Zweiter Weltkrieg: Wie die Japaner in Singapur Rattenflöhe mit Beulenpest züchteten

Zweiter Weltkrieg: Wie die Japaner in Singapur Rattenflöhe mit Beulenpest züchteten
(Symbolbild). Viele Tiere dienen in Form von Wirten oder Zwischenwirten als Überträger von Krankheiten. Bekannte Überträgertiere sind etwa Ratten, Milben oder Tierläuse für die Pest.
Die japanische Spezialeinheit 731 ist berühmt und berüchtigt. Die mit den besten Medizinern Japans ausgestattete Einheit für biologische und chemische Kriegsführung operierte während des Zweiten Weltkriegs in der besetzten Mandschurei. Neue Funde belegen nun auch Aktivitäten in Singapur.
 
Wie die singapurische Zeitung "The Straits Times" berichtet, wurden auch in Singapur Rattenflöhe mit der Beulenpest gezüchtet, die während des Zweiten Weltkriegs tausende Menschen in China töteten. Zu dieser Einschätzung kommt der singapurische Geschichtsforscher Lim Shaobin. Bisher ging man davon aus, das die berüchtigte japanische Spezialeinheit 731, die für biologische und chemische Kriegsführung zuständig war, von China aus operierte. Doch es gab auch eine Niederlassung unter dem Namen OKA 9420.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde im Gebäude des College of Medicine in Singapur ein Zweig der japanischen Einheit untergebracht. Über die Singapur-Niederlassung OKA 9420 war bisher wenig bekannt, bis sich der Geschichtsforscher Lim Shaobin alter japanischer Kriegsakten und Texte annahm. Lim, der fließend Japanisch liest und spricht, erfuhr aus japanischen Dokumenten des Zweiten Weltkriegs, dass Singapur als Basis diente, damit Ratten und Flöhe auf dem Landweg zu zwei Orten in Malaya transportiert werden konnten.

Dabei handelte es sich um das Tampoi Mental Hospital, das inmitten eines Waldgebietes in Johor von den Briten gebaut wurde, und einer weiterführenden Schule in Kuala Pisa bei Kuala Lumpur. Die Ratten und Flöhe wurden offenbar auch per Flugzeug in eine Einrichtung in Bandung, Indonesien, geschickt. Malaya wurde außerhalb Japans und Chinas zur größten „Brutstätte“ der Einheit 731. Die Forscher kamen dort zu dem Ergebnis, dass Rattenflöhe bei Temperaturen zwischen 27° C und 30° C und bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit am besten gedeihen.

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Zudem stellten die Forscher auch fest, dass 10.000 Mäuse zehn Kilogramm Flöhe produzieren können. Lim, der von der Singapore Society of Asian Studies eingeladen wurde, um in der National Library Building am 4. November über das Thema zu sprechen, stieß auf diese Informationen durch einen Forschungsbericht aus dem Jahr 2009 in Japan. Aufzeichnungen zeigen, dass die Beulenpest im Juni 1940 in der chinesischen Provinz Jilin 3.031 Menschen und im selben Jahr am 4. Oktober 9.060 Menschen in der Provinz Zhejiang Qu County getötet hat.

Die Flöhe waren von japanischen Militärflugzeugen aus der Luft abgeworfen worden. Singapur war eine von vier Niederlassungen der Einheit 731 und die einzige außerhalb Chinas. Für die Spezialeinheit arbeiteten seinerzeit die besten Mediziner Japans. Lim fand das Organigramm der Operation aus einem japanischen Buch, das im Mai dieses Jahres veröffentlicht wurde.
Diese Geschichte muss erzählt werden, weil Singapur und dessen Infrastruktur als Basis für die Verbreitung der Zerstörung in der Region genutzt wurde. Als Kriegsopfer müssen wir uns überlegen, wie wir uns vor Angriffen schützen können",
so Lim gegenüber der singapurischen Zeitung „The Straits Times“. Und der Wissenschaftler ergänzte:
Die Japaner planten eine solch massive Operation und hatten eine enorme Geheimhaltung. Wir wissen immer noch nicht genau, was passiert ist. Ich glaube, es ist unsere Pflicht, das Thema zu verstehen, zu diskutieren und die Forschung auf diesem Gebiet auszubauen."
Lim wies auch darauf hin, dass eine Plakette am College of Medicine, dem heutigen Gesundheitsministerium, diesen Aspekt seiner Geschichte nicht erwähnt. Die mündliche Zeugenaussage des späten Pioniergenerationschefs Othman Wok gibt ebenfalls Aufschluss über die verdeckte Operation. Othman, der seinerzeit am College of Medicine als Laborassistent tätig war, benutzte Fallen, um jeden Tag Ratten aus ganz Singapur zu fangen. Er sagte aus, dass die Ratten nach Flöhen untersucht wurden, die gezüchtet wurden, um sich mit dem Blut und den Organen von Ratten zu ernähren, die an der Beulenpest gestorben waren.

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Laut seiner Aussage wurden alle drei bis vier Monate Millionen dieser Flöhe in großen Glasgefäßen mit dem Zug nach Thailand gebracht. Zur Ergänzung der einheimischen Rattenpopulation transportierten die Mitarbeiter von OKA 9420 auch Nagetiere von Tokio nach Singapur. Unklar ist, wie viele Reisen aus Japan unternommen wurden. Vor der Kapitulation der Japaner wurden alle Aufzeichnungen über deren Operationen in Singapur und der Region verbrannt.

Nach dem Krieg verhandelte der Chef des OKA 9420, Naito Ryoichi, der fließend Englisch sprach, mit der US-amerikanischen Armee über ihre Freilassung. Er bot dazu den US-Amerikanern die restlichen medizinischen Berichte, Experimentdaten und Thesen der Einheit 731 an. Es war zu dem Zeitpunkt bekannt, dass die japanische Spezialeinheit "spektakuläre Experimente" durchgeführte. So wurden zum Beispiel medizinische Versuche an Menschen in China im Rahmen eines Projekts namens „Maruta“ („Holzklotz“) vorgenommen.

Die Testpersonen wurden dabei aus der chinesischen Bevölkerung der näheren Umgebung ausgewählt. Unter anderem wurde die Wirkung von Granaten an Menschen aus unterschiedlichen Entfernungen und Positionen getestet. Unterkühlungsexperimente sowie Experimente mit hohen Druckunterschieden wurden an Menschen unternommen. Zudem wurde die Entwicklung einer biologischen Waffe in der Form einer mit Bakterienpulver gefüllten Bombe, ähnlich dem Kampfstoff mit Milzbrandbakterien, getestet. Eine weitere getestete Bombe enthielt Flöhe mit speziellen Bakterien.

Der Wissenschaftler Lim glaubt, dass auch die Einheit OKA 9420 in Singapur an Menschen experimentiert hat. Um seine Forschungen weiter zu vertiefen, studiert er weitere medizinische Unterlagen, die während der japanischen Besatzungszeit von Naitos rechter Hand in Singapur, Iichiro Otaguro, geschrieben wurden. Lim erhielt die Unterlagen erst vor zwei Monaten, nachdem er zunächst online recherchiert hatte.

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