinterstecken. Schmucker führt aus:
Es kommt jedenfalls aus Russland beziehungsweise aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Da gibt es auch kriminelle Elemente, die Geld verdienen wollen. Ich sage bewusst: nicht Regierungen. Ich sage, das sind Institutionen, Personen und Gruppen. Ob es Firmen sind, weiß ich nicht. Aber es sind Leute, die das beschaffen, rübergehen, helfen und auch mitsteuern, also dafür sorgen, dass das gut funktioniert. Das sind natürlich Technologien aus den 1960er und 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts."
Betankung eines B1-B Bombers über dem Indischen Ozean, 23. Oktober 2001.

Um welche Technologie es sich dabei genau handeln soll, erklärte Schmucker gegenüber der FAZ: „Ganz klar, das Triebwerk der Hwasong-14 stammt aus der Baureihe RD-250 und wurde in den sechziger Jahren für die russischen Langstreckenraketen entwickelt.“

Ein weiterer Experte zeigt mit dem Finger auf Russland
Die Ansicht teilt auch der Raketenexperte Markus Schiller. In einem Interview mit der Wirtschaftswoche – Schlagzeile: „Plötzlich taucht wieder russische Technik auf“ – sagte er, die Triebwerke der nordkoreanischen Raketen „stammen von der RD250-Familie ab, deren Vorläufer schon in den 1960er Jahren als Basis für R16-Raketen dienten. Das ist sehr interessant, denn bislang trugen fast alle russischen Bauteile in Nordkorea die Handschrift des russischen Makejew-Büros. Das ist diesmal aber nicht der Fall.“

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Entweder hätten die Nordkoreaner noch Bauteile in ihren Lagern, die sie bislang nie genutzt haben, oder es gebe neue Lieferungen nach Nordkorea – „auf welchen Wegen auch immer“, so Schiller.
Das gesamte Raketenprogramm der Nordkoreaner konnte laut ihm nur mit russischer Hilfe entstehen:
Das fing schon während der 1980er Jahre mit sowjetischer Hilfe an und ging in den 1990ern weiter als russische Wissenschaftler nach Nordkorea gingen. Um die Jahrtausendwende aber geriet der Austausch ins Stocken. Zumindest haben wir zuletzt kaum noch russische Technik in nordkoreanischen Raketen entdeckt. Jetzt taucht aber plötzlich wieder welche auf. Und zwar gehäuft.
Der Raketenexperte übt sich anschließend in Spekulationen darüber, wie die russische Technik dorthin gelangt sein könnte, schließlich könne man die „jedenfalls nicht einfach so auf dem Markt kaufen, gerade weil es Sanktionen gegenüber Nordkorea gibt“. Solche Geschäfte funktionierten nur, „wenn der Verkäufer gute Verbindungen zur Regierung hat, oder wenn die richtigen Leute aktiv wegschauen“. Er würde „der russischen Regierung aber nie unterstellen, dass sie solche Deals von oberster Stelle genehmigt“, erklärt Schiller, um später anzumerken:
Aber wenn man sich die Außenpolitik Putins anschaut, sieht man ja, dass er gerne Trubel und Unruhe verursacht."
Welches Interesse Russlands Präsident haben könnte, einen unberechenbar erscheinenden Nachbarn mit der mächtigsten Waffe auszurüsten, sei dahingestellt. Schiller hält es aber für „genauso gut möglich, dass sehr gut organisierte Kriminelle solche Triebwerke nach Nordkorea schmuggeln, womöglich über Drittländer. Russland und Nordkorea besitzen immerhin eine gemeinsame Grenze.“

Donald Trump neben seinem Vizepräsident Mike Pence in Bedminster, New Jersey, USA, 10. August 2017.

Fährte führt in die Ukraine
Immerhin gibt Schiller in seinem Interview nebenbei einen entscheidenden Hinweis, was die Frage der Herkunft der Raketentechnologie betrifft: „Das Gesamtkonzept der neuen Raketen deutet sehr auf Russland oder die Ukraine hin.“ Leider erfährt der Leser nicht, warum er an dieser Stelle die Ukraine anspricht. Die Erwähnung des krisengeplagten Landes hat einen einfachen Grund: Bei den genannten Triebwerkmodellen handelt es sich nicht um russische, sondern um sowjetische Technologie – sie ist somit jahrzehntealt. Eine in diesem Zusammenhang nicht unwichtige Unterscheidung. Denn die Triebwerke und die dazugehörigen Raketen wurden im ukrainischen Dnipropetrowsk produziert.

Wenn überhaupt müsste der Verdacht gegenüber Kiew und nicht Moskau erhoben werden. Nicht nur, weil sich die Technologie in der Ukraine befindet. Das von einer kleptokratischen Elite beherrschte Land mit seiner zerfallenden staatlichen Ordnung ist zudem ein Eldorado für die angesprochenen „kriminellen Elemente“. Noch dazu ist die Ukraine berüchtigt für windige Rüstungsgeschäfte.

Gezielte Meinungsmache
Wenn Medien – und die von ihnen zitierten Experten – von russischer statt sowjetischer Technologie sprechen und dabei die Verbindung zur Ukraine unterschlagen, während sie gleichzeitig suggerieren, die jüngst erzielten Fortschritte beim nordkoreanischen Raketenprogramm seien unter russischer Mithilfe zustande gekommen, dann muss man von einer gezielten Meinungsmache sprechen.

Begibt man sich auf dieses Niveau, könnte man auch davon sprechen, dass Nordkoreas Raketenprogramm auf westlicher Technologie beruht. Denn schon vor Jahren wurden in Großbritannien produzierte Komponenten in nordkoreanischen Raketen entdeckt. Auch die vergangenes Jahr von Südkorea aus dem Meer geborgenen Überreste einer Satelliten-Trägerrakete förderten Erstaunliches zutage: Sie enthielten Bauteile aus uralten Handys, Videorekordern und der von Mattel in den 1960er Jahren produzierten „Chatty Kathy“-Sprechpuppe. Es ist nicht bekannt, dass Russland oder zuvor die Sowjetunion bei der Entwicklung ihrer Raketen auf derartige Komponenten zurückgegriffen haben.

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