Interview: Russland hat "langjährige Erfahrung" mit USA und war auf Kehrtwende in Syrien vorbereitet

Interview: Russland hat "langjährige Erfahrung" mit USA und war auf Kehrtwende in Syrien vorbereitet
Der russische Präsident Wladimir Putin hält eine Rede, während er auf der russischen Luftwaffenbasis in Hmeimim in der nordwestsyrischen Provinz Latakia am 11. Dezember 2017 eine Parade besucht.

Russland hat damit gerechnet, dass die USA ihre Armee nicht aus Syrien abziehen werden, erklärt der russische Geopolitik-Experte Dimitry Egortschenkow im Interview mit RT Deutsch. Während die Türkei ihr eigenes Spiel spielt, setzen die USA verstärkt auf die "Kurden-Karte". 
 
von Ali Özkök

RT Deutsch hat mit Dimitry Egortschenkow gesprochen. Er ist Direktor des Moskauer "Instituts für strategische Forschung und Prognosen" an der Russischen Universität der Völkerfreundschaft. 

Nach anfänglicher Rückzugserklärung haben die USA dann doch bekannt gegeben, dass sie 400 Soldaten in Syrien lassen werden. Inwiefern war der Rückzieher vom Abzug für Sie zu erwarten?

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin nehmen am 19. November 2018 in Istanbul an einer Zeremonie anlässlich der Fertigstellung des Seeabschnitts der TurkStream-Gaspipeline teil.

Die Entscheidung Donald Trumps, US-amerikanische Streitkräfte aus Syrien abzuziehen, kam für viele unerwartet – sogar innerhalb der Vereinigten Staaten selbst. Aus der Makroperspektive betrachtet ist das ganze Hin und Her ein Beispiel dafür, wie die Trump-Regierung vor dem Hintergrund der permanenten Verschlechterung der US-türkischen Beziehungen mit der türkischen Regierung eine Art zwanghaften Flirt führt. Wie die Geschichte der postbipolaren Zeit in den internationalen Beziehungen zeigt, kann Washington seine Streitkräfte zwar schnell in Drittländer entsenden – aber ihren Rückzug von dort umzusetzen, selbst wenn er bereits angekündigt wurde, dauert dagegen ziemlich lange. Ein markantes Beispiel dafür ist Afghanistan.

Bereits der frühere US-Präsident Barack Obama hatte den Abzug der US-Truppen von dort versprochen. Möglich war das nicht. Auch Donald Trump träumt davon, aber das US-Militärkontingent befindet sich immer noch in dem zentralasiatischen Land. Das gleiche gilt für Syrien.

Wie könnte sich die US-Präsenz in Syrien in Zukunft gestalten?
Aus Gründen der kurzfristigen politischen Konjunktur wurde ein Versprechen gegeben, das jedoch niemand erfüllen wird – zumindest in keiner ernst zu nehmenden Form. Wir hören Vorschläge über die Stärkung der Präsenz europäischer Armeekontingente, kleine aber effektive US-Spezialeinheiten und private Militärunternehmen, die sich alle um ihren syrischen Verbündeten, die Kurden-Miliz YPG und ihre Schirmorganisation SDF, scharen.

Wie nimmt Russland die US-amerikanische Kehrtwende auf, doch in Syrien militärisch präsent zu bleiben?
Bezüglich Syrien war Moskau, das sich auf seine langjährige Erfahrung im Umgang mit Washington stützen kann, bereit für eine solche Entwicklung.

Die Konzentration von US-Truppen im Nordosten Syriens ist kein Zufall. Dies ist auf Washingtons Versuch zurückzuführen, die "kurdische Karte" zu spielen.

Mit dem Verbleib der US-Armee in Syrien wird die kurdische YPG-Miliz wohl auf unbestimmte Zeit von den USA beschützt werden und sich damit nicht auf einen Dialog mit Assad einlassen. Wird Russland seine versöhnliche Politik gegenüber der YPG überdenken?
Der Prozess der friedlichen Lösung in Syrien ist nun eng mit der Zusammenarbeit im Format Russland-Syrien-Türkei verknüpft. Diese Achse steht zudem im Rahmen der Astana-Plattform.

Traditionell stehen die Kurden in schwierigen Beziehungen mit der politischen Führung Syriens. Mehr noch: Sie befinden sich seit Jahrzehnten in einem permanenten, nicht erklärten Krieg mit der Türkei. Deshalb ist die kurdische YPG-Miliz nach wie vor argwöhnisch gegenüber Friedensinitiativen und versucht, eine für sie selbst akzeptablere Variante einer friedlichen Lösung zu finden – selbst unter der Bedingung, die trügerische "US-amerikanische Karte" spielen zu müssen.

In dieser Situation ist es für Moskau angesichts der mangelnden Bereitschaft der kurdischen YPG-Miliz, an Damaskus wie auch an Ankara Zugeständnisse zu machen, notwendig, für sich selbst ein klares Verhaltensmodell zu definieren – und zwar unter Berücksichtigung seiner wichtigsten Partner in dieser Sache. Russland wird wahrscheinlich lange taktische, diplomatische Manöver anwenden, um die Widersprüche zwischen Damaskus und den Kurden sowie Ankara und den Kurden zu minimieren. Denn nur eine umfassende Lösung der syrischen Krise kann Frieden in dieses Land bringen. Dabei wird sogar der amerikanische Faktor mit eingeplant.

US-Panzerfahrzeuge in Manbidsch, Nordsyrien

Die Türkei ist Teil der Astana-Gespräche und kooperiert mit Russland in Idlib. Wie weit könnte die Kooperation in Bezug auf die kurdische Frage gehen?
Der türkische Präsident Erdoğan spielt sein eigenes Spiel, sodass man ihn als unabhängigen Partner bei der friedlichen Lösung bezeichnen kann. In diesem Stadium stimmen die Interessen Russlands und der Türkei überein, aber Ankara verfolgt das langfristige Ziel, jeden kurdischen Widerstand zu beseitigen und eine pro-türkische Stabilisierung einzuleiten und durchzusetzen. In Moskau werden die Schritte der Türkei gegenüber der YPG-Miliz sorgfältig geprüft, allerdings aus der Position heraus, sie mit den Interessen ihres wichtigsten Verbündeten im Syrien-Konflikt, Damaskus, ins Gleichgewicht zu bringen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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